Dok gestern über den Volksmusiker
Axiger Sepps Todessturz wühlt heute noch auf

TV-Checker Padrutt war gestern Abend vom Film über das Schicksal des 62-jährigen Urner Bergbauern und Volksmusikers Sepp Gisler tief berührt.
Publiziert: 02.03.2018 um 13:09 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2018 um 04:05 Uhr
Hier musiziert Sepp Gisler mit seinen Kindern
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Dok zeigt das Leben des Bergbauern:Hier musiziert Sepp Gisler mit seinen Kindern
Peter Padrutt

«Er hat nie tiefer fallen können als in Gottes Hand», sagt seine Ehefrau Pia am Ende des Films.

Als sie diesen Satz gestern am Schluss des Dokfilms «Der Wildheuer – Senkrecht über dem Urnersee» spricht, würden wir sie am liebsten umarmen und trösten. Hoffentlich hatte der Herrgott weiche Hände, als er den Urner Bergbauern Sepp Gisler auffing, geht uns durch den Kopf. 

Unter dem Namen Axiger Sepp war der Bauer als Volksmusiker weitherum bekannt. Er wirkt nicht wie ein Raubein. Sein Herz ist gross wie der Berg. Mit Gottvertrauen und einem Lächeln im Gesicht steht er auf dem Oberaxen mit festem Tritt am stotzigen Abhang, mäht die Bergwiesen, schafft das Heu unter grosser Anstrengung zu Tale. Es sind Orte, an denen wir nicht mal angeseilt stehen würden.

Was wissen wir vom Glücklichsein am Abgrund?

Was wissen wir Stadtmenschen über dieses Leben, das so hart und doch so schön ist? Von den Strapazen am Berg, dem Föhn, der den Salat austrocknen lässt, vom Glücklichsein am Abgrund? Einem Leben, an dem der Heu-Ertrag entscheidet, wie viele Tiere im Stall sind? Einer Existenz, die so nichts mit Social Media, Internet-Shoppen und Seitentrieben zu tun hat.

Beat Bieri zeigt uns in seinem Film Bilder, die uns den Atem verschlagen. Auf über 1000 Metern über dem Meer, auf einem markanten Felsbuckel, führen die Gislers ein karges Leben. Der Blick über den See und ins Tal ist imposant. Nicht mal eine Strasse gibt es hier hinauf. Wehmütig wünscht sich Sepp endlich eine Zufahrt.

Das Portrait von Sepp Gisler berührt.
Foto: SRF
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Es gibt Momente in dieser Dokumentation, die so an die Seele gehen. Wenn Sepp seinen jungen Muni zum Schlachthof bringt und er darüber nachdenkt, was das Tier wohl fühlt. Oder wenn die Kamera Musiker Sepp dabei beobachtet, wie er seinen mit Down-Syndrom lebenden Sohn Dominik rücksichtsvoll darauf hinweist, dass er einen Ton auf der Bassgeige nicht richtig zupft. Oft sieht er ihn einfach an, sagt nichts. Da ist ein Vater für seinen Sohn da. Gibt es bessere Integration? 

«Die Liebe macht blind»

Überhaupt mögen wir diese freundlichen Leute – Sepps Frau Pia, die Sepp 1979 kennenlernte. «Ich war sehr verliebt und Liebe macht blind», sagt sie scherzend, warum sie sich für das Leben in der Kargheit entschieden hat. Und wir sehen die 22-jährige Tochter Julia, die das Gottvertrauen ihres Vaters in sich trägt. Und ohne grosse materielle Wünsche glücklich ist.

Und dann kommt dieser Moment, der uns zu Beginn des Films angekündigt wurde – und den wir nicht sehen möchten. Es ist der 31. Juli 2016, ein Sonntag. Sepp steht am Fusse einer sehr steilen Felskante, wo ein Netz ausgelegt war. Zwei Helfer lassen das Heu runter. Sepp drehte sich ab, spürt, dass es zu gefährlich wird. Zu spät. Er rutscht ab, wird wie vom Erdboden verschlungen. 300 Meter fällt er in den Tod.

Weit geht es hier runter. Sehr weit.

«Wir haben oft über den Tod gesprochen», sagt Ehefrau Pia. «Ich sagte ihm oft, es geht genau gleich weiter, auch wenn einer von uns mal gehen muss.» Sepp habe jetzt die Seite gewechselt, «aber er ist noch da».

«Es hätte noch lange so weitergehen können.» 

Der Schluss des Films versöhnt uns mit dem Schicksal: Tochter Julia hat sich selber zur Landwirtin ausbilden lassen, ihr Partner, ein Käser, unterstützt sie dabei. Und Dominik arbeitet bei seiner Schwester in einem Gastrobetrieb. Es sei zuerst hart und bedrückend gewesen, den Oberaxenhof zu übernehmen. «Vor allem das Wissen des Vaters und seine Menschlichkeit fehlen», sagt sie unter Tränen. Jetzt könne sie nicht mehr mit ihm musizieren. «Es hätte noch lange so weitergehen können.» 

Sepp ruht hoch oben auf einer Alp in einem Wäldchen. Hier wurde seine Asche ausgelegt. Kleine Dinge erinnern an ihn. Windig ist es, wie so oft dort oben.

Gestern habe ich eine Geschichte am Fernsehen gesehen über das Glück am Abgrund. Es ist eine Doku, die uns die Schweiz, ihre wunderschöne Natur und gelebte Integration erklärt. Wo wir alle das Heu und den Tod riechen konnten. Hoffentlich gibt es solche Filme noch lange.

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