Expertengespräch zum Thema Alkohol
«Ich würde manche Partys nüchtern gar nicht aushalten»

Was macht den Alkohol zu einer Volksdroge? Wie gehe ich am besten damit um und wo beginnt eigentlich die Sucht? Diese Fragen beantworten eine Barkeeperin, ein Partyveranstalter und ein Suchtexperte im BLICK-Dreierinterview zum Thema Alkohol.
Publiziert: 30.11.2019 um 12:05 Uhr
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Aktualisiert: 07.05.2021 um 21:20 Uhr
Interview: Patricia Broder

Ein gemeinsamer Termin war nicht einfach zu finden, doch für unsere BLICK-Serie «Volksdroge Alkohol» trafen sich drei Menschen, die von Berufes wegen mit dem Thema Alkohol zu tun haben, zum Dreierinterview: Der Partyveranstalter Reto Hanselmann (38), die Barkeeperin vom Zürcher Club Hive, Valérie Caminada (28), und der Experte Peter Eggli (60) von der Suchtfachstelle Zürich.

BLICK: Wann hattet Ihr das letzte Mal ein alkoholisches Getränk in der Hand?
Caminada:
Gestern Abend, als ich im Ausgang war. Ich wollte schon beim Schminken etwas trinken, aber ich hatte nichts daheim. Ich hab dann sogar meinen Nachbarn geschrieben, wurde aber nichts draus. Musst ich halt ohne Vorglühen los (lacht).
Hanselmann: Ich hatte vergangenes Wochenende einige Drinks. Für mich und meine Freunde ist es schon klar eine Droge, also etwas, das einen verändert, entspannt und kommunikativer macht - das erschreckt mich auch ein bisschen.
Eggli: Ich glaube, Alkohol macht es den Leuten oft einfacher, sich zu zeigen.

Man sagt ja «in vino veritas» - im Wein liegt die Wahrheit.
Caminada:
Ganz genau! (Zeigt ihr Tattoo, auf dem in vino veritas steht.) Als Barfrau erlebe ich oft, wie sich die Leute nach ein paar Drinks öffnen.
Hanselmann: Das beobachte ich bei Partys auch immer. Erst sind alle noch reserviert und ein, zwei Stunden später liegen sie sich in den Armen.
Eggli: Es kommen Emotionen hervor, die man nüchtern zurückhalten würde.

Diskutieren über Alkohol: Partyveranstalter Reto Hanselmann, die Barfrau vom Zürcher Club Hive, Valéria Caminada, und der Experte Peter Eggli von der Suchtfachstelle Zürich.
Foto: Stefan Bohrer
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Herr Eggli, was haben Sie als Experte für eine Beziehung zum Alkohol?
Eggli:
Ich trinke auch. Aber ich bin durch die traurigen Schicksale, die ich durch meinen Beruf sehe, vorsichtiger geworden. Ich trinke nicht mehr so sorglos wie als 20-Jähriger.
Hanselmann: Heute ist man auch aufgeklärter. Man weiss, wenn man viel trinkt, schadet man durch die Schadstoffe und die Kalorien seinem Körper.

Ist dieses Körperbewusstsein ein Grund, weshalb heute in unserer Gesellschaft weniger getrunken wird?
Eggli: Ja, der Gesamtkonsum vom Alkohol ist in den letzten Jahren tatsächlich zurückgegangen. Aber gerade wenn junge Leute trinken, tun sie das häufiger exzessiv bis zum Vollrausch.
Hanselmann: Genau so mache ich es ja auch. Ich trinke am Wochenende meine fünf Gin Tonics. Dafür trinke ich unter der Woche strikt keinen Alkohol.

Ist es gesünder, nur ab und zu zu trinken - dann auch mal mehr - als täglich und gemässigt?
Eggli:
Rein körperlich ist der chronische, tägliche Konsum ungesünder. Aber wenn ich einen Vollrausch habe, lebe ich dafür risikoreicher, habe eventuell eine Alkoholvergiftung, ungeschützten Sex oder mache einen Unfall.

Was macht den Alkohol zur Volksdroge?
Eggli:
Er ist überall und immer verfügbar. Es ist selbstverständlich, Alkohol zu trinken. Wenn ich in ein Restaurant gehe, wird mir die Weinkarte serviert. Und bei vielen Anlässen muss ich mich sogar rechtfertigen, wenn ich keinen Alkohol trinke.
Hanselmann: Genau aus diesem Grund gehe ich unter der Woche kaum mehr aus. Ich weiss genau, es heisst dann: «Reto, einen kannst du ja nehmen, tu nicht so doof.» Aber ich bleibe dann konsequent.
Caminada: Ich bin auch so. Wenn ich nicht trinken mag, lehne ich strikt ab. Und dann gibt es Abende, an denen ich mittrinke. Ich mag es, wenn ich etwas angetrunken bin, ein «Damenrüschli» habe. Voll besoffen bin ich sehr selten.
Eggli: Das ist sehr gut. Problematisch wird es vor allem dann, wenn ich immer mehr Alkohol brauche, um diesen Effekt zu erzielen.

