Musikerin Mia Aegerter reiste zwei Monate durch Afrika
Nichts für Feiglinge

Drei Shirts, einen Rock, ein Kleid und ein Pulli: viel mehr hatte Sängerin Mia Aegerter (41) nicht dabei, als sie zwei Monate durch Afrika reiste. Hier ist ihr Tagebuch!
Publiziert: 02.05.2018 um 10:55 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 16:16 Uhr
Marktszene in Äthiopien: «Essen und Kaffee sind hervorragend», schwärmt Aegerter.
Foto: zVg
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Mia Aegerter/Dominik Hug

Ihre Reise um den Globus begann in Afrika: Für ihr grosses Abenteuer – die ganze Welt zu bereisen und gleichzeitig ein Album zu schreiben – packte Mia Aegerter (41) nur wenig Gepäck und eine kleine Gitarre ein: Minimalistisches Reisen als neue Philosophie. Zwei Monate lang hat die Freiburger Sängerin neun Länder auf dem schwarzen Kontinent erkundet – von Südafrika ganz im Süden bis hinauf nach Marokko im Norden. Hier ist ihr ganz persönliches Reise-Tagebuch.

Südafrika
«Die Mission ‹Around the world in 18 songs› steht unter dem Motto traveling light. Ich reise sehr leicht. Für zwei Monate Afrika hatte ich an Klamotten dabei: drei Shirts, einen Rock, ein Kleid, einen Pulli, eine Jacke, einen Schal, einen Hut, drei paar Unterhosen, drei paar Socken, einen BH, ein paar Turnschuhe und ein paar Sandalen. Ich reise seit Jahren nur noch mit leichtem Handgepäck. Das hat viele Vorteile: Der Packstress fällt weg, man muss nicht am Gepäckband anstehen und passt mit seinen ganzen Sachen problemlos in einen vollgepackten Lokalbus. Das minimalistische Reisen ist auch ein bisschen zu meiner Philosophie geworden. Wir brauchen viel weniger als wir denken.»

Namibia
«In Namibia wird selbst der grösste Pragmatiker zum Poeten. Man fährt von Horizont zu Horizont, durch endlos weite Silberfelder, durch eine ockergelbe Wüste, vorbei an schwebenden Pastell-Felsen, die in der Hitze flimmern. Mit der Menschenleere ist man die Zeit los und die Stille ist so laut, dass man sein Blut rauschen hört. Nachts fliesst die Milchstrasse bis hinter die schlafenden Berge. Wir bestehen aus demselben Stoff wie die Sterne da oben. Und vielleicht haben wir unseren Sinn erfüllt, wenn wir einfach das tun, was unsere Spezies als einzige kann: Die Schönheit und die Poesie dieses Planeten bestaunen.»

Sambia
«Jedes afrikanische Land scheint einen anderen Namen für weisse Ausländer zu haben. Auf der Strasse in Sambia riefen uns die Einheimischen das Wort Mzungu zu, in Senegal hiessen wir Toubab und in Äthiopien Ferengi – die Serie «Star Trek» hat eine Spezies nach diesem Wort benannt. Und tatsächlich fühlte ich mich mit der Zeit wie eine Ausserirdische. Es ist eine wertvolle Erfahrung, über einen längeren Zeitraum die einzige Weisse zu sein. Ich habe jetzt eine bessere Vorstellung davon, wie zermürbend es sein kann, einer Minderheit anzugehören.»

Tansania
«Wenn ich auf der Reise mit meiner Kreditkarte bezahlte, kam es oft vor, dass der Kassierer die Karte nach der Bezahlung meinem männlichen Reisepartner zurückgab statt mir, der Besitzerin der Karte. Was die Geschlechtergleichheit angeht, reist man in vielen afrikanischen Ländern zurück in der Zeit. Der Präsident von Tansania hat Anfang des Jahres die Männer öffentlich ermutigt, mehr als nur eine Frau zu heiraten. Polygamie ist bei den Männern weit verbreitet und wird von den Frauen stillschweigend ertragen. Die Ungleichheit der Geschlechter war für mich ungewohnt offensichtlich.»

Äthiopien
«Lucy, der Popstar unter den Fossilien, ist 3,2 Millionen Jahre alt und wurde in Äthiopien ausgegraben. Es gibt starke Beweise dafür, dass die Menschheit ihren Ursprung in Afrika hat. Das würde bedeuten, dass wir fast alle Immigranten sind. Ein Totschlag-Argument gegen jegliche Form von Rassismus. Äthiopien hat aber noch andere interessante Aspekte: Hier ist man knapp acht Jahre jünger. Die Zeitrechnung ist gegenüber unserem Kalender sieben Jahre, acht Monate und zehn Tage hinterher. In Äthiopien ist es also erst 2011.» 

Mali
«Sowohl vor Beginn wie auch während meiner Reise wurde mir immer wieder mitgeteilt, wie gefährlich Afrika ist. Auch in Bamako wurde mir davon abgeraten, mich frei zu bewegen oder gar allein zu Fuss unterwegs zu sein. Solche Warnungen sind eher ein Ansporn für mich. Man muss ja keine unvernünftigen Entscheidungen treffen. Aber wenn wir uns von der Paranoia anderer Menschen zu sehr beeinflussen lassen, könnte es uns davon abhalten, die Welt unvoreingenommen und angstfrei zu erleben. Und wenn wir uns nur in einem vermeintlich geschützten Raum aufhalten, erfahren wir nie, wie irrational die meisten Ängste sind.»

Gambia
«Vielleicht war es etwas naiv zu glauben, dass ich, aus der privilegierten Schweiz, es schaffen könnte, mich in kurzer Zeit mit den Einheimischen anzufreunden. Und gerade als ich dachte, es wäre nicht möglich, unsere Unterschiede zu überwinden, passierte etwas Erstaunliches: Wir sassen am Feuer und spielten Songs von Bob Marley. Die Hautfarbe, die Herkunft, die unterschiedlichen Sprachen – all das stand nicht mehr im Vordergrund. In Gambia habe ich mich wieder daran erinnert: Musik ist Kommunikation, wenn Sprache versagt, und sie überwindet absolut jede Mauer.» 

Senegal
«In der Casamance im Südsenegal haben wir bei einer Familie des Diola-Stammes Unterschlupf gefunden. Hier glaubt man an Geister und hält  unter tausend Jahre alten Baobab-Bäumen Schutzrituale ab. Zwischen Ziegen, Enten, Katzen und Hunden  haben wir angefangen, die ersten neuen Lieder zu schreiben. Abends, wenn es kühl wurde, sassen wir mit der ganzen Familie und den Hunden am Feuer und sahen den Flammen beim Tanzen zu, bis uns die Augen zufielen. Das ist so viel besser als vor dem Einschlafen Netflix zu schauen.»

Marokko
«Hyäne mit Mund gefüttert, Krokodil gestreichelt, aufwühlende Begegnungen mit Python und Bonobo, Khat gekaut wie Arthur Rimbaud, Schmiergeld an Grenzpolizei bezahlt, lautstark mit Abzockern gestritten, neue Freunde gefunden. Afrika ist so viel mehr als vermutet. Die neun Länder waren sehr unterschiedlich in Bezug auf die Tier- und Pflanzenwelt, das Klima – in Marokko musste ich mir eine Winterjacke kaufen –, die Entwicklungsstufen, Kulturen, Währungen, Religionen und Sprachen. Und ich habe den Spagat zwischen Tradition und Veränderung gespürt. Afrika ist im Aufbruch.»

Blog: www.aroundtheworldin18songs.com 

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