Lucas Fischer & Dominique Rinderknecht
«Seit dem Outing gehen mir Leute im Dorf aus dem Weg»

Im Doppelinterview schildern die beiden Schweizer Stars, wie sich ihr Leben seit ihrem Outing verändert hat, was anders an Beziehungen mit Männern oder mit Frauen ist und wie sie mit schwulen- und lesbenfeindlicher Kritik im Alltag umgehen.
Publiziert: 21.10.2018 um 02:26 Uhr
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Aktualisiert: 12.11.2018 um 12:04 Uhr
Dominique und Lucas im grossen Liebes-Interview
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Sie haben beide ein Outing hinter sich:Dominique und Lucas im grossen Liebes-Interview
Interview: Patricia Broder; Fotos: Philippe Rossier

Was ist anders daran, plötzlich nicht mehr Frauen, sondern Männer zu lieben – oder umgekehrt? Erlebt man Erotik mit einem Menschen des gleichen Geschlechts anders? Welchen Vorurteilen muss man sich stellen? Ex-Miss-Schweiz Dominique Rinderknecht (29) und Ex-Kunstturner Lucas Fischer (28) kennen die Antworten. Sie waren früher beide in heterosexuellen Beziehungen, heute lieben sie Menschen des gleichen Geschlechts.

Der Aargauer hat sich Ende September beim SonntagsBlick als schwul geoutet. Die Zürcherin verriet vor knapp zwei Jahren, sich in Model Tamy Glauser (33) verliebt zu haben. Fischer und Rinderknecht teilen nicht nur ähnliche Erfahrungen, sondern finden auch in unserem Gespräch auf dem Zürcher Sechseläutenplatz sofort einen Draht zueinander. Während Passanten das Paar neugierig beobachten, unterhalten sich die beiden angeregt, posieren für Bilder und wirken dabei wie zwei alte Freunde, die sich nach langer Zeit wieder einmal treffen.

SonntagsBlick: Lucas Fischer, es ist genau drei Wochen her, dass Sie sich bei uns als schwul geoutet haben. Wie hat Ihr Umfeld auf diese Neuigkeit reagiert?
Lucas Fischer:
Sehr, sehr positiv. Ich habe viele Nachrichten und Briefe erhalten. Besonders berührend sind die Rückmeldungen von Menschen, die sich durch mein Outing gestärkt fühlen, selber zu ihrer Sexualität zu stehen. Auf der anderen Seite musste ich auch eine Enttäuschung einstecken. Einige Menschen in meinem Dorf verhalten sich mir gegenüber seit meinem Coming-out leider etwas anders. Leute, die mich vorher auf der Strasse oder bei der Busstation immer angesprochen haben, gehen mir jetzt plötzlich aus dem Weg. Das verletzt mich. Ich würde ihnen gerne sagen: «Hey, ich bin doch immer noch derselbe Mensch wie vorher.»

Dominique Rinderknecht: Das ist krass und schockiert mich. Eigentlich denkt man ja, in der Schweiz sei es heutzutage akzeptiert, schwul oder lesbisch zu sein. Doch diese Reaktion zeigt, dass es eben doch nicht überall so ist. Sehr schade.

Macht Sie das wütend?
Rinderknecht:
Ja, das macht mich wütend und traurig. Eine solche Reaktion ist nicht okay, sondern schlimm!

Was glauben Sie, ist der Grund für dieses Verhalten der Dorfbewohner?
Rinderknecht:
Ich glaube, es ist ihnen schlicht unangenehm.

Fischer: Ja genau, sie meinen es wahrscheinlich gar nicht böse. Trotzdem verstehe ich es nicht. Wir haben uns ja vor meinem Outing auch normal miteinander unterhalten. Es gibt keinen Grund, dass wir das jetzt plötzlich nicht mehr tun könnten.

Gerade im Spitzensport ist Homosexualität nach wie vor ein grosses Tabu. Welche Reaktionen haben Sie in den letzten drei Wochen von Ihren ehemaligen Kunstturner-Kollegen erhalten?
Fischer:
Es haben mir genau zwei Leute aus meiner Sportlerzeit geschrieben. Es enttäuscht mich, dass sich nicht mehr bei mir gemeldet haben.

