Er ist der wohl naturverbundenste Sänger der Schweiz: Shem Thomas (43). Der «The Voice of Switzerland»-Star hat ein so inniges Verhältnis zur Schweizer Flora und Fauna, dass er ihr sogar sein neues Album «8» gewidmet hat, das er vor kurzem veröffentlicht hat. In den acht Songs verarbeitet der St. Galler ein ganz spezielles Kapitel seines Lebens: Mit Anfang 30 hatte er als Aussteiger im Wald gelebt. «Ich musste mich einfach von diesem Druck einer fremdbestimmten Existenz als Primarschullehrer lösen», sagt Thomas zu Blick. «Andere durch ihre Leistung zu bewerten, stimmte nicht mehr für mich, ich fühlte mich unwohl und merkte: Ich muss alles loslassen und aussteigen.»
Thomas kündigte Wohnung und Job
Ferien am Meer, eine Weltreise oder eine Therapie seien als Auszeit keine Alternative gewesen, betont er. «Ich wusste, einmal in der Woche zum Psychotherapeuten, das reicht mir nicht, es musste etwas Radikaleres sein. Also ging ich in den Wald.» Der Musiker kündigte seinen Job und seine Wohnung, kaufte einen VW-Bus und fuhr einfach drauflos. In einem Waldstück in der Zentralschweiz schlug er schliesslich sein Lager auf.
«Das Schönste war: Dadurch, dass ich allein war und meinen Kopf ausgeschaltet habe, hat er immer weniger Lärm gemacht», sagt Thomas. «Das schärfte meine Sinne ungemein – plötzlich nahm ich alles wahr.» Während er im Wald lebte, verzichtete der Künstler auf sämtliche elektronischen Geräte, Zeitungen oder Bücher. Stattdessen ging er spazieren, hing seinen Gedanken nach. «Ich nenne das einfach nur sein – es war wunderbar. Ich fühlte mich zurück beim Ursprung, wie ein Kind.»
Einzig Essen kaufte er im Laden
Weniger einfach gestalteten sich für den studierten Pädagogen alltägliche Tätigkeiten wie Kochen oder Duschen. «Da ich ein sehr reinlicher Mensch bin, schaute ich immer, dass ein Fluss in meiner Nähe ist», sagt Thomas. Einzig das Essen habe er sich nicht in der Natur, sondern auf herkömmliche Weise im Laden besorgt, räumt er ein. Dies seien die einzigen, kurzen Momente gewesen, in denen er wieder in die Zivilisation eintauchte.
War er in den acht Monaten, in denen er im Wald lebte, denn nie einsam? «Natürlich habe ich manchmal Gesellschaft vermisst», erklärt Thomas. «Aber einsam war ich nie. Im Gegenteil: Durch die Erfahrung in der Wildnis habe ich Sicherheit und Klarheit gefunden. Der Wald hat mir eine starke Verwurzelung und Selbstvertrauen geschenkt», sagt er. «Dabei wurde mir auch klar, dass ich Musiker werden will.» Kurz darauf nahm der Ostschweizer 2014 bei der Castingshow «The Voice of Switzerland» teil und wurde Zweiter.
«Der Wald bleibt in mir»
Die Natur bedeutet Thomas auch heute noch viel, weshalb er zusammen mit seiner Katze «Buslä» im Kanton Schwyz in einer Dachwohnung auf dem Land lebt. «Wann immer ich will, kann ich für einen Moment in den Wald zurückgehen und die Ruhe von damals abrufen», sagt er. «Ich lebe heute zwar nicht mehr im Wald, aber der Wald bleibt in mir.»
Sein prägendes Erlebnis möchte Shem Thomas, der aktuell auf grosser Schweiz-Tournee ist, durch seine Musik auch an andere weitergeben. «Mit meinen neuen Songs, die von meiner Zeit als Aussteiger handeln, möchte ich die Hörer dazu inspirieren, sich von auferlegten Zwängen zu befreien und aufzubrechen – auf dass jeder seinen Wald findet.»
