Zwei Frauen gegen den Hass im Netz
«Es ist eine Frage des Anstands»

Sie sitzen an den entgegengesetzten Enden des Nationalratssaals und haben das Heu politisch nicht auf der gleichen Bühne. Beim Thema Wutkommentare aber passt kein Blatt Papier zwischen SVP-Nationalrätin Natalie Rickli (41) und SP-Kollegin Chantal Galladé (45). Mit BLICK haben die beiden Politikerinnen über den Hass gesprochen, der ihnen im Netz entgegenschlägt.
Publiziert: 01.03.2018 um 23:35 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2018 um 02:10 Uhr
Sermîn Faki (Interview) und Karl-Heinz Hug (Bilder)

Frau Rickli, ein BLICK-Leser hat Sie als Burnout-geschädigt bezeichnet. Und über Sie, Frau Galladé, hiess es, Sie hätten eine Profilneurose. Wir konfrontieren Sie hier nur mit den vergleichsweise harmlosen Ausdrücken. Wie ist es, wenn man solche Beschimpfungen über sich lesen muss?
Natalie Rickli:
Glücklicherweise sind diese Kommentare in der Minderheit und diese zwei eigentlich harmlos. Aber natürlich ist die Burnout-Äusserung ein Affront, auch anderen Personen gegenüber, die dies hatten.

Chantal Galladé: Online-Kommentare in Artikeln über mich lese ich nicht. Aber auch ich erhalte unanständige E-Mails, Briefe oder Kommentare auf meiner Facebook-Seite.

Frau Rickli, Sie wurden erst kürzlich von Berner Rappern als Schlampe bezeichnet. Wie gehen Sie damit um?
Rickli:
Wer andere beleidigt, disqualifiziert sich selbst. Wenn ich oder jemand anders auf meiner Facebook-Seite übelst beschimpft werde, blockiere ich den Verfasser oder melde den Post. Ich bin generell zurückhaltend mit der Löschung, weil mir die Meinungsfreiheit wichtig ist. Aber zwischendurch müssen gewisse Leute daran erinnert werden, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist.

Wehren sich gegen Wutkommentare: Nationalrätinnen Chantal Galladé (links) und Natalie Rickli.
Foto: KARL-HEINZ HUG
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Was sind die schlimmsten Hasskommentare, die Sie je bekommen haben?
Galladé: Vergewaltigungs- und Morddrohungen haben wir beide schon erhalten. Unanständige Kommentare haben generell zugenommen – dennoch sollte man die Relation nicht verzerren: Es ist eine Minderheit, die sich nicht im Griff hat. Die meisten Reaktionen aus der Bevölkerung sind unterstützend. Und auch die meisten Kritiker sind anständig.

Rickli: Das sehe ich genau gleich. Ein gewisses Mass an Kritik muss man als Politiker auch aushalten. Manchmal muss man den Hetzern ihre Grenzüberschreitungen aber bewusst machen.

Politiker sind zurückhaltend, wenn es um Fragen zu Drohungen gegen sie geht. Sie haben sich nun aber bereit erklärt, mit uns über den Hass im Netz zu reden. Warum?
Galladé:
Unsere Demokratie lebt davon, dass wir trotz anderer Meinungen respektvoll miteinander umgehen. Dafür stehen wir – als zwei Frauen aus unterschiedlichen Parteien – gemeinsam ein.

Rickli: Wir wollen gemeinsam ein Zeichen setzen. Unterschiedliche Meinungen gehören zu unserer Demokratie. Man kann hart in der Sache sein, dabei aber fair im Umgang bleiben.

Werden Sie als Frauen häufiger beschimpft als Ihre männlichen Kollegen?
Rickli:
Generell, glaube ich nicht. Politiker mit einer klaren Positionierung – links und rechts – werden sicher öfter angegriffen.

Galladé: Ich glaube das auch nicht, aber wir Frauen müssen uns sicher zusätzlich noch sexistische Kommentare anhören. Männliche Kollegen werden kaum auf ihr Aussehen reduziert. Ihnen wird auch selten die Kompetenz abgesprochen.

Hassen Linke anders als Rechte?
Rickli:
Es gibt im Internet unanständige Leute, und zwar auf allen politischen Seiten. Man sollte diesen aber jetzt auch nicht eine wichtigere Stellung einräumen, als sie verdienen. Der grosse Teil der Leute verhält sich anständig.

Beschimpft werden Sie jeweils aus dem anderen politischen Lager. Wie finden Sie es, Frau Galladé, dass wahrscheinlich Ihre Wähler Natalie Rickli beschimpfen?
Galladé:
Ich identifiziere mich nicht mit Leuten, die andere niedermachen und verunglimpfen. Und da stehen keine politischen Botschaften dahinter, sondern Frustration, Unzufriedenheit und Unsicherheit.

Rickli: Es ist eine Frage des Anstands, nicht der politischen Ausrichtung. Ich bin nicht einmal sicher, ob die Hassschreiber überhaupt abstimmen und wählen. Statt ihre demokratischen Rechte wahrzunehmen, sich in Debatten einzubringen und an der Urne zu äussern, wüten sie anonym im Internet. Dabei hat man als Bürger in der Schweiz so viel Macht wie nirgendwo auf der Welt.

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