Ueli Steck will 82 Viertausender in 80 Tagen bezwingen
«Ich bin ein extremer Angsthase»

Im Interview mit BLICK erzählt Steck unter anderem, weshalb es ihm bislang als Bergsteiger immer gut erging und wie seine Ehefrau mit der ständigen Angst um ihn umgeht.
Publiziert: 29.06.2015 um 21:30 Uhr
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Aktualisiert: 12.10.2018 um 22:19 Uhr
Interview: Seraina Etter

BLICK: Herr Steck, Sie werden gerade vom Pech verfolgt: Sie wollten in 80 Tagen sämtliche 82 Viertausender der Alpen besteigen. Zuerst mussten Sie wegen des Wetters Ihre Route ändern, dann verunfallte Ihr Partner Michael Wohlleben mit dem Gleitschirm. Ist Ihr Gipfelsturm nun in Gefahr?
Ueli Steck:
Nein. Es war immer klar, dass wir uns dem Wetter anpassen müssen. Das macht das Projekt «82 Summits» gerade spannend. Dass Michi aufgeben musste, ist extrem schade. Aber die Gesundheit geht vor. Ich suche mir nun neue Partner und hoffe, dass er später wieder dazustösst.

Sehen Sie sich als Vorbild für Nachwuchsbergsteiger wie ihn?
Dass immer mehr Junge im Bergsport nachrücken, ist extrem cool. Ich denke schon, dass ich hier eine Vorreiterrolle hatte. Es freut mich auch, dass es Leute gibt wie den Urner Bergsteiger Daniel Arnold …

… der kürzlich einen Ihrer Rekorde gebrochen hat. Er bestieg die Matterhorn-Nordwand schneller als Sie. So was nervt Sie bestimmt.Nein, das ist normal. Bergsteigen ist kein Wettkampfsport. Ich machte die Tour im Winter, Arnold im Frühling, bei besseren Verhältnissen. Unsere Zeiten sind nicht vergleichbar.

Ueli Steck mit seinem Partner Michael Wohlleben (hinten), der nach einem Gleitschirmunfall pausieren muss.
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Was treibt Sie zu immer neuen Herausforderungen?
Rekorde sind nebensächlich. Ich will mich selber weiterentwickeln. Nur wenn ich weiss, dass ich alles aus mir herausgeholt habe, bin ich zufrieden.

Wie am Annapurna, wo Sie im Oktober 2013 als Erster die Südwand bezwangen. Ihre Leistung war fast übermenschlich, Sie sagen selbst, dass es keine Steigerung mehr gibt. Wie fühlten Sie sich danach?
Im ersten Moment leer. Es war ganz klar das Limit, so weit werde ich nie mehr gehen in meinem Leben. Das zu akzeptieren, ist extrem schwierig.

Es gibt keine Beweisfotos von Ihrem Soloaufstieg, nur zwei Sherpas haben Sie kurz unterhalb des Gipfels gesehen.
Ich habe die Kamera verloren, daran kann ich nun mal nichts ändern. Aber: Den Annapurna habe ich nur für mich gemacht. Nur ich weiss, wie viel Risiko ich eingegangen bin. Mir ging es nur noch ums Überleben. Irgendwelche Beweise sind mir in einem solchen Moment egal.

Sie mussten in Ihrer Bergsteigerkarriere zusehen, wie viele Ihrer Kollegen starben. Warum ging es bei Ihnen bislang immer gut?
Weil ich ein extremer Angsthase bin.

Sie sind ein Angsthase?
Wirklich! Rein physisch gesehen könnte ich noch viel mehr leisten, noch schneller sein: Ich bin überzeugt, dass eine Eiger-Nordwand in zwei Stunden machbar ist. Es ist aber mit zu viel Risiko verbunden. Ich bin bis jetzt – abgesehen vom Annapurna – immer unter meiner Grenze geblieben. Deshalb bin ich noch hier. Ich versuche zudem, mich nicht von aussen beeinflussen zu lassen und bin extrem selbstkritisch. Ich analysiere meine Touren sehr genau und habe eingesehen, dass meine körperliche Leistungsfähigkeit nun abnimmt. Ich werde bald 40, ich hatte meine Jahre.

Und jetzt kommt die Familiengründung?
Das ist kein Thema. Meine Frau Nicole und ich gehen viel zu gerne klettern und auf Reisen. Das ist mit einer Familie nicht ideal. Ich möchte mich wegen Kindern nicht beruflich einschränken müssen. Wir haben gemeinsam entschieden, dass wir ganz gut ohne sein können.

Wie geht Ihre Frau damit um, dass Sie bei den Abenteuern ständig in Gefahr sind?
Sie hat manchmal Angst um mich, das ist berechtigt. Wir versuchen immer, zusammen einen Weg zu finden und machen nur, was für beide stimmt. Das ist nicht einfach, aber Nicole kennt mich und kann mein Niveau einschätzen.

Die letzten Jahre waren hart für Sie: der Angriff der Sherpas am Everest, die Annapurna-Südwand, wo viele an Ihrer Leistung zweifelten. Wie haben Sie sich als Mensch verändert?
Ich brauchte lange, um den Sherpa-Vorfall zu verarbeiten. Ich habe mit vielen Menschen gesprochen, um das Ganze einordnen zu können. Seither gehe ich anders mit meinen Mitmenschen um: Ich habe weniger vertrauen und bin sehr kritisch geworden. Die Albträume sind mittlerweile zum Glück weg. Ich weiss jetzt, dass ich früher zu blauäugig und gutgläubig war.

Worauf sind Sie am meisten stolz?
Ich bin auf keine meiner Leistungen stolz. Ich mache, wozu ich Lust habe und freue mich, wenn ich meine Grenze erreicht habe. Dann spüre ich eine innere Befriedigung. Alles, was ich mache, ist vergänglich und bringt niemandem was. Darum kann ich gar nicht stolz sein.

Wie meinen Sie das?
Ich bin ein Egoist, es nützt der Menschheit ja nichts, wenn ich in 2 Stunden 47 Minuten die Nordwand raufrenne. Die Welt dreht sich genau gleich weiter. Ich habe Momente, in denen ich zweifle, aber es ist das, was mir Lebensinhalt gibt. Darum ist es nicht falsch. Ich nehme niemandem etwas weg.

Was macht Ueli Steck, wenn er mal nicht am Berg ist?
(Überlegt) Hauptsache bewegen. Ich gehe viel Rennen und während des Trainings für unser aktuelles Projekts hat mich das Velofahren gepackt.

Aber lassen Sie sich auch mal so richtig gehen, geniessen das süsse Nichtstun?
Zu Hause etwas Feines zu kochen, macht mir extrem Spass und entspannt mich. Ich liebe es, neue Rezepte auszuprobieren.

Wie sieht es mit Feiern aus? Gibt es den Party-Ueli?
Oh je! Das ist ganz schwierig. Im Feiern bin ich sehr schlecht. Meine Frau macht sich immer lustig über mich, weil mir ab 21 Uhr die Augen zufallen.

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