Mutter kämpft für Gerechtigkeit
Autofahrer schiesst «Gümmeler» (†26) ab – und darf weiter fahren

Auf einer Rennvelorunde am Albis wurde Horia C.* (†26) von einem Autofahrer getötet. Auch eineinhalb Jahre später kämpft die Mutter verzweifelt für Gerechtigkeit – doch das Verfahren zieht sich.
Publiziert: 22.05.2023 um 12:00 Uhr
|
Aktualisiert: 24.05.2023 um 09:28 Uhr

Als Claudia C.s* Sohn am 3. Oktober 2021 nicht auf ihre Nachrichten reagierte, wusste die Rumänin sofort, dass etwas nicht stimmt.

Am nächsten Tag nahm schliesslich eine unbekannte Person das Telefon ihres Sohnes Horia C.* ab. Diese habe sein Handy gefunden, berichtet der «Tages-Anzeiger».

Die besorgte Mutter, welche im Ausland lebt, kontaktierte daraufhin umgehend die rumänische Botschaft – doch erhielt keine Auskunft. Erst später traf eine deutschsprachige Mail der Zürcher Behörden ein. Über ein Übersetzungsprogramm erfuhr die Mutter die grausame Nachricht: Ihr Sohn war verstorben.

Von entgegenkommendem Autofahrer erfasst: Nach dem Unfall erinnert ein weisses Ghostbike an die Tragödie.
Foto: Markus Rohr
1/5

Korrekt fahrenden «Gümmeler» frontal erfasst

Horia C. arbeitete bei Google. Er war begeisterter Rennvelofahrer. An diesem Abend war er von Ebertswil nach Hausen am Albis unterwegs. Die Strecke im Zürcher Säuliamt ist eine beliebte «Gümmelerstrecke». An dieser Stelle ist die Landstrasse schnurgerade. Horia C. war laut Akten mit etwa 29 km/h unterwegs. Die Dämmerung hatte noch nicht eingesetzt.

Obwohl der Velofahrer alles richtig machte, riss ein unachtsamer Autofahrer den gerade einmal 26-jährigen Mann in den Tod. Am Steuer sass ein 40-jähriger Schweizer, welcher auf der entgegenkommenden Richtung fuhr und auf die Gegenspur wechselte, um ein Auto zu überholen. Dabei beschleunigte er vermutlich auf 90 km/h.

Die Strasse am Albis zwischen Ebertswil und Hausen ist auch eine beliebte Rennvelostrecke.
Foto: Google Maps

Den Velofahrer sah der Autofahrer nicht. C. erzählt, dass der Fahrer zunächst nicht einmal gewusst hätte, womit er zusammengeprallt war. Horia hingegen, der in der Nähe in Birmensdorf wohnte, starb unmittelbar nach dem Frontal-Zusammenstoss an zahlreichen Verletzungen, Reanimationsversuche blieben erfolglos.

Das Karbonvelo des Rumänen war in Dutzende Teile zersplittert. In den Tagen nach dem Unfall stellten Veloaktivisten ein weisses Ghostbike am Unfallort auf.

Autofahrer darf weiter fahren

Obwohl das unachtsame Verhalten des Autofahrers Horia das Leben gekostet hat, ist ihm bislang keine Strafe widerfahren. Selbst den Führerschein hat er nach drei Monaten zurückerhalten. Nach über 1½ Jahren führt die Staatsanwaltschaft immer noch Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung durch.

Die Mutter ist perplex. Dem «Tages-Anzeiger» erzählt sie: «Ich kann nicht verstehen, warum der Mensch, der meinen Sohn getötet hat, einfach wie bisher weitermachen darf.» Zwar hat sie inzwischen zwei Anwältinnen engagiert, doch das Verfahren zieht sich – trotz Anträge, ein Gutachten zum Unfallhergang zu beauftragen und das Verfahren zu beschleunigen.

In einem Brief beschrieb sie dem Staatsanwalt ihre Trauer: «Unser Leben hat sich in Asche verwandelt.» Doch laut C. scheint dieser auf der Seite des Beschuldigten zu stehen. Er habe ihm Mut zugesprochen und sei der Ansicht gewesen, dass der Unfall aufgrund von «ungünstigen Gegebenheiten» passiert sei. Denn Horia sei dunkel gekleidet gewesen und der Unfall habe sich an einer schattigen Stelle ereignet.

Im April 2023 reichte die Mutter letztlich erneut Beschwerde ein. Sie forderte, dass der Staatsanwalt den Fall abgibt, und wollte das Verfahren beschleunigen. Inzwischen leitet eine neue Staatsanwältin das Verfahren.

Mutter kämpft weiter

Die Anwältinnen von C. fordern eine Verurteilung wegen «vorsätzlicher Tötung und grober Verletzung der Verkehrsregeln». Doch Daniel Hirschi, Anwalt des Beschuldigten, hält dies für unrealistisch: «Verschiedene Faktoren, die nicht im Einflussbereich lagen, haben die Kollision mitverursacht», sagt er dem «Tages-Anzeiger». Auch, dass die Fahreignung seines Mandanten nicht untersucht wurde, hält Hirschi für berechtigt: «An dieser bestanden keine berechtigten Zweifel.»

C. kann dies nicht nachvollziehen. Polizisten hätten nach dem Unfall empfohlen, die Fahrtauglichkeit des Unfallverursachers zu untersuchen, da er sich seltsam und aggressiv verhalten hätte. C. sagt enttäuscht: «Manchmal glaube ich, es hat auch damit zu tun, dass ich nicht in der Schweiz lebe.»

Tatsächlich ziehen sich Verfahren nach schweren Unfällen oft in die Länge. Für Angehörige ist das eine enorme Belastung. C. hofft, dass der Autofahrer trotzdem bald eine gerechte Strafe erhält. Sie sagt: «Nach einem fairen Verfahren und Urteil werde ich vielleicht ein bisschen Frieden finden.»

Möglich sind eine bedingte Gefängnis- oder Geldstrafe sowie der Fahrausweisentzug. Wann ein Urteil zu erwarten ist, ist unklar.

* Name bekannt

Fehler gefunden? Jetzt melden