Der Wahrsager blickt in die Vergangenheit
Sagt Mike Shiva die Wahrheit?

Mike Shiva sucht die Öffentlichkeit. Sein jüngster Streich: ein Buch. Er spürt, dass es sich sehr gut verkaufen wird.
Publiziert: 01.10.2018 um 09:12 Uhr
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Aktualisiert: 06.10.2018 um 21:06 Uhr
Mike Shiva: «Ich zwinge niemanden, mich anzurufen.»
Foto: Siggi Bucher
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Aline Wüst

Obwohl Mike Shiva schlecht sieht, blickt er weiter als andere. Bis in die Zukunft. Begnadeter Wahrsager nennen ihn die einen, nervigster Schweizer andere. Er selber sagt: «Ich bin glücklich und zufrieden mit meinem Leben.» Shiva sagt das so oft und bei jeder Gelegenheit, dass einen das Gefühl beschleicht, der Hellseher sage nicht die Wahrheit.

Auch letzte Woche in seiner Wohnung in Basel betonte er, wie «happy» er doch sei. So richtig gelöst sieht der Mann, der sein Alter geheim hält, allerdings nicht aus.

Seinen Körper habe er selber ausgesucht, schreibt Shiva

Spiegel gibt es viele in Shivas Wohnung. Bücher nicht. Kein einziges. Dafür gibt es nun ein Buch über ihn. Also von ihm. Darin schreibt Shiva, wie gut es ihm gehe – und wie gut er sei.

Blickt der Mann mit Stirnband in die Vergangenheit, geht er auch da weiter als alle anderen. Vor seine Geburt. Er schreibt, er habe sich aussuchen können, in welchen Körper er geboren werde. Er habe echte Optionen gehabt. Auswählen konnte er auch die Mama. Über sie sagt er heute, dass sie seine beste Freundin sei. Die Mama über ihn, dass sie der Mittelpunkt seines Lebens sei.

Shiva war ein braver Junge, immer pünktlich in der Schule, nie zu spät zu Hause. Kein Rebell in der Teenagerzeit. Einzige Wermutstropfen: Er musste öfter allein essen, weil seine Eltern ein Restaurant führten. Dafür war seine Oma immer da. Sie ist nach der Mama der zweite seiner drei Lieblingsmenschen. Nummer drei ist der Grosspapa, ein Zirkusartist, der ihn stets ermutigte. Hellsichtig sei er schon als Kind gewesen. Habe gar den Tod eines Mitschülers vorausgesehen. Die anderen Kinder in der Schule interessierten ihn nicht sonderlich. Stattdessen tauchten einmal dunkle Gestalten in seinem Zimmer auf. Sie machten ihm Angst. Er lernte damit umzugehen.

«Anderen Menschen Mut machen»

Statt eine Lehre zu machen, stand er auf Bühnen. Bekannt wurde er mit Massenhypnosen. Dann kam das Kartenlegen hinzu. Shiva ist überzeugt, dass er die Menschen mit seiner Fähigkeit weiterbringen kann. Tausende von Dankesbriefen habe er bereits bekommen. «Ich muss damit nicht missionieren. Darum habe ich sie alle vernichtet», sagt er. Er habe einen direkten Draht ins Universum. Aber kein Helfersyndrom. Er wolle den Menschen Mut machen, ihnen aufzeigen, dass es aus jeder Situation heraus einen hoffnungsvollen Ausweg gibt. Es geht ihm um das Gute. Das will er verbreiten.

Und verbreitet darum auch sich selbst. Seit Jahrzehnten ist er nun im Fernsehen zu sehen. Nicht nur als Wahrsager. Jüngst zog er ins «Promi Big Brother»-Haus. Traumatisiert sei er von dieser Erfahrung, sagt Shiva in der Küche seiner Wohnung, wo ein pinkfarbener Seifenspender in Pudelform steht. Der echte Pudel – Chocolat – trägt gerade ein Plüschschwein durch die Stube. Der Hund darf in Shivas Bett schlafen. Platz für jemand anderes ist da deshalb nicht. Seit 20 Jahren ist Shiva Single. Und eben: Auch das sei gut so.

