Ausschnitt aus dem Schweizer Film «Moskau Einfach!»
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«Die überwachen hier alles»:Ausschnitt aus dem Schweizer Film «Moskau Einfach!»

Vater Charles (72) und Sohn Micha Lewinsky (47) in ihrem ersten Doppel-Interview
«Unser erster gemeinsamer Film? Never!»

Im Zürcher Restaurant Kunsthaus: Regisseur Micha Lewinsky (47) begrüsst seinen Vater Charles (72) mit einem Kuss auf die Wange. Es folgt ein reges Gespräch zweier kreativer Köpfe über Schreibleidenschaften, jüdischen Humor und Konkurrenzkampf.
Publiziert: 16.02.2020 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 09.04.2021 um 15:02 Uhr
Jean-Claude Galli und Peter Padrutt

Charles Lewinsky, Sie waren der vielleicht erfolgreichste Schweizer Unterhaltungs-Macher, gehören längst zu den renommiertesten Schweizer Schriftstellern. Ihr Sohn ist mit seiner Komödie «Moskau einfach!» gerade in aller Munde. Hand aufs Herz, kommt da kein Neid auf?
Charles Lewinsky:
(Lacht) Lustige Vorstellung … ein Vater, der sich nicht darüber freuen würde, dass sein Sohn Erfolg hat. Ausserdem ist es ein sauguter Film.

Nun gut, die Beziehung zwischen dem kürzlich verstorbenen Kirk Douglas und dessen Sohn war kompliziert. Als Michael Kirks Paradestück «Einer flog über das Kuckucksnest» fürs Kino produzierte – mit Jack Nicholson in der Hauptrolle – gabs Zoff. Wie ist das bei Ihnen?
Charles L.:
Micha musste sich jahrelang anhören: Sind Sie nicht der Sohn von? Deshalb habe ich mich wahnsinnig gefreut, als ich vor zwölf Jahren beim Schweizer Filmpreis während der Premiere von Michas Streifen «Der Freund» zum ersten Mal gefragt wurde: Sind Sie nicht der Vater von Micha?
Micha Lewinsky: Krach? Nie. Wir haben aber auch nie zusammen gearbeitet. Ich wollte nie in einem seiner Stücke spielen, er nie in einem meiner Filme. Wenn er jetzt in «Moskau einfach!» die Hauptrolle gewollt hätte, hätten wir Streit bekommen, das ist sicher.

Aber Charles hat einen kleinen Cameo-Auftritt in «Moskau einfach!».
Micha L.:
Stimmt. Man muss aber gut hinschauen. Bei einer Spielszene läuft im Hintergrund der Schnüfeli-Song, in dem mein Vater zu sehen ist. Er hat ja die Sketches für die legendäre Sendung «Traumpaar» geschrieben.

Charles Lewinsky (l.) und sein Sohn Micha Lewinsky beim gemeinsamen Gespräch mit SonntagsBlick im Restaurant Kunsthaus in Zürich Mitte Februar 2020.
Foto: Philippe Rossier
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Ist das eine Reminiszenz oder ein Seitenhieb?
Charles L.:
Micha suchte wohl die doofste TV-Sendung, die es damals gab. Und kam prompt auf eine von mir.
Micha L.: Für mich wars ganz klar eine Ehrerbietung, eine liebevolle. Wir suchten nach Dingen, die uns an die damalige Zeit erinnerten. Das waren Kleider, Autos, und da war das Schnüfeli. Schnüffeln und Schnüfeli passen auch gut zusammen, das fand ich komisch.

«Traumpaar» war sehr erfolgreich …
Charles L.:
Wie viele Jahre ist das her? Diese Quizsendung ist mehrfach verjährt.

Herr Lewinsky, Ihr Sohn wurde als 14-Jähriger fichiert, weil er Kontakt mit der russischen Botschaft hatte. Hatten Sie ihn nicht im Griff?
Charles L.:
Man hat ja erst später erfahren, dass man fichiert wurde. Das war alles so lächerlich. Ich habe nie nachgefragt, ob man auch mir nachspionierte. Allein schon die Tatsache, dass man einen Schüler fichierte, der Material für einen Geografie-Vortrag über die Transsibirische Eisenbahn sammelte, zeigt, wie total bireweich das war.

