Prämien-Initiative: Das sagen Profiteure und Verlierer
«Ich bin nicht bereit, mein Portemonnaie hinzuhalten»

«Wir können Arztrechnungen kaum noch pünktlich bezahlen», ärgert sich Kioskverkäufer Roman Hirzel im Gespräch mit Blick, die Prämienentlastungs-Initiative sei deshalb dringend nötig. Solar-Unternehmer Hans-Peter Stöckl hält dagegen: «Das ist ungerechte Umverteilung.»
Publiziert: 26.05.2024 um 10:12 Uhr
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Aktualisiert: 26.05.2024 um 10:42 Uhr

«Als die Ärztin mir sagte, dass ich beidseitig die Leisten gebrochen habe, war mein erster Gedanke: Oh nein, was das wieder kostet!» Roman Hirzel (50) arbeitet bei einem Detailhändler im Verkauf und kommt mit seinem steuerbaren Einkommen von unter 50'000 Franken gut über die Runden, wie er sagt. «Wenn aber unerwartet eine Arztrechnung reinschneit, oder Steuernachzahlung von mehreren Hundert Franken, wird es sehr schnell eng.»

Roman Hirzel gehört zu jenen, die von der Prämienentlastungs-Initiative der SP profitieren würden. Die Initiative, über die am 9. Juni abgestimmt wird, verlangt, dass Versicherte höchstens 10 Prozent ihres Einkommens für Prämien ausgeben sollen. Den Rest müssten Bund und Kantone in Form von Prämienverbilligungen tragen.

Roman Hirzel würde wohl von der Prämien-Initiative profitieren.
Foto: Thomas Meier
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Die Initiative soll gemäss den Initianten tiefe und mittlere Einkommen von den steigenden Prämien entlasten. Allein in diesem Jahr sind laut dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) die Prämien über 8 Prozent gestiegen, seit Einführung der obligatorischen Krankenversicherung 1996 haben sie sich gar verdoppelt. Diese Woche hat der Vergleichsdienst Comparis vorgerechnet, dass die Prämien 2025 erneut um 6 Prozent steigen dürften. Die Reallöhne sind nicht im gleichen Ausmass gestiegen, im letzten Jahr sanken sie laut dem Bundesamt für Statistik im Schnitt um 0,4 Prozent.

«Schaue auf jeden Franken»

Roman Hirzel wohnt mit seiner Mutter zusammen, Ferien macht er jeweils «auf Balkonien», wie er sagt. «Wenn ich Lebensmittel einkaufe, schaue ich auf jeden Franken.» Den einzigen Luxus, den er sich leiste, seien Krimis auf DVD. «Ich schaue immer, dass ich sie gebraucht kaufe, das kostet weniger.» Sparen liege dennoch nicht drin.

Zum Verhängnis wurde Hirzel kürzlich ausgerechnet der Versuch, die Kosten zu senken: Als er seine Franchise von 300 auf 2500 Franken erhöhte, verletzte er sich beim Tragen von schweren Kisten. Für die Leistenoperation bezahlte er 2500 Franken, plus Selbstbehalt. «In dem Jahr hatte ich im Betrieb mein 30-Jahr-Jubiläum und habe deshalb ausnahmsweise mehr verdient», erzählt Hirzel. «Ich wollte endlich mal etwas auf die Seite legen, musste aber in dem Jahr alles zusätzliche Geld für Arztkosten hinblättern. Das hat mich sehr geärgert.»

«Können Zahnarzt nicht zahlen»

Wird die Prämienentlastungs-Initiative angenommen, rechnet Roman Hirzel damit, dass er monatlich einen höheren zweistelligen Betrag mehr zur Verfügung hätte. Was nach wenig klingt, würde für den Detailhändler viel bedeuten: «Das Geld würde ich zur Seite legen», sagt er – und damit eine Reserve aufbauen, die ihm finanziell etwas Luft gibt. Hirzel ist überzeugt, dass ein Ja zur Initiative auch seinen Arbeitskolleginnen und -kollegen zugutekommen würde: «Auch die können oft Zahnarztrechnungen nicht aufs Mal zahlen und können kaum sparen.»

Wer letztlich wie stark von der SP-Initiative profitieren würde, ist noch unklar. Es steht noch nicht fest, wie genau der Prämiendeckel berechnet würde. Ausschlaggebend ist das «verfügbare Einkommen», wie es im Initiativtext steht – was das genau ist, müsste das Parlament noch definieren.

«Eine ungerechte Umverteilung»

Nicht von der Initiative profitieren würde Hans-Peter Stöckl (62). Er entwickelt im Zürcher Trendquartier Seefeld grosse Fotovoltaikanlagen und verdient dabei gut. Auch seine Frau ist in der Privatwirtschaft tätig. Für die Krankenversicherung gingen vielleicht fünf Prozent des Haushaltseinkommens drauf, schätzt der Vater von vier Kindern.

Die Initiative betreffe ihn trotzdem persönlich, sagt Stöckl – auf der Kostenseite. Das BAG schätzt, dass die Umsetzung der Prämien-Initiative Bund und Kantone 3,5 bis 5 Milliarden Franken kosten würde. Stöckel befürchtet: Wird das über höhere Steuern finanziert, werden Gutverdienende besonders zur Kasse gebeten. «Hier wird kein Problem gelöst, sondern einzig eine gigantische, ungerechte Umverteilung geplant.»

Die Initiativgegner warnen seit Wochen, dass die Finanzierung der Initiative über die Steuern einen durchschnittlichen Haushalt jährlich 1200 Franken kosten würde. Hans-Peter Stöckl sagt: «Im Fall meiner Familie wären es mehrere Tausend Franken.»

«Bin nicht bereit, den Kopf hinzuhalten»

Die Prämien-Initiative, sagt der Solarunternehmer, ziele am eigentlichen Problem vorbei: den horrend steigenden Gesundheitskosten. Doch in Bundesbern scheue man sich, die Strukturen des Systems effizient anzupacken, kritisiert Stöckl. «Die Spitaldichte im Land ist zum Beispiel immer noch viel zu hoch.»

Die Politikerinnen und Politiker müssten sich endlich in ihren bequemen Sesseln bewegen und Verantwortung übernehmen, fordert er. «Verteilen wir Kosten einfach weiter um, statt sie in den Griff zu bekommen, steht das System und damit unsere gute Gesundheitsversorgung schon bald vor dem Kollaps.»

Dass immer mehr Menschen wegen der Kostenexplosion im Gesundheitswesen in finanzielle Not geraten, findet auch Hans-Peter Stöckl schlimm. Das decke die Missstände im Gesundheitswesen schonungslos auf, sagt er. «Doch ich bin nicht bereit, für die Versäumnisse der Politik den Kopf beziehungsweise das Portemonnaie hinzuhalten.»

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