«So ein Mensch muss einfach alle interessieren»
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Samir zu Kurt Hirschfeld:«So ein Mensch muss einfach alle interessieren»

Schauspielerin Nurit Hirschfeld lernt ihren Grossvater kennen
Auf Spurensuche im Schauspielhaus

Kurt Hirschfeld gilt als einflussreichster Regisseur in der Geschichte des Zürcher Schauspielhauses. Trotzdem ist wenig über ihn bekannt. Seine Enkelin Nurit hat mit Filmemacher Samir zusammengespannt und sein Leben neu beleuchtet.
Publiziert: 12.02.2023 um 20:51 Uhr
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Die Pfauenbühne im Zürcher Schauspielhaus unterscheidet sich geringfügig von anderen in der Schweiz; vielleicht ist sie sogar weniger prunkvoll als andere Säle hierzulande. Zwischen den 30er- und 60er-Jahren verhalf der deutsch-jüdische Emigrant Kurt Hirschfeld (1902–1964) den nüchternen Räumlichkeiten als Regisseur, Intendant und Direktor zu internationaler Strahlkraft. Er machte aus den Schriftstellern Max Frisch (1911–1991) und Friedrich Dürrenmatt (1921–1990) Theaterautoren und erweckte Zürich aus dem zwinglianischen Dornröschenschlaf. Und viel wichtiger: Er war massgebender Teil der «geistigen Landesverteidigung» und positionierte das Schauspielhaus während der Hitler-Diktatur ganz klar antifaschistisch – trotz Gefahr von innen und aussen.

1964 starb Hirschfeld an Lungenkrebs. Er geriet in Vergessenheit. Trotz seines Einflusses weiss man nicht viel über ihn. Werke zu seiner Person und seinem Schaffen findet man nur mit grossem Aufwand. Nur ein kleiner Weg in Zürich-Oerlikon erinnert noch an seinen Namen. Schauspielerin Nurit Hirschfeld (31) und Film-Casterin Ruth Hirschfeld (71) störte diese Lücke. Mutter und Tochter wandten sich an den Zürcher Filmemacher Samir (67) und dessen Frau, die Regisseurin Stina Werenfels (59). Die Bitte: Einen Dokumentarfilm gegen das Vergessen des (Gross-)Vaters. Die Herausforderung: Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu finden, die heute noch leben. Werenfels wurde dennoch fündig und startete mit den Interviews, noch bevor Samir die Finanzierung des Projekts mittels Crowdfunding sicherzustellen vermochte.

Film erweckt Hirschfeld zum Leben

Für Nurit Hirschfeld, die 28 Jahre nach dem Tod ihres Grossvaters zur Welt kam, fing die Spurensuche schon lange vor den Dreharbeiten zu «Hirschfeld – Unbekannter Bekannter» an. «Ich wusste nicht viel über ihn. Irgendwann habe ich angefangen, meine Mutter nach ihm zu fragen», erinnert sie sich beim Gespräch mit SonntagsBlick. Die Frage nach ihrer Identität begann sie zu beschäftigen – «gerade auch, weil ich jüdischer Herkunft bin». Als Nurit etwas älter war, besuchte sie das Max-Frisch-Archiv und stiess auf lange Briefwechsel zwischen dem berühmten Autor und Kurt Hirschfeld. «Dann habe ich angefangen, zu realisieren, welche Bedeutung mein Grossvater für Zürich hatte – in künstlerischer und politischer Hinsicht.»

Schauspielerin Nurit Hirschfeld und Filmemacher Samir haben eine Mission. Sie wollen Nurits Grossvater, ...
Foto: Siggi Bucher
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Die Dreharbeiten waren für die junge Schauspielerin emotional: «Ein Interviewpartner hat es tatsächlich geschafft, meinen Grossvater quasi zum Leben zu erwecken.» Sie habe ein genaues Gespür für Kurt Hirschfelds Art und Wesen bekommen. «Das ist genau das, wonach man sucht.»

Hirschfeld der Brückenbauer

Samir hat zwar zur bekannt-unbekannten Theatergrösse Hirschfeld keine direkte Verbindung. «Ich war kein besonderer Theaterliebhaber», gibt der Filmemacher zu. Als er in den 70er-Jahren ins Filmmetier eingestiegen sei, hätten ihm andere Kulturschaffende von Kurt Hirschfeld erzählt. «Ich bin verblüfft gewesen, dass wir hier in Zürich aussergewöhnliche Menschen hatten, die ohne grosses Aufheben so viel bewegt haben.» In seinen Augen habe Hirschfeld, der jüdische Kommunist, der aus Berlin vor den Nazis fliehen musste, in der Schweiz Brücken gebaut. «Und das ohne die Kränkung, die er durch den täglichen Antisemitismus erlebt hat, ihn negativ beeinflusst hätte.»

1934 musste Hirschfeld, der bis dahin inkognito in der Schweiz gelebt hatte, das Land verlassen und siedelte nach Russland über, ehe er 1938 zurückkam – erwünscht war er nicht. Der Leiter der Fremdenpolizei liess verlauten: «Ich möchte diesen Juden nicht.» Doch laut Samir hat Hirschfeld weitergemacht, sich mit dem Theater und seinen Engagements gegen den Faschismus gestellt. Der Filmemacher hält beim Erzählen kurz inne und drückt die Augen zu: «Jetzt werde ich emotional.»

«Film soll ein Stück Erinnerungskultur sein»

Für alle, die sich jetzt fragen, warum es fast 60 Jahre gedauert hat, bis Kurt Hirschfeld die Beachtung zukommt, die er verdient: «Für mich ist es ganz, ganz klar, dass es an seiner jüdischen Herkunft liegt.» Samir wird ernst: «Das zieht sich durch sein Leben wie ein rotes Band. Wir haben uns sehr gewundert, dass man einer solchen Figur bisher nicht seine Reverenz erwiesen hat.» Die unrühmliche Rolle, die die Schweiz während der Nazi-Herrschaft gespielt habe, sei noch nicht fertig erzählt. Und auch genau deswegen ist es für Samir so wichtig, gerade jetzt Kurt Hirschfelds Geschichte zu erzählen. «Nicht zuletzt wegen des aktuell sehr fremdenfeindlichen Klimas gegenüber Migrantinnen und Migranten und wegen des schwelenden Antisemitismus. «Hirschfeld – Unbekannter Bekannter» soll, wenn der Film dann fertig geschnitten sei, «auch ein Stück Erinnerungskultur sein».

Übrigens: Am Montag stellen Samir und Nurit Hirschfeld «Hirschfeld – Unbekannter Bekannter» im Schauspielhaus der Öffentlichkeit vor.

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