Der Sommermärchen-Prozess ist definitiv geplatzt
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Riesen-Pleite für Bundesanwalt:Der Sommermärchen-Prozess ist definitiv geplatzt

Riesen-Pleite für Bundesanwalt Lauber
Der Sommermärchen-Prozess ist definitiv geplatzt

Jetzt ist es endgültig: Der erste und wichtigste Fifa-Korruptions-Fall verjährt, bevor es zu einem Urteil kommen konnte. Der Prestigefall im Umfeld der Fussball-WM-Endrunde 2006 in Deutschland wird zum Debakel. Das könnte die Schweiz teuer zu stehen kommen.
Publiziert: 21.04.2020 um 15:33 Uhr
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Aktualisiert: 21.04.2020 um 18:28 Uhr
Lea Hartmann

Der Sommermärchen-Prozess ist für die Bundesanwaltschaft definitiv zum Albtraum geworden. Nachdem die Verhandlung am Bundesstrafgericht in Bellinzona Mitte März wegen der Corona-Krise vertagt wurde, ist der Prozess nun endgültig Geschichte. Die Richter haben gestern entschieden, die Sistierung des Verfahrens bis zum 27. April zu verlängern, wie aus dem heute veröffentlichten Beschluss hervorgeht. An diesem Tag verjährt der Fall.

Was geschah mit den 10 Millionen Franken?

Viereinhalb Jahre nach Aufnahme der Ermittlungen steht damit fest: In einem der wichtigsten Fälle der Bundesanwaltschaft wird es nie zu einem Urteil kommen. Der Sommermärchen-Fall war das erste von rund zwei Dutzend laufenden Fifa-Verfahren, das die Bundesanwaltschaft um Chefermittler Michael Lauber (54) zur Anklage gebracht hat. Es geht dabei um die dubiose Rückzahlung eines Darlehens, das Fussball-Legende Franz Beckenbauer (74), Präsident des Organisationskomitees der WM 2006 in Deutschland, 2002 aufgenommen hatte. Die Weltmeisterschaft ging als «Sommermärchen» in die deutsche Sportgeschichte ein.

Das Darlehen in der Höhe von 10 Millionen Franken stammte vom ehemaligen Adidas-Besitzer Robert Louis-Dreyfus (†63). Dieser überwies das Geld an ein Firmenkonglomerat in Katar. Dessen Chef: Mohammed bin Hammam (79), damaliger Fifa-Vizepräsident. Bis heute ist unklar, wofür genau der Katari von Beckenbauer die Millionen bekam. Es existieren mehrere Theorien, wer damit wen wofür kaufte. Der tatsächliche Zweck bleibt bis heute verborgen.

Im Visier der Justiz: Die Fussballfunktionäre Wolfgang Niersbach, Theo Zwanziger, Franz Beckenbauer und Horst R. Schmidt (v. l.).
Foto: Keystone
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Der Vorwurf lautete: Betrug

Was die Ermittler hingegen wissen – und was auch Gegenstand der Anklage war: 2005 wollte Louis-Dreyfus das Geld von Beckenbauer zurück. Der Deutsche Fussball-Bund (DFB) sprang ein und zahlte über eines seiner Konten dem französisch-schweizerischen Unternehmer – mit einem Umweg über die Fifa – die 10 Millionen Franken zurück.

Die Bundesanwaltschaft wirft den Beteiligten Betrug beziehungsweise Gehilfenschaft dazu vor. Sie erhob Anklage gegen den ehemaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger (74), ebenso gegen Horst Schmidt (78) und Wolfgang Niersbach (69), beide Mitglieder des WM-OKs 2006, sowie Ex-Fifa-Generalsekretär Urs Linsi (70), der einzige Schweizer Angeklagte. Der «Kaiser» selbst musste sich vor Gericht indes nicht verantworten. Das Verfahren gegen Beckenbauer wurde wegen seines Gesundheitszustands abgekoppelt.

Für Beckenbauer war darum schon länger klar: Er muss sich vor keiner Strafe mehr fürchten. Dieselbe Gewissheit haben nun die anderen vier Angeklagten. Der Fall verjährt. Nicht nur in Deutschland, sondern nun auch in der Schweiz.

Corona-Krise bewahrte Behörde vor noch grösserer Blamage

Die Verjährung ist für Lauber und seine Ermittler eine Pleite und Glück zugleich. Denn sie verhinderte möglicherweise eine noch viel grössere Blamage. Grund dafür ist das Disziplinarverfahren gegen den Chefermittler des Bundes. Die Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft wirft Lauber gravierende Amtspflichtverletzungen im Zusammenhang mit mehreren Geheimtreffen mit Fifa-Boss Gianni Infantino (50) vor und kürzte ihm dafür den Lohn. Das letzte Wort ist in der Sache noch nicht gesprochen, weil Lauber gegen seine Aufseher vor Gericht zieht.

Für den Sommermärchen-Prozess hatte die Affäre trotzdem bereits Folgen: Die Anwälte der Angeklagten reichten mehrere Ausstandsgesuche und Rückweisungsanträge ein. Denn die Ergebnisse der Disziplinaruntersuchung gegen Lauber werfen viele Fragen auf. Vor allem das dritte unprotokollierte Treffen mit Infantino im Jahr 2017, im Berner Hotel Schweizerhof, birgt viel Sprengstoff. Und just an dieses Meeting im Nobelhotel, in dem auch die katarische Botschaft untergebracht ist, wollen sich sämtliche Beteiligte partout nicht mehr erinnern können.

Wer war der ominöse fünfte Mann?

Wie die Aufsichtsbehörde in ihrem Bericht schreibt, war am 16. Juni 2017 im «Meeting Room III» im ersten Stock des Schweizerhofs neben Lauber, Infantino, dem Walliser Oberstaatsanwalt Rinaldo Arnold und dem Kommunikationschef der Bundesanwaltschaft eine weitere Person anwesend, deren Name im Bericht aber geschwärzt ist. Es könnte sich dabei, wie verschiedene Medien in den vergangenen Tagen berichteten, um Cédric Remund (38) handeln. Remund führt verschiedene Fifa-Verfahren – auch dasjenige rund um das Sommermärchen. Das geht aus der Anklageschrift hervor, die BLICK vorliegt.

Die Anwälte der Angeklagten hatten nun gefordert, dass die Aufsichtsbehörde den Richtern die ungeschwärzte Version des Berichts zukommen lässt. Hätte sich der Verdacht erhärtet, drohten weitere Verfahren des Fifa-Komplexes mit Beteiligung Remunds zu scheitern. Das Bundesstrafgericht hat in einem Entscheid Mitte März bereits angedeutet, dass durch das Disziplinarverfahren bekannt gewordene Umstände «umfassende Beweisverwertungsverbote zur Folge haben könnten». Mit der Einstellung des Verfahrens wird die Frage nun wohl vorerst offen bleiben, um wen es sich bei dem fünften Mann wirklich handelte.

Es drohen Genugtuungs-Klagen

So oder so bedeutet der Sommermärchen-Fall für die Bundesanwaltschaft, ja die ganze Schweizer Justiz, einen riesigen Reputationsschaden. Zudem drohen auch finanzielle Konsequenzen: Zu den Kosten für die jahrelangen Ermittlungen, die nun für die Katz waren, könnten hohe Entschädigungsforderungen der Angeklagten kommen. Laut der Deutschen Sport-Agentur SID prüfen die Anwälte der vier Ex-Fussballfunktionäre Schmerzensgeldforderungen derzeit «sehr genau».

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