Mare Gründer Nikolaus Gelpke lebt für den Ozean
«Das Meer hat unser Denken bestimmt»

Nikolaus Gelpke hat sich ganz dem Schutz der Ozeane verschrieben. Deshalb gründete der Schweizer vor 20 Jahren die Zeitschrift «Mare».
Publiziert: 18.12.2017 um 18:00 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 22:35 Uhr
Anette Thielert

Warum ist das Meer so wichtig für uns?
Nikolaus Gelpke: Zu allererst ist es ein bedeutender Nahrungslieferant. In vielen Ländern leben die Menschen fast ausschliesslich von Fisch. Zudem ist das Meer ein wichtiger Wirtschaftsweg. Der Reichtum Europas basiert auf den Schätzen aus Übersee, die mit Schiffen zu uns kamen. Auch die Globalisierung hätte ohne den Containerverkehr auf dem Meer nicht in diesem Masse stattfinden können. Das Meer beeinflusst auch unsere Kultur. So liess sich der Schweizer Architekt Le Corbusier für seine Bauten von Dampfschiffen inspirieren. Man kann sagen: Das Meer hat unser Denken bestimmt.

Inwiefern?
Bis anno 1500 stand man an der Küste, schaute auf den Atlantik und hatte keinen Schimmer, was passiert, wenn man über den Horizont hinausfährt. Mit der Entdeckung Amerikas hat sich das Bewusstsein komplett verändert. Damals setzte sich das Wissen durch, dass die Erde rund und keine Scheibe ist. Man wusste auf einmal, dass es hinter dem Horizont noch etwas gibt. Das war ungefähr so, als ob wir plötzlich wüssten, dass auf dem Mars Leben existiert. Man konnte sich schlagartig selbst definieren. Es hörte der Glaube auf, und die Vernunft begann.

Der See-Mann

Nikolaus Gelpke (55) ist in Zürich geboren und begeisterte sich schon in jungen Jahren fürs Meer. Er lebte mehrere Monate bei Elisabeth Mann Borgese, der jüngsten Tochter von Thomas Mann, im kanadischen Halifax, wo sie Meerespolitik lehrte. Mann Borgese ermunterte ihn, Meeresbiologie und Seerecht zu studieren. Dafür zog Gelpke nach Kiel (D). Er gehört zu den Gründern von Greenpeace Schweiz, arbeitete als Forschungstaucher für die Universität Zürich und mit Tiefseetaucher Jacques ­Piccard. Seit 1997 gibt er die Zeitschrift «Mare» heraus, die wegen ihres anspruchsvollen ­Inhalts und der aufwendigen ­Fotostrecken viele Preise erhielt. Neben «Mare» publiziert der Verlag Bücher und realisiert Fernseh- sowie Radiosendungen. Seit 2012 ist Gelpke Besitzer eines italienischen Restaurants im Hamburger Hafenviertel. Sein Büro liegt mitten in der historischen Speicherstadt, in der Nähe der Elbphilharmonie. Nikolaus Gelpke initiierte die «World Ocean Review», die seit 2010 jährlich erscheint. Zudem ist er Präsident der Ocean Science and Research Foundation und des International Ocean ­Institute ­sowie Beirat der Deutschen ­Umweltstiftung. Er lebt mit seiner Familie in Hamburg.

 

Nikolaus Gelpke (55) ist in Zürich geboren und begeisterte sich schon in jungen Jahren fürs Meer. Er lebte mehrere Monate bei Elisabeth Mann Borgese, der jüngsten Tochter von Thomas Mann, im kanadischen Halifax, wo sie Meerespolitik lehrte. Mann Borgese ermunterte ihn, Meeresbiologie und Seerecht zu studieren. Dafür zog Gelpke nach Kiel (D). Er gehört zu den Gründern von Greenpeace Schweiz, arbeitete als Forschungstaucher für die Universität Zürich und mit Tiefseetaucher Jacques ­Piccard. Seit 1997 gibt er die Zeitschrift «Mare» heraus, die wegen ihres anspruchsvollen ­Inhalts und der aufwendigen ­Fotostrecken viele Preise erhielt. Neben «Mare» publiziert der Verlag Bücher und realisiert Fernseh- sowie Radiosendungen. Seit 2012 ist Gelpke Besitzer eines italienischen Restaurants im Hamburger Hafenviertel. Sein Büro liegt mitten in der historischen Speicherstadt, in der Nähe der Elbphilharmonie. Nikolaus Gelpke initiierte die «World Ocean Review», die seit 2010 jährlich erscheint. Zudem ist er Präsident der Ocean Science and Research Foundation und des International Ocean ­Institute ­sowie Beirat der Deutschen ­Umweltstiftung. Er lebt mit seiner Familie in Hamburg.

