SRF-Moderatorin Rosanna Grüter (33) hungerte sich zehn Jahre lang krank
Ein Leben zwischen Essen und Erbrechen

Zehn Jahre lang kämpfte Rosanna Grüter gegen die Magersucht. Auch wenn sie den Kampf gewann, verlor sie dabei ihre Jugend.
Publiziert: 29.01.2018 um 23:28 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 20:45 Uhr
Zehn Jahre lang litt Rosanna Grüter unter Essstörungen.
Foto: Remo Bernet
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Remo Bernet

Während andere Frauen in ihrem Alter Modeheftli durchblättern und von der Bikinifigur der Models träumen, käme SRF-Moderatorin Rosanna Grüter (33) nicht auf die Idee, nur ein Gramm abzunehmen, um einem Schönheitsideal zu entsprechen. Denn was man der Zürcherin nicht ansieht: Krankhaft hungerte sie sich einst bis auf 28 Kilo herunter. Doch nicht, um einem Schönheitsideal zu entsprechen, sondern um das zu bekommen, was sie während Jahren vermisst hatte: Anerkennung und Aufmerksamkeit.

Aufmerksamkeit vermisst

Im Alter von elf Jahren fing bei ihr alles an. Grüters Eltern waren damals bereits getrennt und gingen davon aus, dass ihr Meitli alles schafft. Doch dem war nicht so, wie sie heute, 22 Jahre später, erzählt: «Ich musste damals einfach funktionieren. In der Familie war ich die Schlaue, die alles konnte. Mein Bruder war eher der Problemfall. Aufgrund dessen wollte ich irgendwie krank und schwach sein, damit ich auch mal diese Art von Aufmerksamkeit bekomme.»

Auch machte ihr die Entwicklung ihres Körper zu schaffen. «Ich war ein Frühzünder! Ich bin aus dem Rahmen gefallen und habe mich gefühlt wie ein bunter Hund. Das fand ich mega schlimm!», sagt sie. Die frühe körperliche Reife bescherte Grüter immer wieder unangenehme Situationen, die bei ihr noch heute Kopfschütteln auslösen. «Mir haben 40-jährige Männer auf der Strasse nachgeschaut und sexistische Dinge zugerufen. Ich war verdammt noch mal erst elf Jahre alt», sagt sie mit einer hörbaren Verachtung in ihrer Stimme. Sie wollte einfach sein wie alle anderen: ein ganz normaler Teenager.

Psychisch am Ende

In dieser Situation fehlten ihr der Rückhalt und die Aufmerksamkeit, die sie gebraucht hätte. So fasste sie nach einem Schultag im Sommer eine folgenschwere Entscheidung. Sie beschloss, sich am Lebensstil ihrer Freundin zu orientieren, die an Essstörungen litt. Ihrer Freundin gibt sie aber keine Schuld an der Erkrankung, die ihr Leben zehn Jahre lang einnahm. «Ich war psychisch am Ende. Hätte sie mich nicht auf die Idee gebracht, hätte ich irgendein dünnes Mädchen in einem Modeheftli kopiert.»

Das Leben der SRF3-Moderatorin war über Jahre hinweg von der Essstörung dominiert.
Foto: Remo Bernet

In den folgenden drei Jahren verlor Grüter immer mehr an Gewicht. Irgendwann kam es so weit, dass sie bei einer Grösse von 1,59 Meter nur 28 Kilo wog. Doch dann kam der scheinbare Wendepunkt. «Ich hatte für mich selbst ein Aha-Erlebnis und beschlossen, dass ich das nicht mehr will. Ich habe dann angefangen, wieder etwas zu essen, und etwa zehn Kilo zugenommen. Ein Jahr lang war ich halbwegs normalgewichtig und habe, soweit es ging, normal gegessen. Doch im Kopf waren die Gedanken noch immer da. Wie bei jemandem, der Drogen nimmt oder alkoholsüchtig ist, konnte ich meine Sucht nicht einfach abstellen», erzählt sie heute ganz offen.

Regelmässiges Übergeben begann

In den Sommerferien kam der Rückschlag, der sie total aus der Bahn warf. «Nach einem Sonnenstich musste ich kotzen. Es fühlte sich so befreiend an.» Fortan fiel die damalige Gymi-Schülerin nicht nur wieder in ihre alten Muster zurück, sondern übergab sich auch regelmässig. Sie gesteht: «Es gab Tage, an denen ich bis zu drei Mal gekotzt habe.» Sport konnte sie zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr machen, dazu fehlte ihr schlichtweg die Energie. Doch das Gymi zog sie trotzdem mit eisernem Willen durch. Ihren Mitschülern zu zeigen, dass es nicht geht, wäre für sie nie eine Option gewesen. Zu wichtig war ihr damals ihr soziale Anerkennung.

