Die wichtigsten Fragen und Antworten
BLICK erklärt den Crypto-Skandal

Eine Schweizer Firma, die dem deutschen und amerikanischen Geheimdienst gehörte, verkaufte manipulierte Chiffrier-Maschinen an andere Staaten – und hörte somit ständig mit. Das sind die wichtigsten Fragen und Antworten.
Publiziert: 12.02.2020 um 10:08 Uhr
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Aktualisiert: 13.02.2020 um 05:41 Uhr
Der US-Geheimdienst CIA ...
Foto: AFP
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Was ist passiert?

Der deutsche und der US-amerikanische Geheimdienst konnten jahrelang verschlüsselte Nachrichten mitlesen. Über 100 Staaten kauften nämlich bei der Schweizer Firma Crypto AG ihre Verschlüsselungsmaschinen ein. Die Firma genoss einen ausgezeichneten Ruf und profitierte von der Schweizer Neutralität. Jetzt kommt heraus: Die Firma Crypto AG gehörte dem deutschen Geheimdienst BND und dem US-amerikanischen Geheimdienst CIA. Das beweisen Dokumente, die einem Recherche-Verbund der SRF-Sendung «Rundschau», dem ZDF und der «Washington Post» vorliegen.

Die Crypto AG verkaufte demnach Verschlüsselungsmaschinen, die in Wahrheit von den Geheimdiensten geknackt worden waren. CIA und BND konnten also sämtliche Nachrichten von feindlichen und verbündeten Ländern lesen.

Wer ist betroffen?

Verkauft wurden die Maschinen an über 100 Länder, darunter Argentinien, Iran, Irak oder Saudi Arabien, aber auch Länder wie Italien, Portugal oder der Vatikan. Auch die Uno oder die Schweiz hatten Verschlüsselungsmaschinen der Crypto AG.

Die Dokumente belegen, dass auch die Friedensverhandlungen von 1979 im Camp David, die zum Frieden zwischen Ägypten und Israel führten, abgehört wurden. Auch von den Todesflügen der argentinischen Militärdiktatur scheinen die Geheimdienste gewusst haben.

Wie lange dauerte die Aktion?

1970 kauften CIA und BND über eine Liechtensteiner Tarngesellschaft die Crypto AG. Die Aktion lief dann bis 2018 – also über 30 Jahre lang. Allerdings gab es schon seit den 1950er-Jahren Kontakte der Crypto AG zum US-Nachrichtendienst NSA.

Wer wusste davon?

Gerüchte darüber, dass bei der Crypto AG nicht alles so sicher war, wie es schien, gibt es schon lange. Beweisen liessen sie sich nicht. Bis jetzt. Die Dokumente zeigen, so die Journalisten, dass der Schweizer Geheimdienst vom Treiben von CIA und BND Bescheid wusste. Ebenfalls gebe es Hinweise, dass «Schlüsselpersonen in der Regierung» gewusst hätten, was vor sich ging.

1992 wurde der beste Verkäufer der Crypto AG festgenommen. Der Iran verhaftete den Verkaufsingenieur Hans Bühler (†77) und beschuldigte ihn der Spionage. Dank einer Kaution von einer Million Franken kam Bühler frei. Jetzt weiss man: Das Geld kam vom BND. Nach seiner Freilassung begann Bühler zu recherchieren und trat zwei Jahre später zusammen mit einem anderen Mitarbeiter in der «Rundschau» auf und äusserte jene Vorwürfe, die jetzt bestätigt wurden. Die Crypto AG dementierte die Vorwürfe «glaubwürdig», wie es in den Dokumenten heisst. «Das hat das Programm wohl gerettet.» Nach der Bühler-Affäre stieg der BND aus der Crypto AG aus.

Die Schweizer Bundespolizei leitete in den 90er-Jahren eine Voruntersuchung ein. Ein offizielles Verfahren wurde nicht eröffnet. Jürg Bühler, der Leiter der Untersuchung, ist heute Vizedirektor des Nachrichtendiensts des Bundes (NDB). Er verteidigt seine Arbeit im «Tages-Anzeiger». «Niemand konnte uns Beweise liefern, dass die Geräte manipuliert sind.» Auch zu den Besitzverhältnissen hätten sie recherchiert, seien aber nicht weitergekommen. «Deshalb haben wir kein Verfahren eröffnet.»

Wie reagiert der Bundesrat?

Der Bundesrat weiss schon seit letztem Sommer von den «Rundschau»-Recherchen. Seit November war die Crypto AG drei Mal Thema im Bundesrat. Im Januar eröffnete die Landesregierung eine Untersuchung und setzte den früheren Bundesrichter Niklaus Oberholzer (66), der bereits bei der Aufklärung des Fichen-Skandal mithalf, als deren Leiter ein. Bis Ende Juni hat er Zeit, in einem Bericht die Fakten zu klären. Vor allem muss er klären, wie viel der Bundesrat und die Sicherheitsbehörden wussten, und ob sie das duldeten. Half vielleicht gar der Schweizer Geheimdienst mit, oder gab es Gegengeschäfte?

Derweil fordern FDP-Chefin Petra Gössi (44) oder der designierte Grünen-Präsident Balthasar Glättli (48) eine lückenlose Aufklärung. Gar eine parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) scheint möglich. Davon gab es in der Geschichte der Schweiz erst vier.

Schadet der Skandal der Schweiz?

Viele Nationen vertrauen noch immer auf die Neutralität der Schweiz. So vermittelt die Schweiz immer wieder in Krisengebieten, zuletzt im Konflikt zwischen der USA und Iran. Inwiefern das Vertrauen bröckelt, wird sich zeigen. Doch das Thema ist schon länger bekannt, auch Vermutungen in diese Richtung gab es immer wieder. (brb)

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