Was wäre denn ein gesunder Umgang mit dem Alkohol?
Caminada:
Wenn man auch darauf verzichten kann. Mir fällt es nicht schwer, nichts zu trinken, wenn ich weiss, ich hab am nächsten Tag einen wichtigen Termin.
Hanselmann: Dieses Bewusstsein ist sehr wichtig. Als ich 18 Jahre alt war, hab ich mir keine Gedanken über mein Trinken gemacht. Ich war ein sehr süchtiger Mensch. Ich hab damals in den Zürcher Techno-Clubs gearbeitet, habe über Jahre Kokain konsumiert. Bis ich mit einer Überdosis ins Spital eingeliefert wurde. Deswegen weiss ich, was eine Sucht auslösen kann.
Eggli: Was war denn damals nicht mehr gut?
Hanselmann: Meine Herzkammer war durch das Koks gelähmt.
Eggli: Da wussten Sie, jetzt muss ich aufhören.
Hanselmann: Ja, das war wie ein Weckruf für mich.

Wo beginnt die Sucht?
Eggli:
Die Sucht beginnt eben nicht, wie viele meinen, bei der Menge, die man an Drogen nimmt, oder die man trinkt, sondern bei den Auswirkungen. Den damit verbundenen Problemen und Folgeschäden. Also, wenn es mich stresst, dass ich keinen Alkohol habe, oder ich meinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen kann, dann wird es kritisch. Aber es gibt keinen Schnittpunkt, an dem man sagen kann: Da beginnt die Sucht.

Wann suchen Süchtige Hilfe bei Ihnen?
Eggli:
Leider meistens erst, wenn es schon fast zu spät ist und sie beispielsweise ihren Job bereits verloren haben.
Caminada: Kommen die aus eigenen Stücken, oder werden sie eingeliefert?
Eggli: Manche kommen, weil sie ihren Führerschein wieder zurückhaben wollen. Die meisten kommen jedoch freiwillig. Weil sie merken, es ist nicht mehr gut, wie viel sie trinken. Es gibt auch besonders gefährdete Gruppen: Da gehört Ihr vom Gastgewerbe dazu.
Hanselmann: Ich muss zugeben, ich hätte auch Mühe, am Wochenende im Ausgang auf Alkohol zu verzichten. Ich würde manche Partys nüchtern gar nicht aushalten.
Eggli: Das ist ein ganz wichtiger Punkt: Wenn ich es fast nicht mehr aushalte, ohne Alkohol, ist das kein gutes Zeichen.
Hanselmann: Das sagt meine Therapeutin auch (lacht). Aber eben ich schütze mich, in dem ich unter der Woche strikt keinen Alkohol trinke.
Eggli: Solange man eine Grenze einhalten kann, ist es gut. Ein Süchtiger kann diese Grenze eben nicht mehr einhalten, auch wenn er das möchte und es sich noch so vornimmt. Die Kontrolle ist dann nicht mehr möglich.

Kann das jedem passieren?
Eggli:
Grundsätzlich ja. Aber es gibt eine gewisse genetische Vorbelastung. Wenn der Vater beispielsweise schon Alkoholiker war, ist das Kind gefährdeter. Der kulturelle Hintergrund spielt auch eine grosse Rolle. Wie man in der Familie mit Alkohol umgeht, prägt das eigene Trinkverhalten eines Menschen. Je nach Trinkkultur beginnt man so auch in einem jüngeren Alter mit dem Trinken.

Was können die Gastgeber einer Bar, einer Party machen, um der Problematik entgegenzuwirken?
Eggli:
Etwas vom Wichtigsten ist, den Gast immer offen zu fragen: Was möchtest du trinken? Und nicht: Möchtest du ein Cüpli oder ein Bier haben? So dass sich der Gast genau so willkommen fühlt, wenn er kein Alkohol trinkt.
Caminada: Das finde ich eine gute Idee. Das Problem ist auf der anderen Seite, ohne den Alkohol würden wir ja kaum was verdienen. Die Marge ist auf dem Alkohol am höchsten.
Hanselmann: Das stimmt. Deshalb würde ich auch keine Party ohne Alkohol organisieren. Andererseits nervt es mich als Gast auch im Restaurant, wenn ich unter der Woche keinen Alkohol zum Essen bestelle. Dann hab ich jedes Mal ein schlechtes Gewissen, dass ich zur Weinkarte «nein» sage.
Eggli: Und das ist schlecht. Es muss möglich sein, dass der Gast in einem Restaurant willkommen ist, ohne dass er Alkohol bestellt.

Was ist Ihr Tipp, um die Adventszeit, in der besonders viel Alkohol getrunken wird, ohne schlimmeren Kater zu überstehen?
Hanselmann:
Sich einige Drinks gönnen, dann aber wieder eine Pause machen.
Caminada: Rausfinden, wie viel man verträgt, so dass man am nächsten Tag trotzdem noch arbeiten kann.
Eggli: Sich keinesfalls verpflichtet fühlen, Alkohol zu trinken. Und wenn man trinkt, immer mal wieder Wasser dazwischen trinken.

Ab wann sollte man sich ernsthaft Hilfe suchen?
Eggli:
Meistens merkt es der Süchtige nicht selber. Wenn mich aber meine Freunde oder Familie darauf hinweisen, dass mein Alkoholkonsum besorgniserregend ist, dann sollte ich mir unbedingt helfen lassen.

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