«Handschrift ist eine Kultur, die ich pflege»
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Stephan Eicher:«Handschrift ist eine Kultur, die ich pflege»

Stephan Eicher (61) über den Tod seiner Eltern und Trost in der Musik
«Ich habe meine Mutter ganz alleine beerdigt»

Der Schweizer Musiker Stephan Eicher (61) über die Corona-Impfung, die Zusammenarbeit mit Martin Suter und seine vier neuen melancholischen Chansons.
Publiziert: 24.03.2022 um 00:19 Uhr
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Aktualisiert: 25.03.2022 um 12:40 Uhr
Stephan Eicher gewann 2020 den Outstanding Achievement Award der Swiss Music Awards im KKL Luzern.
Foto: keystone-sda.ch
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Daniel Arnet

Seit 40 Jahren mischt Stephan Eicher (61) in der Schweizer Musikszene mit und prägt sie mit seinem mehrsprachigen Sound. Eben hat er auf der EP «Autour de ton cou» vier sanft-schöne Chansons veröffentlicht, die er während der Pandemie als «musikalische Postkarte» an sein Publikum schrieb. In aufgeräumter Stimmung bittet der Star im Zürcher Hotel Florhof zum Gespräch.

Danke für die Postkarte, Stephan Eicher.
Stephan Eicher:
Merci, es war mir ein Vergnügen.

Als musikalische Postkarten beschreiben Sie Ihre neue EP «Autour de ton cou». Weshalb?
Während der Pandemie merkte ich, wie sehr mir das Publikum fehlt. Und ich überlegte mir, wie ich mit dem Publikum in Kontakt bleiben kann.

Da kamen Sie auf diese EP mit vier Chansons.
Ja, als Zeichen: Ich denke an euch und habe etwas gemacht, das euch gefallen könnte.

Schreiben Sie selber noch richtige Postkarten?
Ja, ich belästige meine Freunde gerne damit.

Weshalb?
Ich finde das einen schönen Gedanken: Man setzt sich hin, sucht ein Bild aus, schreibt von Hand an jemanden und klebt eine Briefmarke drauf.

Weshalb kein SMS?
Die Karte kommt nicht wie ein SMS – sssss! – sofort an. Erst nach ein paar Tagen findet man sie, dafür mit einem Magnet an einem Kühlschrank befestigt.

Wo sie jeder lesen kann.
Ich bin eine sehr diskrete Person, aber jeder Pöstler liest solche Karten.

Komponieren Sie auch handschriftlich oder tippen Sie das in den Computer ein?
Ich habe einen Notizblock neben meinem Bett und schreibe Sachen rein, die ich nie mehr entziffern kann. Aber das ist sexier als ein Computer.

Ihre aktuelle musikalische Postkarte «Autour de ton cou» ist als Serie angekündigt. Was kommt noch?
Es sind drei EPs im Laufe des Jahres geplant – und die vierte ist dann das Album.

Auf dem alle zwölf Songs zusammengefasst sind?
Nein, noch vier mehr. Aber auf dem Album werden die Lieder eine andere Form haben als auf den EPs. Ich arbeite mit einer japanischen Rapperin zusammen – das ist alles sehr komplex.

Vier mal vier Lieder – das klingt ein bisschen wie die vier Jahreszeiten.
Genau, «Autour de ton cou» ist der Frühling, dann folgen ein rockiger Sommer, ein souliger Herbst und der Winter mit kurzen schweizerdeutschen Liedern von bloss je zwei Minuten.

Aber für Frühling wirkt «Autour de ton cou» sehr melancholisch. Wie kam das?
Die nun vorliegende erste EP basiert auf dem Instrument, das ich während der Pandemie am meisten benutzte: das Klavier.

Wieso setzten Sie sich vermehrt ans Klavier?
Endlich hatte ich Zeit, mich mit dem Instrument mehr auseinanderzusetzen, auch wenn ich dadurch nicht ein Pianist wurde. Das Klavier ersetzt sozusagen ein Orchester, und mit der Stimme wollte ich das Licht des Frühlings einfangen.

Wie das?
Meine Idee: Sobald ich singe, geht der Vorhang ein bisschen zur Seite, und man sieht die Sonne draussen.

Sie haben die vier Chansons auf «Autour de ton cou» während der Pandemie im Frühjahr 2021 geschrieben. Wie haben Sie die Massnahmen erlebt?
Als die Maskenpflicht kam, war ich sehr glücklich, denn Maske zu tragen bedeutet nicht primär, sich zu schützen, sondern den Mitmenschen. Wenn man in Asien krank ist, zieht man eine Maske an, um die anderen nicht anzustecken. An die anderen zu denken, das hätte auch unsere Gesellschaft bitter nötig.

Danach kam die Impfung.
Ich liess mir sofort den Arm löchern, drei Mal hintereinander. Ich wusste, wenn ich arbeiten will, ist das der einzige Weg. Aber man hat uns zu viel versprochen.

Wieso?
Die dritte Impfung nannte man nur noch Booster, also Verstärkung – man nannte sie nicht mehr Impfung, durch die man ganz geschützt wäre. Nun sind sie an einem nächsten Booster – doch ist unser Körper bereit dafür? Ich habe ein bisschen Zweifel.

Haben Sie ein gewisses Verständnis für Impfskepsis?
Am Anfang gar nicht. Aber vor allem Frauen um die 40, die mehr auf ihren Körper hören, lassen nicht einfach alles rein.

Durch Corona gab es Spaltungen bis in Familien. Kennen Sie das auch?
Auf jeden Fall.

Haben Sie Freunde verloren?
Nein, aber es gab Krisen.