Immer wieder versuchte sie, von der Essstörung wegzukommen. So besuchte sie unter anderem ein Jahr lang eine Familientherapie mit ihrem Mami. Genützt hat es ihr nur wenig. «Mich haben die Therapien nicht weitergebracht, was aber nicht heisst, dass ich anderen nicht empfehlen würde, professionelle Hilfe zu holen.»

Richtig leben oder sterben

Den Sprung raus aus der Essstörung und Bulimie schaffte sie schliesslich, als sie bereits drei Jahre nicht mehr in Therapie war. Sie erzählt über die alles entscheidende Zeit in ihrem Leben: «Irgendwann hatte ich keine andere Wahl mehr. Ich war 20 Jahre alt und hatte die Essstörungen, seit ich 11 war: Ich konnte mich an keine Zeit ohne die Krankheit erinnern.» Ihre ganze Teenagerzeit hatte die Zürcherin in diesem Moment bereits an die Magersucht verloren. «Ich habe vorher so viel probiert, und irgendwann habe ich einfach gefunden: Entweder ich schaffe es jetzt, oder ich muss mich umbringen. Ich wollte mich wirklich nicht umbringen und hatte deshalb keine Wahl!» 

Als sie realisierte, wieviel Zeit sie schon verloren hat, wusste Grüter, dass sie nun endgültig etwas ändern muss.
Foto: Valeriano Di Domenico

Nachdem sie den Entscheid gefällt hatte, sich endgültig von der Krankheit zu lösen, schnappte sie sich den Rucksack und reiste durch Mexiko. Dabei realisierte sie erst richtig, dass es eine Welt abseits ihrer Krankheit gibt. Mit einem Lächeln im Gesicht erzählt sie: «Plötzlich ist das Leben in seiner ganzen Schönheit auf mich herabgeprasselt. Ich war wie überfordert. Ich kannte so etwas gar nicht mehr, und es war wunderschön.»

Deshalb handelte sie nach dem Ende der Reise: «Ich bin nach Hause gekommen und habe mir gedacht: Scheisse, ich kann nie mehr so wie vorher leben. Ich habe die Energie aus der Reise mitgenommen und mein Leben neu organisiert.» Sie zog mit zwei guten Freundinnen zusammen, die über ihre Geschichte Bescheid wussten. «Sie wussten, wenn ich das Badezimmer abschliesse, müssen sie mich herausklopfen, und wenn ich abends nicht esse, müssen sie mich zwingen.

Keine gesundheitlichen Folgen

Und es hat geklappt: Grüter schaffte nach zehn Jahren den Sprung zurück ins Leben! Ihr Körper hat keine Langzeitschäden – ein Glücksfall.  Statistiken zeigen nämlich ein erschreckend anderes Bild. Die Sterberate bei der Krankheit ist unglaublich hoch: Rund jeder zehnte Erkrankte stirbt an den Folgen einer Magersucht.

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Heute behauptet sie von sich, wieder eine normale Beziehung zum Essen zu haben. Trotzdem wird sie immer ein Auge darauf haben, denn: «Gefühle sind bei mir immer stark mit dem Essen gekoppelt. Wenn ich Stress habe, esse ich mehr, und wenn ich traurig bin, esse ich weniger. Das ist bis zu einem gewissen Grad etwas Menschliches. Ich persönlich muss mich in solchen Situationen einfach extrem gut beobachten. Immer, wenn mich etwas im Leben erschüttert, ist mein erster Reflex: Was mache ich jetzt mit dem Essen?»

Zehn Jahre verschwendet

Für Kommentare zu ihrer Figur hat sie heute nur noch ein müdes Lächeln übrig: «Ich würde für niemanden etwas an meiner Figur ändern. Nie wieder würde ich mir so etwas antun. Ich habe ein Leben, und ich will ein gutes Leben haben. Meine Teeniezeit ist schon weg, und deshalb will ich keinen Tag mehr verschwenden! Ich hätte zehn Jahre leben können – und was habe ich stattdessen gemacht? Gegessen, nicht gegessen und gekotzt. Das ist einfach Verschwendung!»

Deshalb ist es ihr heute wichtig, ihre «Cervelat-Prominenz» dafür zu brauchen, Leute darüber aufzuklären, dass Magersüchtige nicht einfach etwas mehr essen können und dann wieder gesund sind. Vielmehr steckt dahinter eine psychische Krankheit, die man nur mit einem harten Kampf besiegen kann. Ein harter Kampf, den Rosanna Grüter gewonnen hat!

Beruflich läuft es für Grüter momentan rund: Am 7. Februar startet mit «Bytes/Pieces» ihr neues Webformat. In einer Pilotfolge nahm sie das Thema Fake Follower genauer unter die Lupe.
Foto: SRF
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