Patrouille des Glaciers
Hart an der Grenze

4875 Athleten waren für den Start der Patrouille des Glaciers diese Woche angemeldet. Der Aufwand der Organisatoren im Vorfeld des Anlasses war riesig.
Publiziert: 24.04.2016 um 15:06 Uhr
|
Aktualisiert: 11.09.2018 um 16:47 Uhr
Cyrill Pinto

Die letzten 200 Meter zur Rosablanche führen hinauf durch ein fast senkrechtes Couloir. Manche Frauen und Männer scheinen am Ende ihrer Kräfte zu sein. Ihre Ski an den Rucksack gebunden, nehmen sie den letzten ­Aufstieg in Angriff. Manche bewegen sich wie in Trance, hangeln sich von Fähnlein zu Fähnlein, diese markieren alle zehn Meter die Route.

Oben werden die Läufer von Zuschauern erwartet und frenetisch angefeuert. Nicht weniger verrückt als die Rennläufer, tragen sie literweise Weisswein, mit Gas betriebene Racletteöfen und Käselaibe hoch an den Fuss der Rosablanche, dieses stattlichen Walliser Berges. Sie sind zuhauf in die weisse Einöde gekommen, die Zivilisation ist weit weg. Auf Campingstühlen sitzend verfolgen sie das wohl härteste Tourenskirennen der Welt, die Patrouille des Glaciers (PdG).
Mit 53 Kilometern Luftlinie, 110 Leistungskilometern und 4000 Höhenmetern.

Patrouille des Glaciers 2016Alle zwei Jahre organisiert die Armee dieses Spektakel, das quer durch Schnee und Eis, durch die Bergwelt zwischen Zermatt und Verbier führt. Vergangenen Dienstag war es wieder so weit: Die ersten der über 4800 Athleten nahmen die Wahnsinnstour in Angriff, die etwas weniger Verrückten die leicht kürzere Route von Arolla nach Verbier. Gestern Samstag ging das Rennen zu Ende – wenn es das Wetter zuliess.

Minusgrade bewirkten bei 200 Teilnehmern Erfrierungen

Das tut es nicht immer. Vor vier Jahren etwa musste der PdG nach einem Föhnsturm abgesagt werden. Der Schnee weichte innert Stunden auf, das Risiko von Nassschneelawinen war zu gross. 1986 wurde die Patrouille aus gegenteiligen Gründen gestoppt: Ein Temperatursturz auf zweistellige Minusgrade bei starkem Wind führte bei über 200 Teilnehmern zu schweren Erfrierungen.

Dennoch: Die Nachfrage nach Startplätzen für die PdG ist riesig. Bei jeder Ausgabe des Rennens müssen die Veranstalter Athleten abweisen, so auch dieses Jahr. Unter den angemeldeten Teams wurden 1625 ausgewählt – 225 gingen leer aus.

Der härteste Ski-Wettkampf der WeltDie Strahlkraft der PdG fasziniert auch Prominente. Heuer stehen unter anderem alt Nationalrat und CVP-Präsident Christophe Darbellay (45) und Pippa Middleton (32) auf der Startliste. Die Schwester von Herzogin Kate nahm die grosse Tour in Angriff, Darbellay wählte die kürzere, 26 Kilometer lange Strapazen-Strecke.

Für die Teilnehmer geht die Tour in Zermatt jeweils abends los – mit der Befehlsausgabe und der Segnung in der Kirche. Ski und Skischuhe an den Rucksack geschnallt, an den Füssen leichte Turnschuhe. So joggen die Athleten ab
22 Uhr Richtung Schönbielhütte los. Den höchsten Punkt der Tour, die 3650 Meter hohe Tête Blanche, erreichen die schnellsten Teams gegen vier Uhr. Nach einer kurzen Abfahrt nach Arolla folgt der zweite, nicht minder anstrengende Aufstieg auf den Col de Riedmatten, danach der dritte Aufstieg auf die Rosablanche. Vorbei an Viertausendern wie der Dent Blanche, quer durch Eisflächen wie den Grand Désert.

80 Soldaten und mehrere Helikopter stehen im Einsatz

Beeindruckend ist auch der Aufwand, den die Armee zur Vorbereitung des Mega-Anlasses betreibt. Jean-Michel Bournissen (51), Chef Technik, setzt in der Woche vor dem Start jeweils rund 80 Soldaten und mehrere Helikopter ein. Diese hatten zehn Kontroll- und Verpflegungsposten aufzubauen, verteilt über die gesamte Strecke. Sie montierten Hochgebirgszelte, verstauten Proviant und Sanitätsmaterial in provisorischen Biwaks.