Sie haben die erste Zeit der Pandemie in der Camargue erlebt.
Das war grauenhaft. Wir durften uns damals nur im Umkreis von einem Kilometer ums Haus herum bewegen. Meine Eltern in Bern waren nicht bei guter Gesundheit, und so sagte ich: «Wir gehen in die Schweiz und verkaufen das Haus.»

Wie meistert die Schweiz die Krise im Vergleich zu Frankreich?
Der französische Präsident Emmanuel Macron schrie, die Pandemie sei Krieg. Chapeau an den Schweizer Bundesrat Alain Berset. Er kommunizierte auf eine menschliche, einfache Art: Wir sind verwirrt, haben Angst, passen wir aufeinander auf.

Der bunte Star aus der Grauzone

Stephan Eicher kommt 1960 in Münchenbuchsee BE zur Welt und wächst dort mit zwei Brüdern auf. Mit Martin gründet er 1980 die Neue-Deutsche-Welle-Band Grauzone, die mit dem Song «Eisbär» einen Hit in den deutschsprachigen Ländern landet. Nach der Auflösung von Grauzone im Jahr 1982 prägen Chansons Stephan Eichers Solokarriere. Er singt aber nicht nur auf Französisch, sondern auch auf Englisch, Italienisch und Berndeutsch. Mit seiner Adaption des «Guggisberglieds» startet Eicher 1989 durch und ist spätestens mit dem Hit «Déjeuner en paix» (1991) auch in Frankreich ein Star. 2020 bekommt er im Rahmen der Swiss Music Awards den Outstanding Achievement Award für seine Leistung für die Schweizer Musikszene, 2021 den Schweizer Grand Prix Musik vom Bundesamt für Kultur.

Stephan Eicher beim Pressetermin im Zürcher Hotel Florhof.
Thomas Meier

Stephan Eicher kommt 1960 in Münchenbuchsee BE zur Welt und wächst dort mit zwei Brüdern auf. Mit Martin gründet er 1980 die Neue-Deutsche-Welle-Band Grauzone, die mit dem Song «Eisbär» einen Hit in den deutschsprachigen Ländern landet. Nach der Auflösung von Grauzone im Jahr 1982 prägen Chansons Stephan Eichers Solokarriere. Er singt aber nicht nur auf Französisch, sondern auch auf Englisch, Italienisch und Berndeutsch. Mit seiner Adaption des «Guggisberglieds» startet Eicher 1989 durch und ist spätestens mit dem Hit «Déjeuner en paix» (1991) auch in Frankreich ein Star. 2020 bekommt er im Rahmen der Swiss Music Awards den Outstanding Achievement Award für seine Leistung für die Schweizer Musikszene, 2021 den Schweizer Grand Prix Musik vom Bundesamt für Kultur.

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Ihre Eltern starben Anfang 2021 kurz hintereinander. An Corona?
Meine Mutter an Einsamkeit, weil man sie drei Monate nicht besuchen durfte. Mein Vater hatte das Virus und starb sechs Wochen nach ihr.

Das muss ein Schock gewesen sein.
Ich habe meine Mutter ganz alleine beerdigt. Meinen Vater konnte man nicht beerdigen, das ging nicht. Ich wünsche niemandem, das erleben zu müssen.

Gibt Musik Hoffnung?
Absolut. Darum wird an Beerdigungen immer Musik gespielt. Es ist eine ganz spezielle Art von Kommunikation.

Für die aktuelle EP schrieb Ihnen Philippe Djian die Texte. Mit ihm arbeiteten Sie erstmals 1988 für das Album «My Place» zusammen.
Es gibt niemand, der wie er Songs auf Französisch schreiben kann – er kommt aus einer amerikanischen Short-Story-Kultur: John Fante, Charles Bukowski, Raymond Carver.

Und was macht Djian aus?
Er benutzt die Sprache, die man im Leben braucht, und macht daraus Literatur. Es klingt wie ein Gespräch, das man zufällig mitbekommt.

Bekommen Sie jeweils die Lyrics und schreiben dann eine Melodie oder umgekehrt?
Der Text steht am Anfang – zu 99 Prozent. Es ist ganz selten, dass ich eine Melodie habe, die ich Philippe Djian oder Martin Suter vorlege.

Wenn Sie Texte lesen – Gedichte oder Romane –, hören Sie da immer eine Melodie?
Es braucht eine Harmonie. Bei Martin-Suter-Texten schaue ich mir ein Wort an und sehe, das ist die Note F, und dann geht es zum E runter. «Weiss nid, was es isch» hatte ich in zehn Minuten komponiert – das ist faszinierend.

Aber wenn Sie einen Roman von Suter lesen, dann hören Sie nicht gleich eine ganze Symphonie.
«Die Zeit, die Zeit» hätte ich musikalisch umsetzen können, aber beim neuen Schweinsteiger-Buch hätte ich keine Chance.

Warum lassen Sie sich die Texte von Bestsellerautoren schreiben, anstatt selber zur Feder zu greifen?
Es ist bedeutend stärker, was sie können. In der Pandemie begann ich damit, ein Mixtape zu machen, mit eigenen Texten. Vielleicht veröffentliche ich es mal als Underground-Mixtape: 90 Minuten lang Eicher-Songs. Aber ist das interessant? Ich weiss nicht.

Die Liedtexte von Djian oder Suter erhalten Sie aber nicht per Postkarte, oder?
Nein, noch nicht, aber das gäbe vielleicht ein schönes Plattencover.

Stephan Eicher, «Autour de mon cou» (Universal/Polydor)

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