 

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«Wenn man einen ethischen Anspruch hat, ist Umweltschutz evident»: Nikolaus Gelpke in der Hamburger Speicherstadt.
Foto: David Maupilé
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Heute bedroht Plastikmüll die Weltmeere.
Natürlich gehört Plastikmüll nicht ins Meer. Letztlich hat er aber keinen so grossen Einfluss auf das Überleben des Ökosystems, wie es oft dargestellt wird. Die Versauerung und Erwärmung schaden ihm viel mehr.

Was passiert, wenn die Klima­erwärmung nicht gestoppt wird?
Das Meer nimmt 50 Prozent des CO2 auf, das wir produzieren. In der Ostsee stirbt deswegen der Dorsch aus. Dem ist es zu warm geworden, er wandert in den Norden ab. Und die Korallenriffe produzieren viel weniger Biomasse als früher. Die Artenzusammensetzung im Meer verändert sich völlig. Selbst wenn wir die Klimaerwärmung stoppen würden, kann dieser Prozess noch Jahrhunderte andauern.

Also nützen Klimakonferenzen wie die letzte in Bonn gar nichts?
Ich bin an sich kein Freund von Konferenzen. Der Aufwand steht nie in einer vernünftigen Relation zum Resultat. Aber ohne Konferenzen rückt ein Konsens in noch weitere Ferne. Ob wir die Effekte des Klimawandels aber jemals wieder korrigieren können, bezweifle ich.

Das klingt sehr pessimistisch. Trotzdem engagieren Sie sich für den Umweltschutz.
Im Grunde kann es uns egal sein, ob es Wale gibt – oder eben nicht. Ob in Afrika Menschen sterben, kann uns auch egal sein – oder eben nicht. Wenn man jedoch einen ethischen Anspruch hat, ist zum Beispiel Umweltschutz evident. Es geht um Werte, die nicht nur christlichen Traditionen entspringen, sondern vor allem den Gedanken der Aufklärung. Sie regeln im Grossen und Ganzen das Zusammenleben als Gemeinschaft – vor allem für zukünftige Generationen – und vermindern die kurzfristigen, individuellen Neigungen. Es ist eine moralische Frage, ob wir so vehement in ein Jahrmillionen gewachsenes Ökosystem eingreifen dürfen, nur um unserer Generation ein kurzfristiges gutes Dasein zu ermöglichen. Zudem gefährden wir die Ernährungsgrundlagen zukünftiger Generationen.

Ist daran auch die Überfischung schuld?
Die ist tatsächlich ein grosses Problem, zahlreiche Arten drohen auszusterben.

Dürfen wir überhaupt noch Fisch essen?
Ja, aber man sollte nur grosse, ausgewachsene Fische kaufen, weil die sich reproduziert haben. Und man kann sich an Labels wie MSC orientieren. Es gibt zwar Kritik an ihnen, aber sie sind besser als gar nichts. Zudem geben Greenpeace oder der WWF Listen heraus, die zeigen, welche Fische gefährdet sind.

Was kann jeder Einzelne sonst noch tun?
Der Verbraucher kauft, was günstig ist. Deswegen bin ich für eine starke staatliche Regulierung. Ich bin der Anti-Trump. Deprimierend ist, dass viele Politiker über die bedrohten Fischbestände Bescheid wissen, aber aus rein lobbyistischem Denken nichts tun. Die Fischerlobbyisten aus Frankreich, Spanien und Portugal sind so stark wie die Autolobby in Deutschland.

Sie sind Inhaber eines italienischen Restaurants in Hamburg. Kochen Sie auch selber?
Ja, aber nur daheim. Ich bin nicht der Superkoch, aber ich bereite seit 30 Jahren jeden Tag für meine Familie die Mahlzeiten zu. Küchen­arbeit entspannt mich. Einkaufen finde ich ganz toll. Ich gehe auf den Markt, in kleine Läden, aber auch in Supermärkte.

