Abstimmung über Versicherungsspione
Darum geht es bei den Versicherungsschnüfflern

Am 25. November soll das Schweizer Stimmvolk über das Gesetz zur Überwachung von Sozialversicherten abstimmen. Aber worum geht es eigentlich? BLICK klärt die wichtigsten Fragen.
Publiziert: 05.11.2018 um 10:29 Uhr
|
Aktualisiert: 23.11.2018 um 15:20 Uhr
  •  
Nationalrat und Ständerat wollen Sozialversicherungen mehr Möglichkeiten geben, um Missbrauch von Leistungen aufzudecken.
Foto: Keystone
1/12
Andrea Willimann, Martina Tomaschett

Wieso gibt es jetzt Versicherungsschnüffler?

Die Schweizerische Unfallversicherung (Suva) und die Invalidenversicherung (IV) haben bereits früher Detektive eingesetzt, wenn es Anzeichen dafür gab, dass eine Person zu Unrecht Leistungen bezog. Bei der IV zum Beispiel ist 2016 fast ein Drittel der Betrüger dank Observationen erwischt worden. Doch als Ausgeschnüffelte am Europäischen Menschengerichtshof klagten, stellte dieser fest, dass zum Ausspionieren der Versicherten in der Schweiz die gesetzliche Grundlage fehlt. Suva und IV mussten 2017 ihre Ermittler stoppen. Bundesrat und Parlament wiederum nahmen sofort die Gesetzesarbeit auf. Sie schlossen diese bis März auffällig zügig ab. Die neuen Bestimmungen sind aber noch nicht gültig, da das Referendum ergriffen wurde.

Darum geht es beim neuen Sozialversicherunsgesetz
4:14
Abstimmungsvorlagen kurz erklärt:Darum geht es beim neuen Sozialversicherunsgesetz

Wer wehrt sich gegen das Gesetz?

Hinter dem Referendumskomitee steht das breite, unabhängige Bürgerkomitee «Nein gegen Versicherungsspione». Es entstand nach einem öffentlichen Aufruf der Schriftstellerin Sibylle Berg. Die bunte Gruppe sammelte schliesslich ohne grosse Organisation im Rücken innerhalb von 62 Tagen über 56'000 Unterschriften. Das Referendum wurde Anfang Juli eingereicht. Das von den eidgenössischen Räten im beschleunigten Verfahren bewilligte Gesetz stelle die Bevölkerung unter Generalverdacht, und die Privatsphäre der Menschen werde aufs Gröbste verletzt, argumentiert die Gruppierung.

Wer gäbe künftig die verdeckten Observationen in Auftrag, und was müssten die Detektive können?

In begründeten Verdachtsfällen dürften alle Sozialversicherungen – also neben Suva und IV auch die Arbeitslosen-, Kranken-, Mutterschafts- und Militärversicherung sowie die AHV- und Ergänzungsleistungs-Stellen – externe Spezialisten losschicken. Eine Person mit Direktionsfunktion könnte die Observationen anordnen. Eine richterliche Genehmigung bräuchte nur der Einsatz von GPS-Peilsendern – das sind Geräte zur genauen Standortbestimmung.

Was ist ein «begründeter Verdachtsfall»?

Eine Observation ist nur dann erlaubt, wenn konkrete Anhaltspunkte bestehen, dass jemand unrechtmässig Leistungen bezieht oder zu erhalten versucht. Zudem muss ein anderes Vorgehen «aussichtslos» oder «unverhältnismässig erschwert» sein.

Welche technischen Mittel wären den Sozialdetektiven erlaubt?

Es dürften einfache Bild- und Tonaufzeichnungen gemacht werden. Richtmikrofone wären für Versicherungsspione verboten. Wie das Departement des Innern (EDI) klarstellt, wäre der Einsatz von Drohnen nicht möglich. GPS-Peilsender können jedoch mit Erlaubnis der Richter an Fahrzeugen angebracht werden.

Wo überall dürften Verdächtige beobachtet werden?

Detektive dürften Verdächtige nur von allgemein zugänglichen Orten aus beobachten: auf der Strasse aus, in einem Laden oder Restaurant oder an Orten, die von einem solchen allgemein zugänglichen Ort frei und ohne Leitern einsehbar wären. Nicht erlaubt wären Einblicke in private Räume im Innenbereich wie Wohn- oder Schlafzimmer. Ob das auch für Garten oder Balkon gilt, ist umstritten.

Stimmt es, dass Versicherungsschnüfflern mehr erlaubt wäre als der Polizei und den Staatsanwälten?

Die Polizei und die Staatsanwaltschaft dürfen im Kampf gegen Verbrechen und Terrorismus auch Telefone abhören, Computer überwachen oder Nachtsichtgeräte einsetzen. Teilweise sind dafür Bewilligungen nötig. Den Versicherungsschnüfflern wären diese Mittel in keinem Fall erlaubt.

Warum können nicht Polizisten verdächtige Versicherte observieren?

Die Polizei untersucht Straftatbestände. Die Klärung von Versicherungsleistungen gehört nicht zu ihren Aufgaben.

Darf jetzt jeder rumschnüffeln?

Nein. Versicherungsdetektive benötigen für Observationen eine Bewilligungen des Bundesamt für Sozialversicherung. Diese gilt jeweils fünf Jahre. Die Sozialdetektive müssen zudem die nötigen Rechtskenntnisse, eine Polizei- oder gleichwertige Ausbildung sowie Erfahrung in der Personenüberwachung nachweisen. Zudem müssen einen einwandfreien Leumund haben, sprich sie dürfen in den letzten zehn Jahren nicht wegen eines Verbrechens oder Vergehens im Zusammenhang mit Observationen verurteilt worden sein.

Was passiert mit den Fotos und Akten der Privatdetektive?

Die überwachten Personen müssten in jedem Fall nach erfolgter Observation informiert und die Unterlagen vernichtet werden – es sei denn, die ausgeschnüffelte Person wünschte dies ausdrücklich nicht.

Wer unterstützt das Referendum?

SP und Grüne haben zwischenzeitlich beschlossen, das Referendum zu unterstützen.

Was sagen der Bundesrat und das Parlament?

Bundesrat und Parlament haben dem Gesetz zugestimmt. Sie argumentieren, dass es nur wenige Fälle gebe, bei denen eine verdeckte Beobachtung notwendig sei. Die Ansprüche auf Versicherungsleistungen müssten zweifelsfrei abgeklärt werden können. Der Observationsartikel schütze die Rechte der Betroffenen laut dem Bundesrat ausreichend.

Alle Abstimmungen auf einen Blick

Die Schweiz stimmt wieder ab: Erklärungen zu allen Initiativen, aktuelle News und prominente Stimmen zum Thema finden Sie hier.

Die Schweiz stimmt wieder ab: Erklärungen zu allen Initiativen, aktuelle News und prominente Stimmen zum Thema finden Sie hier.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?