Ursula Schaeppi war in der geschlossenen Psychiatrie
«Ich weinte wie ein kleines Kind»

Sie trägt Hellblau und schläft in Rosa. Die Welt des «Goofs der Nation» scheint bunt und leicht. Doch beim Gespräch über ihren 75. Geburtstag erinnert sich Ursula Schaeppi auch an schwere Zeiten.
Publiziert: 21.06.2015 um 16:15 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 02:30 Uhr
Von Flavia Schlittler

Sie strahlen ja vor Lebensfreude! Ist das echt oder gespielt?
Ursula Schaeppi: Es ist echt, sehr echt sogar. Es gibt Momente, da könnte ich Bäume ausreissen, da bin ich glücklich und mit mir im Reinen. Doch dann, drei Sekunden später, kann ich in eine tiefe Traurigkeit fallen. Das ist das schreckliche Gesicht der Manischen Depression. Ich spüre, wenn sie kommt und sage: Lieber Gott, bitte nicht! Dann bin ich mittendrin, muss es durchstehen. Und Pillen schlucken.

Können Sie diese Gefühle beschreiben?
Ich habe dann die Sehnsucht, nach Hause zu gehen. Zu Gott, in den Himmel, einfach weg von hier. Wenn ich spaziere, denke ich oft, wie schön wäre es jetzt, einfach auf eine Wiese zu liegen und vom Wind davongetragen zu werden! Diesen Wunsch hatte ich schon als Kind. Wissen Sie, je älter ich werde, desto mehr denke ich an meine Kindheit zurück.

Was für ein Kind waren Sie?
Ich las Märchen und die Bibel, war sehr introvertiert und brav – ganz anders als der «Goof» auf der Bühne. Und ich denke, dass ich nie auf die Welt kommen wollte.

Ursula Schaeppi schöpft viel Kraft aus der Natur: «Meine Asche soll dereinst im Wald verstreut werden», sagt sie.
Foto: Toini Lindroos
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Wie meinen Sie das?
Erstens musste man mich holen, dann habe ich das erste Lebensjahr durchgeschrien, obwohl ich medizinisch gesund war. Wir mussten sogar umziehen, weil sich die Nachbarn beschwert hatten. Rückblickend denke ich, dass ich schon als Kind Depressionen hatte. Man hat es einfach sehr spät entdeckt.

Wann wussten Sie, woran Sie leiden?
Erst mit 32 Jahren. Bis dahin war ich erfolgreich an verschiedenen Theaterbühnen engagiert. Ich tourte mit Harald Juhnke durch Deutschland, feierte schöne Erfolge an den Berliner Kammerspielen. Aber allem Ruhm zum Trotz, war ich immer so traurig und wurde immer dünner, wog noch 37 Kilo, bei einer Grösse von 1,57 Metern.

Hat Ihnen jemand geholfen?
Eine Kollegin riet mir, in eine Klinik für psychosomatische Störungen zu gehen. Als ich da ankam, wurde ich vorerst in eine geschlossene Abteilung verlegt.

Darüber haben Sie öffentlich noch nie gesprochen.
(Ursula Schaeppi öffnet eine Flasche Litschi-Prosecco und hält kurz inne) Man hat mich noch nie danach gefragt.

Stand es so schlecht um Sie?
Ja, und das in der Blütezeit meiner Karriere. Man hatte Angst, dass ich mir etwas antun könnte. Mir ging es sehr schlecht, ich weinte oft, wie ein kleines Kind. Mir wurde klargemacht, dass meine Weigerung zu essen, einen psychischen Grund hat, der in meiner Kindheit liegt. Ich war fünf Wochen in der Klinik. Als man mich entliess, legte mir der Arzt nahe, wieder in die Schweiz zurückzukehren und mich mit meiner Kindheit auseinanderzusetzen.

Wie war denn Ihre Kindheit?
Sie war sehr schön, bis auf das erste Lebensjahr. Wir haben uns innerhalb der Familie sehr geliebt, konnten es aber nicht so zeigen.

War die Angst berechtigt, Sie könnten sich etwas antun?
In der Theorie schon, in der Praxis nie. Ich bin ja zum Glück gläubige Christin, bete oft auch tagsüber. An einem Freitod hätte der liebe Gott keine Freude. Ich gehe auch heute wieder zu einer Psychiaterin, die mich sehr gut versteht. Und ich nehme brav Medikamente gegen meine Depressionen.

Sprechen wir von der Freude: Was bringt Sie zum Strahlen?
Wenn ich Theater spielen darf und sicher auch meine Hündin Toja. Die letzten zwei Jahre habe ich sehr zurückgezogen gelebt. Mir war es unter den Leuten oft zu oberflächlich und zu hohl. Doch vor kurzem habe ich mir einen Ruck gegeben und mich für die Seniorinnengymnastik angemeldet. Das brauchte Mut. Zum Glück hatte ich den.

Weshalb Mut?
Weil ich mir erst eingestehen musste, dass ich nun zu den Senioren gehöre. Und Mut, wieder unter Menschen zu gehen. Nun sind wir ein Supergrüppli aus zehn Frauen und einem Mann. Wir machen da auch Fitnessübungen auf dem Trampolin, ich bin richtig gut (sie lacht). Bei den Seniorinnen feiere ich auch bald eine Premiere ...

Erzählen Sie!
Ich werde für sie noch einmal den «Goof» spielen. Zum allerletzten Mal. Darauf freuen wir uns sehr.

Vor eineinhalb Jahren wurde bei Ihnen Altersleukämie diagnostiziert. Wie leben Sie mit der Krankheit?
Sehr gut, weil ich sie nie an mich herangelassen habe. Vor einer Woche war ich beim Arzt, der mir sagte, dass meine Blutwerte besser geworden seien. An Altersleukämie stirbt man nicht, man stirbt mit ihr.

Wenn Sie auf Ihr Leben zurückblicken – was bleibt da vor allem in Erinnerung?
Ich hatte ein schönes, reiches Leben und ich danke Gott für die Begabung, die er mir geschenkt hat, mit der ich den Menschen Freude bereiten konnte. Mit 18 Jahren durfte ich zum ersten Mal auf der Bühne stehen. Mit 34 entdeckte man mein komisches Talent. Ein besonderes Geschenk waren für mich die schönen Zeiten am Fernsehen mit Kurt Felix, später auch mit Walter Andreas Müller.

Würden Sie sich gerne nochmals verlieben?
Nein, ich habe mit den Männern abgeschlossen. Mir reichen meine schönen Erinnerungen, neue Erfahrungen brauche ich nicht mehr.

Ein Wunsch zu Ihrem 75. Geburtstag am Montag?
Wieder für die Menschen auf den «Brettern, die die Welt bedeuten» spielen zu dürfen.

Manische Depression
Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. So umschreibt der Volksmund die Manische Depression (Bipolare Störung). Bei Menschen, die daran erkrankt sind, treten die Gefühlsschwankungen in Extremform auf. Die Ursachen sind bis heute unbekannt. Biologische, genetische und soziale Umstände können eine Rolle spielen. Auf der Website von selbsthilfeschweiz.ch gibt es ein umfassendes Kontakverzeichnis für Betroffene.

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