«Wir wollen für die Athleten optimale Bedingungen schaffen», sagt Bournissen. Dafür setzte heuer die Armee gar Teile der Luftwaffe und der Infanteriebrigade 2 in Bewegung. Für das Prestigeprojekt überlässt die Armee nichts dem Zufall. Die Kosten übernehmen zum Teil Sponsoren, den Rest trägt die Armee. Schliesslich ist die PdG eine ideale Plattform, auf der sich die Armee in einem positiven Kontext präsentieren kann.

Unter den Soldaten, die den Aufbau der Infrastruktur verantworten, sind auch diverse Spezialisten der Swisscom. Diese absolvieren vor, während und nach der Patrouille einen vierwöchigen Wiederholungskurs im Fachstab Telecom, einer Spezialtruppe der Armee – und bauen für die PdG-Teilnehmer eigens ein Mobilfunknetz im Hochgebirge auf. Ein Kraftakt unter erschwerten Bedingungen (siehe ­Interview Seite 29).

Reto Näf (44) ist für den Aufbau verantwortlich und für den reibungslosen Betrieb der Kommunikationsposten während des Rennens. Der Fachoffizier, der zivil ebenfalls für die Swisscom arbeitet, trägt für seine Arbeit im Hochgebirge Uniform. Er dirigiert sein Team auf dem Berg und im Tal, leitet es durch die unwirtliche Welt.

Sicherheit ist im hochalpinen ­Gelände wichtig – und «das Mobilfunknetz extrem wichtig für die Sicherheit der Teilnehmer», erklärt Näf. Die Sportler erreichen an der PdG mitunter die Grenzen ihrer Fitness, darüber hinaus lauern in Schnee und Eis zusätzliche Gefahren. 1949 beispielsweise stürzte eine Patrouille am Fuss der Tête Blanche in eine Gletscherspalte. Die drei Männer wurden erst acht Tage nach dem Unfall geborgen. Die dritte Austragung war für lange Jahre die letzte: Das Rennen wurde verboten. Erst 1983 hob die Armee das Verbot auf. Seither findet das härteste Skirennen der Welt wieder regelmässig statt.

Auch deshalb müssen die einzelnen Teams in freier Natur zehn Sicherheitsposten passieren – und werden eigens mit Handys ausgerüstet. Sie zeigen jederzeit den Standort der Teams an, im Notfall können die Teilnehmer damit gar Hilfe herbeirufen. Doch dieses System funktioniert nur mit entsprechendem Mobilfunknetz.

Rückblende. Es ist kurz vor dem ersten PdG-Start, Übermittlungsspezialist Marco Meschini (54) wird auf Geheiss von Reto Näf mit drei Kollegen per Heli von Arolla zur Rosablanche hinauf geflogen. Auf 3300 Metern soll heute eine Antenne montiert werden.

Am Nachmittag ist Schnee angesagt. Deshalb muss alles schnell gehen. Ein böiger Wind pfeift den Männern um die Ohren, Meschini klettert auf den frisch aufgerichteten Antennenmast. Rechts neben ihm fällt das Gelände fast senkrecht auf den Glacier de Mourti ab: 200 Meter Abgrund.

Meschini beeindruckt das nicht. Er nimmt das Übertragungskabel, steckt es in die Buchse an der Antenne und fixiert dieses mit Kabelbindern am mobilen Mast. Die Aluminiumkonstruktion wackelt gefährlich, der nächste Helikopter fliegt das Biwak an und setzt eine weitere Palette mit Material ab. Die drei Begleiter halten den Mast fest, damit er nicht umkippt. Insgesamt sieben Antennen wird das Team in diesen Tagen montieren.

Hightech und Natur gehören am PdG auch sonst eng zusammen. Die Position der Patrouillen wird in Echtzeit angezeigt: Fans können dadurch zu Hause jeden Schritt
ihrer Patrouille im Internet oder über eine eigens für das Rennen entwickelte App mitverfolgen. Und mitfiebern.

Der Helikopter muss im Tal bleiben

Endlich. Die Antenne auf dem Rosablanche-Grat steht, dichter Nebel zieht vom Gipfel zum Biwak herüber. Der Helikopter muss im Tal bleiben. Was tun? Die Männer blicken zum Bergführer, er muss die Gruppe nun zu Fuss in Sicherheit bringen, vorbei an einem Gletscherabriss, runter zur Prafleuri-Hütte auf 2657 Meter. Er drängt zum Aufbruch: «Wir müssen los, sonst wirds gefährlich.» Nach 30 Minuten Abfahrt auf Ski erreichen die Männer das sichere Ziel – so wie die ersten PdG-Teilnehmer eine Woche später. Der Aufwand hat sich gelohnt.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?