Vier Tage lag er mit Fieber im Bett nach dem Auszug aus dem «Big Brother»-Haus. Im vergangenen Jahr warb er auf Plakaten für ­einen Telefonanbieter mit zugeklebtem Mund. «Lass dir keinen unnötigen Service aufschwatzen!», stand daneben.

Gutmensch oder Hochstapler?

Warum tut Shiva das? Nicht fürs Geld und nicht, um Aufmerksamkeit zu heischen, sagt er. «Einfach, weil es Spass macht, verrückte Dinge auszuprobieren.» Dass Menschen sich über ihn lustig machen, stört ihn nicht. «Ich habe keine Zeit, mich mit der Meinung von Menschen auseinanderzusetzen, die mich gar nicht kennen.»

Shiva ist freundlich. Freunde sagen, er sei so nett, dass er manchmal ausgenutzt werde. Zugleich ist das der Vorwurf, der ihn schon sein ganzes Leben lang begleitet: Er nutze die Unsicherheiten und Notlagen von Menschen aus, um ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Shiva verneint. Er sei fair, seine Prognosen zuverlässig. Sein bestes Argument: «Ich zwinge niemanden, mich anzurufen.» Wer anruft, bezahlt 3.50 Franken pro Minute.

Das Geschäft mit den Sehnsüchten der Menschen

Sein Geld macht Shiva eigentlich nicht mit der Zukunft, eher mit den Sehnsüchten der Menschen. Thema Nummer eins in seinen Beratungen: die Liebe. Dass gerade er da kein glückliches Händchen hat, wischt er beiseite. «Ich verstehe mehr von der Liebe als mancher, der gerade verliebt ist.» Was er weiss, gibt er weiter. Zum Beispiel an Brigitte (64). Sie wollte kürzlich telefonisch wissen, ob ein Partner in Aussicht sei. Shivas gekürzte Antwort: «Die Karten sind tipptopp. Du sollst dich aber nicht ablenken lassen von Erfahrungen, die du schon gemacht hast. Die haben wir alle gemacht. Sonst wären wir nicht allein. Aber man muss nicht immer in der Vergangenheit rumhangen und auf die Tränendrüsen drücken. Ein Jammertal, das interessiert kein Mensch, verstehst du? Man will eine aufgestellte tolle Brigitte. Dann wird das gut.»

Sagt das auch etwas über Shiva selbst aus? Immer gute Laune haben, denn wer interessiert sich schon für ein Jammertal.

Auch in seine eigene Zukunft schaue er hin und wieder. Das sei praktisch. Ob sich das Buch gut verkaufen werde, hat er die Karten nicht speziell gefragt. Aber er habe ein sehr gutes Gefühl.

Ob der Mann, der für jeden Spass auf seine Kosten zu haben ist, tatsächlich so glücklich ist, wie er immer sagt, diese Frage beantwortet allerdings auch sein Buch nicht.

Shiva lässt sich nicht in die Karten blicken

Bleibt ein letzter Versuch, die Wahrheit zu erfahren. Auf Mike Shivas Homepage gibt es Rat per SMS. 4.50 kostet eine Nachricht. Die Frage ist schnell getippt: «Ist der Mann, den ich gestern getroffen habe, ein ehrlicher Mensch?»

Shivas Antwort kommt einen halben Tag später. Diesen Mann (also sich selber) sieht er nicht in den Karten. Dafür Treue und Aufrichtigkeit. «So sollte diese Person kein Problem sein und somit auch gute Absichten haben.» Die Frage, ob er ehrlich sei, bleibt unbeantwortet – Mike Shiva lässt sich nicht in die Karten blicken. Nicht einmal von sich selber.

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