Kathryn Bigelow bringt mit «Detroit» ein Rassendrama ins Kino
Männliche Gewalt durch die Augen einer Frau

Sie ist die erfolgreichste Regisseurin Hollywoods, und dennoch kennen ihren Namen nur die wenigsten. Jetzt hat Kathryn Bigelow (65) mit dem Rassendrama «Detroit» einen neuen Film am Start, mit dem sie ihren zweiten Oscar gewinnen könnte.
Publiziert: 21.11.2017 um 16:55 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 14:15 Uhr
Jonas Dreyfus

Ein Stichwort: «Gefähr­liche Brandung». Der ­Titel sagt Ihnen nichts? Dann waren Sie 1991 höchstwahrscheinlich noch zu jung, um sich Actionfilme anzusehen.

Der Streifen über einen attraktiven Undercover-Polizisten (Keanu Reeves), der sich an die Fersen eines noch attraktiveren Gangsters und Surfers heftet (Patrick Swayze), war einer der erfolgreichsten Filme des Jahres, das Jahr 1991 selbst eines der erfolgreichsten in der Geschichte Hollywoods. «Gefährliche Brandung» (englischer Titel: «Point Break») musste sich damals gegen Blockbuster wie «Terminator 2» oder «Das Schweigen der Lämmer» beweisen und bleibt bis heute der grösste Hit von Kathryn Bigelow. Die Regisseurin ist Hollywoods Frau fürs Grobe, was sie mit Thrillern wie «Blue Steel», «Strange Days» oder «K-19 – Showdown in der Tiefe» bewies. Und bis heute die einzige Regisseurin, die mit sogenannten Männerfilmen Geld umsetzt. Ziemlich viele Superlative für jemanden, dessen Namen die wenigsten kennen.

Ihre Filme sollen für sich selbst sprechen

Man könnte jetzt vermuten, der tiefe Bekanntheitsgrad sei auf ihr Geschlecht zurückzuführen. In Anbetracht der Sexismus-Debatte in Hollywood, angeheizt von den Enthüllungen um den Produzenten Harvey Weinstein, wäre das naheliegend. Aber nein: Kathryn Bigelow will es so. «Meine Arbeit soll für sich selbst sprechen», sagt sie in Interviews.

«Der grösste Moment meines Lebens»: Bigelow erhält 2010 für «The Hurt Locker» als erste Regisseurin den Oscar für die beste Regie.
Foto: AP
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Das tut auch ihr oscarverdächtiger Neuling «Detroit»: für sich selbst sprechen. Er spielt in der gleichnamigen Stadt und basiert auf einem Zwischenfall während der dortigen Rassenunruhen im Jahr 1967, bei denen 43 Menschen starben.

Noch nie hat jemand Polizeigewalt an Schwarzen in all ihrer physischen und psychischen Brutalität so realistisch auf die Leinwand gebracht wie Bigelow. Unter anderem mit Hilfe von Zeitzeugen rekonstruiert sie eine Nacht, in deren Verlauf weisse Polizisten drei junge schwarze Männer kaltblütig hinrichten. Ein Happy End in Form von Gerechtigkeit gibt es keines. Auch keine Filmfigur, die den Horror für den Zuschauer auf irgendeine Weise einordnet und erklärt.

Bigelow will die Begebenheiten so zeigen, wie sie stattfanden, damit sie sich nicht wiederholen. In einem Interview mit dem «Guardian» zählt sie die Namen von vier ­Afroamerikanern auf, die seit Drehbeginn von «Detroit» durch sinn­lose Polizeigewalt starben. «In Amerika gibt es wenig Bereitschaft, sich mit Rassenproblematik aus­einanderzusetzen.»

Eine Filmkritikerin verglich sie mit Leni Riefenstahl

Das mag einer der Gründe sein, warum «Detroit» in den USA, wo er bereits im Sommer lief, relativ wenige Zuschauer in die Kinos lockte. Auch nicht geschäftsfördernd war eine Kontroverse, ausgelöst von einer afroamerikanischen Kritikerin. Sie bezeichnete Bigelow als weisse Kreative, die sich der Heftigkeit der Bilder, mit denen sie hantiere, nicht bewusst sei.

Die Regisseurin musste sich schon im Zusammenhang mit «Zero Dark Thirty» einiges anhören. In ihrer dokuartigen Verfilmung der Jagd nach Osama Bin Laden hatte sie die Foltermethode des Waterboardings während eines Verhörs gezeigt, was ihr als Folterpropaganda ausgelegt wurde und ihr einen Vergleich mit Nazi-Regisseurin Leni Riefenstahl einbrockte. 
Gerechtfertigt oder nicht: Reaktionen wie diese zeigen, wie nah sich Bigelow mit ihren Filmen an die gesellschaftlichen Pulverfässer heranwagt. Kein Wunder, wäre die 1,82 Meter grosse Amerikanerin am liebsten unsichtbar. Eine verspiegelte Pilotenbrille ist ihre treue Begleiterin, kombiniert mit einer tief in die Stirn gezogenen Baseballmütze. Wenn sie doch mal für ein Foto posieren muss, wirkt ihr Gesicht versteinert.