Rinderknecht: Warum? Hättest du dir gewünscht, dass sie deine Freude beim Outing teilen?

Fischer: Ja genau – immerhin stehe ich mit manchen von ihnen nach wie vor in Kontakt. Aber gerade im Mannschaftssport ist es eben wirklich noch ein grosses Tabu. Ich hatte vor meinem Outing grosse Angst, dass meine Kollegen von früher mich danach als Lügner sehen könnten. Weil ich es immer abgestritten hatte, schwul zu sein. Aber damals habe ich es ja auch noch nicht gewusst.

Lieben beide Menschen vom eigenen Geschlecht: Lucas Fischer und Dominique Rinderknecht. Der Aargauer Lucas Fischer kam am 30. August 1990 zur Welt. 2013 wurde er Vize-Europameister im Kunstturnen, 2015 gab er seinen Rücktritt bekannt. Zusammen mit der Gruppe Holmikers gewann Fischer 2017 am Internationalen Zirkusfestival von Monte Carlo einen Bronzenen Clown. Zudem hat er eine Soloshow entwickelt.
Foto: Philippe Rossier
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Dominique Rinderknecht, haben Sie bei Ihrem Liebesouting mit Tamy Glauser vor knapp zwei Jahren auch negative Reaktionen dieser Art erlebt?
Rinderknecht:
Ja, nicht auf privater, aber auf beruflicher Ebene musste ich Tiefschläge einstecken. Es sind damals mehrere grössere Werbekunden von mir abgesprungen. Das schockierte mich. Gut möglich, dass die sich heute darüber ärgern. Aber ich bin da strikt. Wenn mich diese Kunden je wieder anfragen sollten, werde ich eine Zusammenarbeit ablehnen.

Gibt es in Ihrem beruflichen Alltag auch heute noch Situationen, in denen Sie aufgrund Ihrer Sexualität benachteiligt werden?
Rinderknecht:
Ja. Es gibt Momente, in denen ein Auftraggeber darüber bestimmen will, wie ich mich in der Öffentlichkeit zu geben habe, nur weil ich mit einer Frau zusammen bin – eine Frechheit. Mit einem Mann an meiner Seite wäre es kein Thema, wie wir über den roten Teppich laufen. Ich rede da aus Erfahrung, ich war vor Tamy ja jahrelang mit einem Mann zusammen.

Apropos: Wie haben Ihre Ex-Partner auf Ihr Liebesbekenntnis zum gleichen Geschlecht reagiert?
Fischer:
Ich habe mit meiner Ex-Freundin vorher ein langes Gespräch geführt. Sie ging sehr gut damit um. Stellte sich allerdings die Frage, ob ich schon während der Beziehung Zweifel an meiner Sexualität hatte. Doch das hatte ich nicht.

Rinderknecht: Mein Ex-Freund hat immer gewusst, dass ich auch auf Frauen stehe. Für ihn war es deshalb keine Überraschung.

Darin unterscheiden Sie sich ja von Lucas Fischer. Sie haben schon vor Ihrer Beziehung mit Tamy Glauser sexuelle Erfahrungen mit Frauen gemacht ...
Rinderknecht:
Ja, aber ich habe mich früher nie in eine Frau verliebt und hatte auch keine Beziehungen mit Frauen. Ich hatte allerdings von Anfang an die Grundeinstellung, dass es nicht darauf ankommt, ob ich mit einem Mann oder einer Frau zusammen bin. Für mich war relativ schnell klar: Ich finde beide Geschlechter interessant. So hab ich das auch meiner Familie und Freunden kommuniziert.

Sie kennen beide beides. Sie waren in Beziehungen mit Männern und Frauen. Worin liegen für Sie die grössten Unterschiede?
Fischer:
Ich fühle mich bei Männern viel geborgener, beschützter und ich bin mehr ich selber. Für mich fühlt es sich schöner an – auch im Bett.

