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So will die neue Nationalratspräsidentin Marina Carobbio für Ruhe sorgen
«Kasperlitheater dulde ich von keiner Partei!»

Sie wollte einst Bundesrätin werden, jetzt wird die Tessiner SP-Nationalrätin Marina Carobbio (52) die höchste Schweizerin. Die neue Nationalratspräsidentin hat eine Mission für ihr Amtsjahr: Frauen im Rat vereinen – und die Bundesparlamentarier auf Italienisch herausfordern.
Publiziert: 26.11.2018 um 11:32 Uhr
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Aktualisiert: 17.07.2019 um 20:21 Uhr
Cinzia Venafro

Ab Montag heisst es: «Silenzio!» – Ruhe, wenn die Nationalräte sich mal wieder nicht zu benehmen wissen. Denn ab dieser Wintersession leitet die Tessiner SP-Nationalrätin Marina Carobbio (52) die Ratsdebatten der grossen Kammer. Und die neue höchste Schweizerin macht klar: «Qui dentro si parla anche italiano» – hier drinnen spricht man auch Italienisch.

Zur Erklärung: Die Gepflogenheit unter der Bundeshauskuppel erlaubt jedem Ratsmitglied, in seiner eigenen Sprache ans Mikrofon zu treten. Man muss als Deutschschweizer also Italienisch und Französisch zumindest verstehen – was mitunter zu Missverständnissen führt.

Teils kommen so die mangelnden Französischkenntnisse der Volksvertreter zutage. Das Italienische blieb in jüngster Zeit unter dem Radar. Carobbio: «Leider getrauen sich nur noch wenige, Italienisch zu sprechen.» Auch darum werde sie die Ratsdebatten konsequent auf Italienisch leiten. Ihren Dialekt lasse sie aber daheim, «dann verstünde mich tatsächlich niemand in Bern», sagt sie lachend.

Passionierte Wanderin: Marina Carobbio besteigt, so oft es geht, Bergspitzen.
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Das Nationalratspräsidium ist der Höhepunkt einer Politkarriere, die der Hausärztin bereits in die Wiege gelegt wurde: Carobbios Vater, der ultralinke Werner Carobbio (82, einst Partito Socialista Autonomo, PSA, später SP), sass von 1975 bis 1999 für das Tessin im Nationalrat. «Wir haben am Küchentisch politisiert und über Politik gestritten. Das war Alltag», erinnert sie sich.

Schon als kleines Mädchen war Carobbio mit dem Vater in der Wandelhalle

Regelmässig besuchte sie den Vater in Bern, spazierte schon als kleines Mädchen durch die Wandelhalle. Inzwischen ist sie selbst seit zwölf Jahren Nationalrätin – und macht ihren Vater mit der Themensetzung stolz.

Umweltschutz, Einheitskrankenkasse, Migration, Emanzipation: Carobbio macht klassische linke Politik. «Ich habe mich tatsächlich ideologisch nie gegen meinen Vater auflehnen müssen.» Aus seinem Schatten trat sie früh: Schon 24-jährig wurde sie nach dem Medizinstudium ins Tessiner Parlament gewählt. Der grosse Rückschlag folgte 2011: Die Tessinerin wollte Bundesrätin Calmy-Rey beerben, wurde von ihrer Partei aber nicht aufs Ticket gesetzt.

Ist der Nationalratspräsidentinnen-Posten ihr Trostpreis? «Nein, sicher nicht! Ich musste mich ja wieder bei meiner Fraktion dafür bewerben. Und da konnte ich von meiner Arbeit in der Fraktion und in der SP mehr profitieren als von der Bundesratskandidatur.»

Ihr Jahr als höchste Schweizerin stellt Marina Carobbio in den Dienst des Feminismus. «Frauenrechte sind Menschenrechte», hat sie schon als junge Frau skandiert. Carobbio war zuvorderst dabei beim Frauenstreik von 1991.

Carobbio: «Meine Kollegen sind ja keine Schüler»

Auch für 2019 rufen die SP-Frauen zum nationalen Frauenstreik auf. Im Jahr nach der ≠MeToo-Debatte und der neu aufgeflammten Frauenrechtsbewegung sei es darum sehr passend, dass sie gerade jetzt Nationalratspräsidentin werde. «Es ist höchste Zeit für eine Feministin auf diesem Stuhl!», sagt Carobbio.

Konkret will Marina Carobbio die Frauen im Bundeshaus vereinen: Die Ärztin wird eine Homepage aufschalten, mit der sich Frauen in Bern besser vernetzen sollen. Die geplante Auslandsreise steht ebenfalls im Zeichen der Förderung weiblicher Volksvertreter: Carobbio fliegt nach Ruanda. «Dort gibt es sogar eine Frauenmehrheit im Parlament. Darauf freue ich mich sehr», so die künftige Prima Cittadina der Schweiz. Ihr Amtsjahr begeht sie begleitet von Frauen: Carobbio lässt zum Auftakt am Montag einen Tessiner Frauenchor im Nationalratssaal auftreten.

Und wie will die Mutter zweier Kinder ihre Gschpänli bändigen? «Ich bin ja keine Lehrerin und meine Kollegen keine Schüler», relativiert sie. Als Ärztin wisse sie, wie wichtig zuhören sei. «Aber ein Kasperlitheater akzeptiere ich von keiner Partei!»

Die Ära Carobbio in Bundesbern soll nach ihrem Jahr als höchste Schweizerin nicht vorüber sein. Ihre Kantonalpartei hat gerade die Amtszeitbeschränkung aufgeweicht – Carobbio wird also auch 2019 wieder kandidieren. Und falls sie dereinst nicht mehr will, steht das nächste Carobbio-Clan-Mitglied schon parat: Sohn und ETH-Student Matteo macht den linken Nonno stolz. Er sitzt für die Juso im Gemeinderat von Lumino TI.

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