Aber wie kam man auf die Idee, dass Sie ein Jugend-Rebell hätten sein können, Micha?
Micha L.:
Es gab ja noch kein Internet, und ich war zu faul, um in einer Bibliothek Recherchen anzustellen. Also handelte ich sehr effizient, beinahe journalistisch, und rief jemanden an, der im Telefonbuch stand. Ein richtiger Rebell war ich nie, dazu wurden mir zu Hause zu wenig klare Grenzen gesetzt.
Charles L.: Das heisst, ich war zu wenig streng mit dir, darum konntest du nicht rebellieren. Und das fehlt dir nun (beide lachen).

Wie war Charles als Vater? Ein Alpenkalb, das am Mittagstisch Witze machte?
Micha L.:
Die Formulierung gefällt mir. Er war oft lustig. Aber umgekehrt ist es doch auch so, dass die eigene Familie immer so normal ist.
Charles L.: Stimmt, ich habe mich morgens pünktlich an den Schreibtisch gehockt und die ganze Zeit in die Tastatur gehackt. Das war schon sehr normal. Wie hat Tolstoi gesagt? «Alle glücklichen Familien gleichen einander. Jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Art unglücklich.» Die eigene Familie nimmt man immer als Massstab.

Sie arbeiten wie einst Thomas Mann, Charles – sehr diszipliniert.
Micha L.:
Aber der Unterschied ist: Thomas Mann war ein unangenehmer Typ im Gegensatz zu dir. Du hast es gerne harmonisch, du suchst keinen Streit. Ich weiss nicht, ob ich bei Thomas Mann hätte im Nebenzimmer sitzen wollen. Da herrschte wohl ein anderes Regime.

Erzählte Ihr Vater denn, was er sich in der Schreibstube jeweils gerade ausgebrütet hatte?
Micha L.:
Er hat uns oft gefragt: Über was könnte ich jetzt noch eine Folge «Fascht e Familie» schreiben? Hat jemand eine Idee? Jemand sagte: «Klassentreffen!» Und du gingst dann in den Keller und machtest eine Episode daraus.
Charles L.: Ja, ich brauchte so viel lustigen Stoff. Da nahm ich alles.

In Ihrem Roman «Melnitz» haben Sie die Geschichte der Juden in der Schweiz über vier Generationen nachgezeichnet. Auffallend ist: Im Werk von Vater und Sohn gibt es viel Lustiges. Gibt es den jüdischen Humor?
Charles L.:
(Leicht genervt) Nein, den jüdischen Humor gibt es nicht. Es gibt Menschen mit Humor und solche ohne.

Ist es fast schon eine Beleidigung, von jüdischem Humor zu sprechen?
Charles L.:
Nein, aber ein Denkfehler. Es ist ein Ausgrenzungsvorurteil, aber ein positives. Gehen Sie mal an eine Gemeindeversammlung von Juden und Sie werden feststellen: Die haben weniger Sinn für Humor als ein Chüngelizüchterverein.

Doch es gibt auch Woody Allen, Billy Wilder, die Marx Brothers ...
Micha L.:
Ich glaube, es ist wichtig, dass man versteht, dass nicht alle Juden Humor haben.

Dann ist es ein Klischee zu sagen, Juden hätten aus einer Leidenssituation heraus Humor entwickelt?
Charles L.:
Was man heute als jüdischen Humor bezeichnet, ist wirklich erst im 18. Jahrhundert entwickelt worden. Und zwar als sich die jüdische Gemeinschaft aufsplitterte – in religiöse und liberale. So entstanden Spannungen, und daraus entwickeln sich Pointen. Wo alle gleich sind, gibt es keinen Humor.
Micha L.: Für mich gibt es eine besondere Eigenart von jüdischem Humor: Dass man über Tragisches Witze machen kann, ohne dass es unsensibel ist.
Charles L.: Eigentlich kann man immer nur nur über tragische Dinge Witze machen, finde ich.
Micha L.: Ich will dir jetzt nicht zu nahe treten: Dein Chifler-Humor entstand ja nicht gerade aus dem Tragischen ...
Charles L.: Ja, aber da liess ich ein Unterhaltungsmaschineli laufen, mehr war das nicht.

