Neue offene Drogenszenen
«Konsumenten brauchen geschützte Räume mit adäquater Betreuung»

Thilo Beck ist Psychiater und Co-Chefarzt des Arud Zentrum für Suchtmedizin in Zürich. Er plädiert für zusätzliche Konsumräume, um den wachsenden offenen Drogenszenen der Schweiz zu begegnen.
Publiziert: 16.09.2023 um 11:02 Uhr

Entstehen in verschiedenen Schweizer Städten gerade wieder offene Drogenszenen? Ja, sagt Thilo Beck (61), in Genf, Basel, Zürich oder Chur gebe es solche Entwicklungen. Der Psychiater und Co-Chefarzt des Arud Zentrum für Suchtmedizin in Zürich betont, dass es sich um ein vielschichtiges Problem handle.

In Zürich sei die Schliessung der zentralsten Kontakt- und Anlaufstelle (K&A) im Kasernenareal, einem Drogenkonsumraum, ein wichtiger Faktor gewesen. «Von insgesamt vier Räumen bleiben noch drei», sagt Beck. Es sei nicht gelungen, alle Konsumenten in einen anderen Raum mitzunehmen. «Eine Gruppe ist damit aus dem kontrollierten Setting heraus gefallen und in der Bäckeranlage gestrandet.» Es habe sich eine neue Szene gebildet. 

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Zürich: Konsumraum geschlossen

Gemäss Michael Walker, Mediensprecher der Stadtpolizei Zürich, hat die Polizei ihre Präsenz rund um die Bäckeranlage erhöht. Auch die aufsuchende Sozialarbeit SIP sei regelmässig im Park in der Nähe der Zürcher Langstrasse präsent. Die Polizei hat bei Kontrollen in der Bäckeranlage «sämtliche gängigen Betäubungsmittel festgestellt» – darunter Kokain in verschiedenen Konsumformen, Marihuana, sehr selten auch Heroin. 

In der Bäckeranlage, einem Park im Zürcher Kreis 4, unweit der Langstrasse, hat sich eine Szene von Crack-Konsumenten gebildet.
Foto: keystone-sda.ch
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Kokain wird teilweise zu Crack oder Freebase verarbeitet, um die Wirkung zu verändern. In den Zürcher K&A wurden dafür neben den «Fixerstübli» auch Raucherräume mit Abluftanlagen eingerichtet. «Crack-Konsumenten brauchen mehr Platz, weil sie nervöser sind als Leute auf Heroin», erklärt Thilo Beck. Ist ein Raum zu klein, werde die Stimmung aggressiv. 

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Chur ohne Anlaufstelle

Im Stadtgarten von Chur gibt es eine sichtbare Drogenszene. «Dort sind es viele jüngere Leute, die Kokain und Freebase konsumieren», sagt Thilo Beck. In Chur schwelt die Problematik schon seit Jahren.

«In Chur fehlt bisher eine Anlaufstelle», erklärt der Psychiater. Nach langem politischem Ringen soll das geändert werden. Die kleine Gruppe, die exzessiv konsumiert, soll einen Raum erhalten, um sicher zu konsumieren und nicht noch mehr Stress zu erleben. «Denn es ist ein Teufelskreis, wenn die vulnerablen Intensiv-Konsumenten einem widrigen Umfeld ausgesetzt sind», sagt Beck. 

In Genf fehlen Raucherräume

Eine grosse, sichtbare Drogenszene hat sich auch in Genf gebildet. In Genf sei die Anlaufstelle nicht für die Crack-Rauchenden eingerichtet, erklärt Beck. «Man müsste dort eine neue Infrastruktur aufbauen.» Es brauche Raucherräume und die Möglichkeit, dass sich die Konsumenten den Stoff im Konsumraum besorgen können. «Sonst gehen sie dorthin, wo es ein Angebot gibt», sagt Beck. Dann bilden sich Szenen rund um die Dealer.

In den Anlaufstellen sollte gemäss Beck der Kleinhandel toleriert werden. «Es gibt dort eine gewisse Kontrolle, die dazu führt, dass nur seriösere Dealer Stoff mit einer gewissen Qualität anbieten», so der Psychiater.

Orte ohne Stress

Die Sozialarbeiter beobachten die Dealer in den Konsumräumen und sehen, wie es den Leuten geht, welche die Drogen konsumieren. «Das ist wichtig, um eine minimale Stabilität für die Konsumenten herzustellen», sagt Beck. Die Anlaufstelle müsse ein Ort sein, wo Konsumenten keine Angst haben und nicht gestresst werden. Erst mit einer gewissen Stabilität könne man die Leute mit weitergehender Unterstützung oder mit Therapieangeboten erreichen. 

«Für die gefährdeten Konsumenten ist am besten, wenn es geschützte Räume mit adäquater Betreuung gibt, wie es in Zürich lange Zeit funktioniert hat.» In der Limmatstadt brauche es daher wieder eine zentrale K&A. In Chur und in Genf brauche es Räume, damit die Leute nicht im Freien konsumieren müssen. 

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