Satiriker will Muster durchbrechen
Darum wird aus Michael Michèle Elsener

Michael Elsener präsentierte sich kürzlich in Frauenkleidern und mit Make-up. Für ihn sei diese Überschreitung der Geschlechtergrenzen eine bereichernde Erfahrung gewesen, die er jedem weiterempfehlen könne.
Publiziert: 26.06.2022 um 00:56 Uhr
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Aktualisiert: 26.06.2022 um 07:25 Uhr
Michel Imhof

Der Kabarettist Michael Elsener (36) hält sich in den Medien bedeckt, wenn es um sein Liebesleben geht. In seiner Stand-up-Comedy redet er zwar schon länger darüber, doch medial thematisierte er erst im letzten Jahr, dass er sich in Männer verliebt. Ein überraschend deutliches Statement machte er aber vor kurzem anlässlich des Pride-Monats, in dem die LGBTQ-Gemeinde für mehr Gleichberechtigung auf die Strasse geht: Er präsentierte sich mit Make-up und im Frauenkleid, stellte sich als Michèle Elsener vor. «Wir sollten alle viel mehr die Geschlechtergrenzen durchbrechen», sagt er zu SonntagsBlick.

«Ich möchte damit zeigen, dass wir die Art, wie eine Frau oder ein Mann angeblich zu sein hat, selbst festlegen und jeden Tag wieder neu definieren können», ergänzt Elsener. Die Geschlechterrollen und deren Herkunft hätten ihn schon länger interessiert, dazu habe er auch Bücher gelesen. «Irgendwann fand ich: Bloss theoretische Texte lesen und darüber diskutieren, das ist mir zu wenig. Ich will es selber ausprobieren und erfahren.»

Er lernte eine neue Seite von sich kennen

Im letzten Monat, während seiner Backpacking-Reise in Kambodscha, packte er die Gelegenheit beim Schopf, liess sich schminken und stürzte sich in ein Frauenkleid. «Spannend war, mich nach dem Make-up zum ersten Mal im Spiegel zu sehen. Ich sehe tatsächlich jemand anders. Und versuche, eine Beziehung aufzubauen zu meinem neuen temporären Ich», so der Satiriker. «Ich habe gemerkt, wie ich in dieser neuen Erscheinung jeden Gesichtsausdruck von mir auf neue Art lese. Es war wie ein Kennenlernen von einem neuen Michael, also eigentlich von Michèle.»

Michael Elsener präsentierte sich in den sozialen Medien mit Make-up und im Frauenkleid.
Foto: Instagram
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Auch der Charakter verändere sich durch die äussere Veränderung. «Ich habe gemerkt, dass ich mit Schminke, also als Person, die von vielen als Frau gelesen wird, plötzlich scharfzüngigere Kommentare mache. Mein Make-up-Artist meinte: ‹Du bist witziger denn als Mann!›»

Seltsame Erfahrung in Bar

Als Michèle hat sich Elsener auch in einer lokalen Bar präsentiert. «Die Erfahrung, die ich dort gemacht habe, hat mich sehr beschäftigt.» Er hätte nie gedacht, dass es so klischiert sei. Er sei von Männern nicht nur angesprochen, sondern auch am Arm oder an der Schulter angefasst worden. «Und dies, obwohl ich meinte, klar signalisiert zu haben, dass ich mit ihnen nicht reden möchte.» Als Michael würde er im Ausgang nicht direkt angefasst. «Als ich schliesslich an die Bar sass, legte der Mann daneben seine Hand auf meinen Oberschenkel. Bevor ich etwas sagen konnte, muss er mein Beinhaar gespürt haben, und es hat ihn im wahrsten Sinne vom Hocker gehauen.»

Trotz dieses Erlebnisses will Elsener weiter die Geschlechterrollen durchbrechen: «Was mich reizt, ist, auch im Alltag ab und an ein Kleidungsstück zu tragen, das man eher von Frauen kennt.» So trage er schon seit längerem mehr Schmuck und merke immer wieder, dass einige Männer dies seltsam fänden. «Ich finde aber: Lasst uns unsere Muster durchbrechen. Wir leben nur einmal. Dekoriert euch!»

Von der Gesellschaft wünscht er sich einen offeneren Umgang mit den Geschlechtergrenzen. «Ich finde, Empathie – also, sich in andere Menschen hineinzuversetzen – hilft immer.» Crossdressing kann er nur weiterempfehlen. «Es ist eine extrem verspielte Art, die eigenen Vorurteile und Stereotype zu hinterfragen und zu durchbrechen», sagt er. «Ich war von mir selbst so was von überrascht. Und es ist sehr befreiend.»

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