SRF-Reporter Matthias Rusch (49) reist ohne Geld durch die Schweiz
«Dieses Abenteuer hat mir die Augen geöffnet»

Für das SRF-Sommerprogramm trat Reporter Matthias Rusch eine abenteuerliche Reise an: ohne Geld vom nördlichsten zum südlichsten Punkt der Schweiz. Seine Erkenntnis, zu sehen bei «Schweiz aktuell»: Mit Improvisationsgeschick und gutem Willen ist fast alles möglich.
Publiziert: 05.07.2022 um 01:26 Uhr
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Aktualisiert: 09.06.2023 um 11:41 Uhr
Jean-Claude Galli

Die Idee kommt ihm unter der Dusche. «Warum», fragt sich SRF-Reporter Matthias Rusch (49) diesen Frühling, «versuche ich nicht einmal, in diesem derart auf Geld fixierten Land ohne einen Rappen vom nördlichsten zum südlichsten Punkt zu kommen, zu Fuss und per Autostopp, und mir Essen und Unterkunft zu verdienen?» In Bargen SH startet Rusch sein einwöchiges «Abenteuer, das mir die Augen öffnete». Er ist ohne Kamerateam unterwegs und filmt mit dem Handy, damit die Begegnungen mit den Leuten so echt wie möglich werden. Das Resultat ist von Montag bis Freitag bei «Schweiz aktuell» zu sehen (SRF 1, jeweils 19 Uhr).

Seine erste Mahlzeit erarbeitet er sich in der ärmsten Gemeinde Schaffhausens, in Merishausen, wo er einem Bauern hilft und Lebensmittel aus dem Hofladen bekommt. Dann geht es nach Küsnacht, in die reichste Gemeinde des Kantons Zürich. «Am Bahnhof sah ich Eltern, die ihre Kinder aus dem Pfadilager abholten. Ich dachte, die würden vielleicht auch spontan einen Fremden beherbergen.» Tatsächlich nimmt ihn eine Familie in ihre 7-Zimmer-Villa mit. «Wir assen im Garten Pizza, und es wurde ein gemütlicher Abend.»

Am nächsten Tag macht er bei Männedorf ZH Autostopp. «Ein schicker Mercedes hielt an.» Doch der Mann will sich später partout nicht interviewen lassen. «Es war ein russischer Millionär, der mir erzählte, er habe zuletzt unangenehme Reaktionen auf seine Nationalität gehabt. Dafür gab er mir ein Zehnernötli.»

Matthias Rusch auf seinem Abenteuertrip ohne Geld: Übernachten mit Schlafsack auf der Ladebrücke eines tschechischen Lastwagens beim Schwerverkehrszentrum Erstfeld UR.
Foto: SRF
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«Ich konnte viele Vorurteile entkräften»

Rusch gibt sich zuerst nicht als TV-Mitarbeiter zu erkennen, um das SRF nicht als Türöffner zu brauchen, und fragt jeweils erst später, ob er ein Interview führen kann. Die meisten Protagonisten geben gerne Auskunft, ausser dem Russen und einer Männergruppe, die ihn Richtung Innerschweiz fährt. «Es waren Ermittler der Kantonspolizei in Zivil.»

Grundsätzlich sagt Rusch: «Ich konnte auf meiner Reise viele Vorurteile entkräften. Auch jenes, Schweizer seien reserviert und zurückhaltend. Wenn man freundlich fragt, sind viele hilfsbereit.» In Riemenstalden SZ lädt ihn der Dorfbeizer trotz Ruhetag auf ein Glas Most ein und bietet ihm ein Zimmer zum Übernachten an. «Dafür habe ich ihm beim Kochen und im Garten geholfen.»

Bei der Gotthard-Raststätte sammelt er Müll ein, um zu einem Nachtessen zu kommen. «Ich habe auch einen Fünfliber gefunden und mich wahnsinnig gefreut. Und erkannt: Wenn du selber kein Geld hast und plötzlich fünf Franken findest, kommst du dir vor wie ein König. Man lernt die kleinen Dinge wieder schätzen.»

Im Schwerverkehrszentrum Erstfeld UR spricht er Lastwagenfahrer aus ganz Europa an. In der Kabine will ihn zwar keiner übernachten lassen, «das ist ihr Privatreich. Doch ich durfte im Laderaum eines tschechischen Fahrers schlafen. Weil der in den Norden weiterwollte, stand ich um fünf Uhr auf und wechselte ins Fahrzeug eines Ukrainers Richtung Tessin. Er hatte schon Kaffee für mich gemacht, als ich bei ihm anklopfte. Er ist nun wieder in der Ukraine, wir haben noch heute Kontakt. Erst letzte Woche schrieb er mir, dass er bloss zehn Kilometer von dem bombardierten Einkaufszentrum lebe, das weltweit in die Schlagzeilen kam. Da realisierte ich, in was für einem Paradies wir leben, und wie wenig bewusst uns dies ist».

«Reisen ohne Geld ist anstrengender»

In Bellinzona darf Rusch in einem von Tamilen geführten Grotto Kartoffeln für seine Rösti raffeln. In Lugano beherbergt ihn eine arbeitslose Modedesignerin, die auf Sozialhilfe angewiesen ist. An der Grenze kann ihm ein Tankwart zwar keinen Job anbieten, weil die Geschäfte wegen der gesenkten Benzinpreisen in Italien schlecht laufen. «Doch er wollte mir aus dem eigenen Sack ein Zwanzigernötli geben.»

Ruschs Bilanz: «Es kommt nicht darauf, wo du landest, sondern was du dort für Menschen triffst. Reisen ohne Geld ist zwar definitiv anstrengender. Der Organisationsstress und die Unsicherheiten halten dich auf Trab. Und du musst sozusagen die Hosen runterlassen. Sagen, dass du nichts hast, aber für das Essen und die Unterkunft arbeiten möchtest. Dafür lernst du spannende Menschen kennen, die dein Leben ganz anders bereichern.»


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