Radiofrau Shiva Arbabi kämpft mit Protestsong für die Frauen im Iran
«Diese Revolution ist anders als alle bisherigen»

Die bekannte schweiz-iranische Radiomoderatorin Shiva Arbabi macht sich mit Schweizer Künstlerinnen und Künstler für die iranische Revolution stark. Dabei setzt sich die Journalistin auch mit ihrem Heimatland auseinander, wie sie das bisher nie getan hat.
Publiziert: 04.06.2023 um 15:58 Uhr
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Patricia BroderRedaktorin People

Mit Revolutionen kennt sich Shiva Arbabi (48) aus. 2010 lancierte sie mit Piratenradio.ch ihren eigenen Sender im Internet. Zuvor moderierte die Schweiz-Iranerin insgesamt zehn Jahre lang bei diversen Privatradiosendern im Land, bei DRS Virus war sie gar im Gründungsteam mit dabei. Doch diese Revolution ist von einer ganz anderen Art. Sie trifft die junge Frau in ihrem Innersten: «Wir dürfen die Menschen im Iran nicht im Stich lassen», sagt Arbabi gleich zu Beginn unseres Gesprächs. «Und wenn es mit Politik nicht mehr funktioniert, dann kann Musik helfen.»

Iranischer Protest-Song berührt Arbabi

Die Musik, von der Arbabi spricht, ist der iranische Protestsong «Baraye», der im vergangenen Herbst viral ging und der sie tief berührte. «Ich fand heraus, dass der Text dieses Lieds aus Twittermeldungen von Menschen im Iran stammt. Er drückt das Leid, die Wut und die Hoffnung der iranischen Zivilbevölkerung aus, die seit 44 Jahren vom Regime unterdrückt, gefoltert, terrorisiert und getötet wird. Ich wusste, diesen Song muss man übersetzen. Iraner kennen ihr Leid, doch das Ausland nicht.» Einen Monat lang arbeitet Arbabi am Text. Ist bemüht, die Zeilen des iranischen Musikers und Grammy-Gewinners Shervin Hajipour (26) ins Deutsche zu übertragen. Für ihren Song «Frau, Leben, Freiheit» kann die Radiofrau schliesslich zehn bekannte Schweizer Musiker und Musikerinnen gewinnen. Unter anderem schliessen sich Sina (57), Adrian Stern (48) und Heidi Happy (43) als Swiss Artists for Free Iran zusammen, um mit ihrem Lied, das auf allen gängigen Plattformen zu hören ist, ihre Solidarität mit den iranischen Menschen zum Ausdruck zu bringen.

Auslöser der aktuellen Proteste war die Ermordung der 22-jährigen iranischen Kurdin Mahsa Amini am 16. September 2022. Die junge Frau stirbt in Polizeigewahrsam, nachdem sie von der Sittenpolizei verhaftet wurde, weil sie angeblich ihren Hidschab nicht ordnungsgemäss getragen hat. Der Vorfall löst eine ungeahnte Protestwelle im Land aus. Seither gehen wöchentlich Tausende von Menschen gegen die islamische Führung auf die Strasse. «Frau, Leben, Freiheit», rufen sie – dieselben Worte, wie in Hajipours Protestsong.

Setzt sich für die Protestbewegung im Iran ein: Die schweiz-iranische Radiofrau Shiva Arbabi.
Foto: ADRIANPORTMANN
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«Diese Revolution ist generationenübergreifend»

«Meine iranischen Kontakte schätzten, dass es noch eineinhalb Jahre dauern wird, bis die Revolution zum Sieg führt und das Mullahregime durch eine neue Regierung ersetzt wird», sagt Arbabi. Doch so lange die westlichen Regierungen Geschäfte mit den Mullahs machen würden, sei es schwierig und ein langwieriger Prozess. «Dennoch glaube ich fest daran», erklärt die Radiofrau. «Denn diese Revolution ist anders als alle bisherigen. Sie dauert bereits über acht Monate und ist generationenübergreifend. Trotz all den Hinrichtungen haben die Menschen keine Angst mehr. Viele tragen keine Kopftücher mehr, tanzen auf der Strasse.»

Ihr Heimatland, für das sie aktuell so entschlossen kämpft, kennt Shiva Arbabi fast ausschliesslich aus Erzählungen und aus dem Fernsehen. Sie selbst hat es als Erwachsene noch nie besucht. «1980, ein Jahr nachdem der Schah gestürzt worden war und der religiöse Führer Khomeini aus dem Exil in Frankreich zurückkam, flüchteten meine Eltern mit mir aus dem Iran in die Schweiz.» Arbabi war damals fünf Jahre alt. In den darauffolgenden Jahren sprachen die Eltern mit ihrer Tochter kaum über ihre alte Heimat. Zu gross war die Angst, sie mit den negativen Nachrichten zu belasten. «Ich hatte als Kind und Jugendliche auch kaum Kontakt zu anderen Landsleuten. Wir trauten den Iranern in der Schweiz nicht, sie hätten Anhänger des Regimes sein können.»

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Arbabi wünscht sich härtere Sanktionen

Doch der Oktober 2022 ändert alles. Nach der Ermordung von Mahsa Amini will Shiva Arbabi ihr Heimatland nicht mehr meiden, sondern sich damit auseinandersetzen. «Ich bin seit Monaten nur auf Instagram und poste ausschliesslich Storys zu den Vorkommnissen im Iran. Ich bin auf Social Media noch nie so aktiv gewesen wie jetzt.» Gerade in bewegten Zeiten, in denen Negativ-Schlagzeilen schnell von anderen News abgelöst würden, sei es umso wichtiger, sich unablässig für sein Anliegen einzusetzen. «Wir müssen die Stimme dieser Bewegung sein. Wir dürfen nicht aufhören, darüber zu berichten, es geht schliesslich um Menschenrechte», erklärt die Journalistin, die sich im Zusammenhang mit den Protesten im Iran auch härtere und gezieltere Sanktionen der westlichen Regierungen wünscht.

«Es ist wichtig, dass die Milliarden im Ausland der Islamischen Republik endlich eingefroren werden und dass die iranische Revolutionsgarde und die Milizeinheit Basij als Terrororganisationen eingestuft werden. Denn Iran ist aktuell das Land mit den meisten Exekutionen weltweit. Alle sechs Stunden wird jemand hingerichtet. Es ist eine Tragödie.» Dennoch gehe es jetzt aber auch darum, zu demonstrieren, dass man vor dem Schreckensregime keine Angst habe. «Jeder, der sich für die Revolution im Iran einsetzt, wird von der Regierung auf eine schwarze Liste gesetzt und kann nicht mehr in das Land einreisen. Aber das darf uns nicht abschrecken», sagt sie. «Die Frauen im Iran gehen trotz Todesdrohungen auf die Strasse, was mich unglaublich stolz macht. Ihr Mut macht auch mir Mut. Die erste feministische Revolution der Welt hat erst angefangen!»

Auch Shiva Arbabis Einsatz für die iranische Protestaktion ist noch lange nicht zu Ende. In den nächsten Wochen ist eine Remix-Version des Protestsongs «Frau, Leben, Freiheit» geplant. Die Journalistin arbeitet zudem mit dem Organisationskomitee von Free Iran Switzerland zusammen und moderiert diverse Kundgebungen. «Solange diese Revolution andauern wird, solange bin ich täglich als Aktivistin tätig», sagt Arbabi. «Mein Traum ist es, dass der Iran durch diese Protestaktion befreit wird und ich endlich die freien Männer und Frauen in meinem Heimatland besuchen kann.»

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