Sie distanzieren sich von Ihren früheren Arbeiten?
Charles L.:
Nein, aber wenn jemand möchte, dass ich fünf Minuten lang das Publikum zum Lachen bringe, kann ich das ohne Problem. Aber ich selber kann nicht lachen darüber. Ich kann mich erinnern, dass ich dringend einen Chifler-Sketch schreiben musste, weil Deadline war. Und kurz davor war ein guter Freund gestorben. Ich weinte auf die Tastatur, während ich einen lustigen Sketch schrieb.

Haben Sie den fertigen Film «Moskau einfach!» schon gesehen, Charles Lewinsky?
Charles L.:
Klar, das lasse ich mir doch nicht entgehen. Meine erste Reaktion war: «Dä Chäib chas würkli.» Ein guter Film, vor allem das innere Tempo. Und in seiner Sachlichkeit, wie die Absurdität dieser Situation dargestellt wurde.

Warum brauchte es so lange, bis ein Spielfilm über so einen Stoff möglich war?
Charles L.:
Bis man die verdammte Finanzierung zusammenhat, dauert länger, als den Film zu schreiben und ihn zu drehen.
Micha L.: Diesmal war es anders. Wir sassen acht Jahre dran und wollten einfach nicht etwas verfilmen, was erst halbgar war. Als das Buch passte, ging es dann auch mit der Finanzierung fix, und wir konnten die Produktion rasch starten. In der Schweiz hat sich etwas verändert. Mit «Platzspitzbaby», «Zwingli» etc. kommen grössere und auch historische Filme aus der Schweiz, die noch vor einigen Jahren nicht möglich gewesen wären. Das kommt davon, weil sich die Rahmenbedingungen der eidgenössischen Filmförderung verändert haben.

Aber an den Fichenskandal hat sich bisher noch niemand gewagt, warum?
Micha L.:
Ich glaube, das kommt daher, dass die Wunden immer noch so frisch sind und alle noch sehr verstört. Und irgendwie ist die Schweiz ein Land, welches sich kaum an die eigenen Konflikte traut. Anders als Deutschland, das seine Probleme scheinbar pausenlos aufarbeitet.

Charles Lewinsky, Sie schreiben heute ernsthafte Romane. Aber Ihre Sitcoms und witzigen Schlagertexte fehlen uns. Hatten Sie die Kritik an der leichten Muse satt?
Charles L.:
Viele Leute, vor allem Journalisten, konnten beides nie trennen. Das eine war ein Beruf, mit dem ich meine Familie ernährte, damit etwas auf den Tisch kam. Und das andere schrieb ich für mich. Ich hätte mir damals gar nicht erlauben können, nur Bücher zu schreiben, sonst hätte es dann geheissen: Warum ist kein Nutella im Haus?
Micha L.: Also Nutella gabs bei uns sowieso nie (lacht). Aber du hattest den Mut, irgendwann zu sagen, jetzt ist fertig.
Charles L.: Genau, ich hätte auch mit Unterhaltung weitermachen können und wäre jetzt reich. Aber ich wäre verblödet.

Und wenn jetzt Frau Wappler käme und sagen würde: Wir versuchen es nochmals mit «Fascht e Familie»?
Charles L.:
Dann würde ich sagen: Viel Glück, ich schaus mir dann mal an. Das ist so etwas von vorbei (schüttelt den Kopf).

Ist die Zeit der Sitcoms endgültig vorbei?
Micha L.:
Ich weiss nicht … Ich habe heute gar keinen Fernseher mehr … Ich kenne auch keine US-Sitcoms, kenne mich schlicht nicht aus. Aber ich habe die Hoffnung, dass nun beim Film ein Drehpunkt kommt, bei Werken, die vom Fernsehen koproduziert werden. Zurzeit strömen die Leute ins Kino, um wieder ambitionierten Filme zu sehen, die historische Stoffe aufarbeiten.

Wann kommt Ihr erster gemeinsamer Film?
Charles L.:
Never. Das käme nicht gut. Wir haben eine ganz andere Art, an Geschichten heranzugehen. Ich bin ein Einzelarbeiter, schliesse mich wochenlang ein. Was ich mir rein theoretisch vorstellen könnte: Ich hätte einen Einfall und würde sagen, das wäre eventuell ein Filmstoff. Aber du müsstest ihn dann erfinden und entwickeln.
Micha L.: Ich geb dir dann auch einen … (lacht) Einfälle hat man rasch.

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