Selbst als die Film-Academy Bigelow im Jahr 2010 als erster Frau den Oscar für die beste Regie verlieh, zeigte sie nur gerade so viel Gefühl wie nötig, dankte all ihren Mit­arbeitern, darunter ausschliesslich Männer, und allen amerikanischen Soldaten. Die Auszeichnung hatte es für «Tödliches Kommando – The Hurt Locker» ­gegeben. Der grandiose Kriegsfilm gewann insgesamt sechs Oscars. Auch für den besten Film. Damit besiegte Bigelow sogar ihrenEx-Mann James Cameron, der «Avatar» ins Rennen geschickt ­hatte. Und Quentin Tarantino mit «Inglourious Basterds», der den ­Triumph Bigelows als erste Regisseurin mit Oscar mit dem Sieg ­Obamas zum ersten schwarzen US-Präsidenten verglich.

Gewalt als männliches Machtinstrument

Der Oscar-Moment hätte sich nur so angeboten für einen feministischen Appell. Doch Bigelow überlässt das lieber Stars wie Meryl Streep. Die Ungleichheit in der Filmindustrie sei bedauernswert, sagt sie. «Doch ich habe mich nie als weiblichen Regisseur betrachtet, sondern einfach als Regisseur.»

Bigelow stammt aus einer liberalen Familie, wuchs in einer kalifornischen Kleinstadt auf, als einziges Kind einer Bibliothekarin und eines Geschäftsführers einer Farbfabrik.

Nach dem Studium verschlägt es sie nach Manhattan, wo sie in den 1970er-Jahren als Malerin Fuss fasst und zum festen Bestandteil ­einer kreativen Clique wird, zu der Intellektuelle wie Schriftstellerin Susan Sontag, der Fotograf Robert Mapplethorpe oder die Musikerin Laurie Anderson gehören.

Bigelow beginnt, kleine Kunst­filme zu drehen, fällt mit ihrem ­Talent auf und absolviert mit einem Stipendium erfolgreich einen Mastergang am Filminstitut der Columbia-Universität, das Regisseur Miloš Forman («Einer flog über das ­Kuckucksnest») leitet.

Sie sei schon damals fasziniert gewesen von der politischen Komponente von Gewalt, sagt Bigelow heute. Bereits ihr erster Kurzfilm handelt von zwei Typen, die sich verprügeln. Noch heute zeigen ihre Filme eine patriarchalisch beherrschte Gesellschaft, in der Gewalt strategisch als Machtinstrument eingesetzt wird.

Eine Gewaltspirale, aus der es kein Entrinnen gibt

Detroit im Sommer 1967. Während Rassenunruhen kommt es im Motel Algier zu einer Tragödie: Weisse Polizisten ermorden drei Schwarze und verletzen sieben weitere Personen, darunter zwei weisse Frauen, demütigen sie, prügeln sie fast zu Tode. Und kommen ohne Strafe davon.

Kathryn Bigelows auf wahren ­Begebenheiten basierender Film saugt den Zuschauer in eine ­Gewaltspirale hinein, aus der es kein Entrinnen gibt.

Es ist das Verhältnis vom Grossen zum Kleinen, vom Draussen zum Drinnen, das «Detroit» so drastisch macht. Durchs urbane Krisengebiet rollen Panzer. Mittendrin aufgebrezelte Kids, die sich an einem Hotelpool ­vergnügen. Von weitem Gewehrschüsse. Im Theater singen die Supremes. Schon die Soundeffekte haben einen ­Oscar verdient.

Die Besetzung: eine Truppe junger, hoch motivierter Schauspieler wie John Boyega (25), bekannt als Finn aus «Star Wars: The Force Awakens»; oder der 24-jährige Will Poulter («The Revenant»), der einem in seiner Rolle als Ober-Rassist das Blut in den Adern gefrieren lässt. Auffällig viele Briten sind ver­treten. Es war wohl nicht einfach, in den USA Schauspieler für den Film zu finden. Dort ist das Thema viel zu brisant.

«Detroit» von Kathryn Bigelow läuft ab 23. November in Schweizer Kinos.

Detroit im Sommer 1967. Während Rassenunruhen kommt es im Motel Algier zu einer Tragödie: Weisse Polizisten ermorden drei Schwarze und verletzen sieben weitere Personen, darunter zwei weisse Frauen, demütigen sie, prügeln sie fast zu Tode. Und kommen ohne Strafe davon.

Kathryn Bigelows auf wahren ­Begebenheiten basierender Film saugt den Zuschauer in eine ­Gewaltspirale hinein, aus der es kein Entrinnen gibt.

Es ist das Verhältnis vom Grossen zum Kleinen, vom Draussen zum Drinnen, das «Detroit» so drastisch macht. Durchs urbane Krisengebiet rollen Panzer. Mittendrin aufgebrezelte Kids, die sich an einem Hotelpool ­vergnügen. Von weitem Gewehrschüsse. Im Theater singen die Supremes. Schon die Soundeffekte haben einen ­Oscar verdient.

Die Besetzung: eine Truppe junger, hoch motivierter Schauspieler wie John Boyega (25), bekannt als Finn aus «Star Wars: The Force Awakens»; oder der 24-jährige Will Poulter («The Revenant»), der einem in seiner Rolle als Ober-Rassist das Blut in den Adern gefrieren lässt. Auffällig viele Briten sind ver­treten. Es war wohl nicht einfach, in den USA Schauspieler für den Film zu finden. Dort ist das Thema viel zu brisant.

«Detroit» von Kathryn Bigelow läuft ab 23. November in Schweizer Kinos.

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Auch wenn sie das nie so äussern würde: Bigelows Filme wirken gerade deshalb so brutal, weil sie männliche Gewalt durch die Augen einer Frau zeigen.

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