Rinderknecht: Also grundsätzlich sind für mich Liebe und Beziehung dasselbe – egal, ob mit einem Mann oder einer Frau. Aber es gibt natürlich Themen, die als Frau mit einer Frau angenehmer sind. Wenn ich einem Mann sage, ich bin jetzt etwas hässig oder habe Schmerzen, weil ich meine Tage kriege, dann weiss er nicht, wovon ich rede. Meine Freundin hingegen weiss ganz genau, was ich durchmache. Tamy und ich tauschen zudem viele Kleider, schminken uns gemeinsam, teilen sehr viel. Ich geniesse das sehr!

Alles miteinander zu teilen, macht diese Symbiose in einer Frauenbeziehung auch die Sexualität einfacher?
Rinderknecht:
Klar, man versteht einen gleich gebauten Körper besser als den des anderen Geschlechts. Die Empfindungen sind ähnlich. Man weiss ungefähr, was der anderen gefallen könnte. Ich muss ehrlich zugeben: Ich wäre als Mann bei einer Frau wohl total überfordert (lacht). Ich möchte kein Mann sein, der sich mit dem Körper einer Frau auseinandersetzen muss, der ist viel komplexer. Aber natürlich ist auch zwischen Frauen die Kommunikation im Bett sehr wichtig. Man hat ja nicht automatisch alles gern, was die andere gernhat.

Fischer: Ich habe meine Freundinnen von Herzen geliebt, und die Liebe war nicht anders. Ich habe damals Sex mit Frauen auch genossen und schön gefunden. Aber mit einem Mann finde ich es heute einfach intensiver und noch schöner.

Als prominente Personen stehen Sie beide gerade auch mit Ihrer sexuellen Orientierung im Rampenlicht. Nach wie vor ist Homosexualität ein Thema, das nebst positiven auch für zahlreiche Negativkommentare sorgt. Wie gehen Sie damit um?
Rinderknecht:
Ich lese die Kommentare nicht mehr. Für Negativität habe ich keine Zeit.

Fischer: So weit bin ich noch nicht. Die negativen Sprüche und Postings zu meinem Outing haben mich belastet. Vor allem, wenn Leute mir vorwarfen, es wäre doch gar nicht nötig gewesen, mich öffentlich zu bekennen. Ich habe mich schliesslich hingesetzt und ein zwei Seiten langes Statement verfasst, das ich auf Facebook posten wollte. Aber ich hab es dann doch nicht veröffentlicht.

Rinderknecht: Du musst dich doch gar nicht rechtfertigen für so was!

Fischer: Ich weiss, aber ich wollte meinen Standpunkt klarmachen. Wenn es ja so normal wäre, schwul oder lesbisch zu sein, könnten wir auch heiraten. Aber das können wir eben noch nicht.

Machen wir in Hinblick auf die Kritiker ein Gedankenspiel: Wenn Sie einen Knopf drücken könnten, der Sie sofort heterosexuell macht. Würden Sie ihn drücken?
Fischer:
Nein. Weil ich die Liebe zu Männern geniesse. Es ist so schön, dass ich diese Liebe leben darf und kann. Und es ist nichts Falsches daran.

Rinderknecht: Im Gegensatz zu Lucas könnte ich ja diesen Knopf tatsächlich drücken. Ich könnte einfach sagen, ich lebe von nun an nur noch mit Männern. Aber das will und tue ich nicht. Auch wenn es aus gesellschaftlicher und rechtlicher Sicht einfacher wäre. Da kämpfe ich lieber dafür, dass wir als homosexuelle Paare dieselben Rechte kriegen, wie sie heterosexuelle Paare haben.

Welche Frage im Zusammenhang mit Ihrer Sexualität können Sie nicht mehr hören?
Fischer:
Die Frage: «Wer ist der Mann und wer ist die Frau in der Beziehung.» Dabei ist das doch genau der Punkt. Man muss es in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung eben nicht benennen.

Rinderknecht: Ja, diese Frage nervt. Das ist ja genau das Interessante, dass die Rollen nicht klar verteilt sind, sondern wechseln können. Einmal ist man selber die starke Schulter zum Anlehnen, ein anderes Mal der Partner oder die Partnerin.

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