Sexual-Straftäter Peter Vogt will mit Exit sterben – missbrauchte Petra Hartmann hat kein Verständnis
«Wir Opfer leiden auch ein Leben lang!»

Vergewaltiger machten Petra Hartmanns Leben zur Hölle. Sie wurde missbraucht, schon als Kind, jeder Würde enteignet. Jetzt plädiert der verwahrte Sexualstraftäter Peter Vogt auf Sterbehilfe. Auch er habe einen würdevollen Tod verdient, meint er.
Publiziert: 13.01.2020 um 23:13 Uhr
|
Aktualisiert: 14.01.2020 um 16:38 Uhr
Helena Schmid

Er vergewaltigte Frauen und Kinder. Peter Vogt (69) ist seit 25 Jahren eingesperrt. Ein Leben in Freiheit wird er niemals führen dürfen. Die Behörden fürchten, er könnte wieder zuschlagen. Peter Vogt will seinem Leben im Gefängnis ein Ende setzen. Mit Exit. Als BLICK ihn im Knast besuchte, argumentierte er: «Jeder sollte in Würde sterben dürfen. Egal, was er getan hat.»

Petra Hartmann (49) wurde ihrer Würde schon als Kind beraubt. Sexualstraftäter wie Vogt haben sie ihr genommen. Sie wurde missbraucht, mehrfach. Dass ein Peiniger wie Vogt ein Recht auf Sterbehilfe erhalten soll, versteht sie nicht: «Er verhöhnt seine Opfer. Hat er ihnen doch unwiderruflich die Würde genommen.»

Ihre Leidensgeschichte beginnt mit vier Jahren. Das Mädchen wird ihrer Familie entrissen, wächst bei Pflegeeltern auf, bei Fremden. Nicht als Tochter, nicht als Kind, sondern als Sklavin.

Missbrauchsopfer Petra Hartmann hatte schon als Kind Suizidgedanken. Erst Exit habe ihr den Lebensmut zurückgegeben, sagt sie.
Foto: Andrea Brunner
1/7

Als Kind wollte sie vor Lastwagen springen

Sie muss Unkraut jäten, Beeren pflücken, putzen, im Haushalt helfen. Und die sexuellen Bedürfnisse ihrer Pflegefamilie befriedigen. Gehorcht sie nicht, gibt es Strafen oder Schläge. Hartmann: «Häusliche und sexuelle Gewalt gehörten zu meinem Alltag. 15 Jahre lang.»

Ihren eineinhalb Kilometer langen Schulweg muss das Mädchen zu Fuss gehen. Nicht mit dem Velo oder Bus wie andere Kinder. «Als ich da täglich der Strasse entlangging, überlegte ich häufig, einfach vor den nächsten Lastwagen zu springen», sagt sie.

Damals war Petra Hartmann sechs Jahre alt. Die Gedanken an Suizid sollten sie noch bis weit ins Erwachsenenalter begleiten. «Alle haben gewusst, was mit mir gemacht wird. Doch niemand hat mich geschützt.»

An Chilbi von mehreren Männern vergewaltigt

Dann beginnt Hartmann eine Ausbildung, lebt unter der Woche im Lehrbetrieb. Der Teenager entkommt dem Martyrium – zumindest für ein paar Tage. Die Ruhe hält nicht lange.

Mit 17 Jahren besucht Hartmann eine Dorfchilbi. Sie ist betrunken. «Auf einem Holztisch neben dem Festzelt wurde ich von mehreren Männern vergewaltigt», sagt sie. Wie viele es waren, wisse sie nicht mehr. Nur, dass die Chilbi-Besucher zugesehen und nicht eingegriffen hätten.

Tags darauf, im Spital: Der Arzt erzählt ihr, man habe sie am Unterleib nähen müssen. «Niemand konnte mir sagen, wie ich in dieses Spitalbett kam. Ob die Polizei eingegriffen hat, weiss ich bis heute nicht.»

«Ich machte mir Vorwürfe»

Es folgen schmerzvolle Jahre. Hartmann ist traumatisiert, schämt sich. «Es fühlte sich an, als hätte man mir in jener Nacht die letzte Würde genommen.» Anvertrauen kann sie sich niemandem. «Ich habe nur noch funktioniert, verdrängte die Erlebnisse. Nur Vorwürfe machte ich mir noch: Warum hatte ich an jenem Abend so viel getrunken.»

Sieben Jahre später finden die Ärzte bei ihr HPV. Das sind Viren, die bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr übertragen werden können – Hartmann wurde während der Gruppenvergewaltigung angesteckt. Die Folge: Gebärmutterhalskrebs.

Sie muss sich mehrfach operieren lassen. Und sich gleichzeitig immer wieder mit dem Erlebnis auseinandersetzen, das sie krank machte.

Exit gab ihr den Lebensmut zurück

Regelmässig erlebt sie Flashbacks. Manchmal schon, wenn jemand im Bus nach Alkohol riecht. Oder Festmusik läuft. Hartmann: «In solchen Momenten erlebt man alles noch einmal. Die Angst, Panik, sogar den physischen Schmerz.»

Mit 30 Jahren meldet sie sich bei Exit an. Für Hartmann ein erster Schritt in Richtung Stabilität. «Seit ich Mitglied bei Exit bin, habe ich keine Selbstmordgedanken mehr», sagt sie. «In meinem Leben durfte ich nie entscheiden. Mir wurde jede Würde genommen. Doch nun kann ich mich immerhin selbstbestimmt für den Tod entscheiden, sollte ich das Leben nicht mehr aushalten. Für einen würdevollen Tod.»

Straftätern wie Peter Vogt stünde dieses Recht nicht zu, meint Hartmann. «Sein Leid hat er durch die Taten selbst verursacht. Das darf keine Voraussetzung für Exit sein. Er will sich doch einfach aus der Verantwortung stehlen», sagt sie.

«Täter haben keine Zukunft verdient»

Erst als sie 40 Jahre alt war, überwand sich Petra Hartmann, zur Therapie zu gehen. Es dauerte noch weitere fünf Jahre, bis sie zum ersten Mal über die Gruppenvergewaltigung sprechen konnte.

Heute unterstützt sie Opfer von sexueller Gewalt und deren Angehörige. Begleitet sie zum Prozess ans Gericht oder zur Untersuchung ins Spital. Im Oktober vergangenen Jahres gründete sie den Verein Vergissmeinnicht, der sich für schärfere Gesetze im Bereich Missbrauch und Gewalt einsetzt.

Während der Therapie lernte sie, mit ihrer eigenen Vergangenheit umzugehen, Flashbacks zu verhindern. Doch die Wut gegen die Täter bleibt. «Täter haben keine Zukunft verdient, kein Vergeben oder Vergessen. Wir Opfer leiden auch. Ein Leben lang.»

Hier findest du Hilfe

Diese Stellen sind rund um die Uhr für Menschen in suizidalen Krisen und für ihr Umfeld da:

Adressen für Menschen, die jemanden durch Suizid verloren haben

Diese Stellen sind rund um die Uhr für Menschen in suizidalen Krisen und für ihr Umfeld da:

Adressen für Menschen, die jemanden durch Suizid verloren haben



Fehler gefunden? Jetzt melden