Und dann kaufen Sie meistens Fisch?
Ich konsumiere auch Fleisch, aber nur, wenn es aus artgerechter Tierhaltung stammt. Fische esse ich sehr gerne, ich weiss aber immer genau, woher sie kommen. Ich schätze einen guten Lachs, mag auch Forellen. Früher ass ich auch Baby-Calamares. Aber Tintenfische kann ich nicht mehr essen.

Weshalb?
Ich bin eigentlich nicht so zart besaitet. Aber wir haben in unserem Verlag vor kurzem ein Buch über den Oktopus publiziert. Nachdem ich erfahren habe, wie intelligent diese wirbellosen Tiere sind, beinahe so intelligent wie Hunde, ist es für mich undenkbar, sie zu essen.

Und wie sieht es mit Austern aus? Sie haben ja während Ihrer Zeit im kanadischen Halifax als Austerntaucher gearbeitet.
Das war eine total blöde Arbeit. Ich musste die Käfige unter Wasser von den Algen säubern, vier Stunden am Tag. Austern esse ich nur an denjenigen Orten, wo sie herkommen. In Hamburg nicht, aber auf Sylt die Sylter Auster schon. Oder in der Bretagne. Ich bin sehr vor-sichtig, was Meeresfrüchte anbelangt.

In Halifax wohnten Sie bei ­Elisabeth Mann Borgese, der jüngsten Tochter des Schriftstellers Thomas Mann. Wie haben Sie sie kennengelernt?
Über eine Freundin meiner Mutter. Sie erzählte, dass Mann Borgese als Seerechtsdozentin in Halifax arbeite. Ich kontaktierte sie. Daraufhin lud sie mich zu sich ein. Sie übernahm meine Flug- und Verpflegungskosten, dafür kümmerte ich mich um ihre Setter und machte den Haushalt.

Mussten Sie auch kochen?
Nein, das machte sie. Sie hat wahnsinnig gut gekocht. Bei ihr ass ich die beste Hummersuppe meines Lebens. Sie brachte mich auch auf die Idee, Meeresbiologie zu studieren.

Woher stammt Ihre Faszination für das Wasser, für das Meer?
Mit sechs war ich das erste Mal am Meer, in Italien. Ich genoss die Wellen, obwohl ich nicht schwimmen konnte und von ihrer Wucht runtergedrückt wurde. Und ich beobachtete die Fischer, die bei der vorgelagerten Insel Ponza auf ihren Einzylinder-Holzbooten im Abendrot hinausfuhren, mit der Zigarette im Mundwinkel. Das war für mich ein Sinnbild für Freiheit.

Als Schweizer hätten Sie doch auch von den Bergen fasziniert sein können.
Die Sehnsucht nach dem Unbekannten ist aber viel stärker als der Realitätsbezug. Der Mann, der hinter dem Deich wohnt, findet das Meer vielleicht nur nass und kann ihm sonst nichts abgewinnen.

Die Freude am Meer führt dazu, dass Kreuzfahrten boomen.
Leider. Die Reedereien versuchen sich jetzt ein grünes Mäntelchen zu geben. Aber sie fahren mit dem schlimmsten Schweröl, das es auf der Welt gibt.

Wo liegen für Sie heute die schönsten Orte am Meer?
Ich mag die Keltische See im Süden von Irland oder die Île-Molène, die westlich von Brest liegt. Wenn ich nur noch zwei Monate zu leben hätte, würde ich auf die bretonische Insel Ouessant fahren.

Sie ziehen den Atlantik dem ­Mittelmeer vor?
Das Mittelmeer mag ich auch, aber es ist mir zu zahm und zu kultur­besetzt.

Können Sie sich vorstellen, wieder in der Schweiz zu leben?
Höchstens in Graubünden, dort mache ich auch immer mal wieder Ferien. Es ist so ursprünglich in den Werten, die ich an der Schweiz schätze. Alles scheint so klar und direkt, ohne Anbiederung oder Opportunismus. Manchmal erinnert mich die Art der Bündner an die wunderbare Direktheit der Norddeutschen.

Wasser ist auch immer mit Angst verbunden. Es gibt Stürme, hohe Wellen, dunkle Tiefe. Was löst es bei Ihnen aus?
Wer mal länger draussen auf dem Wasser oder nachts auf dem Meer war, begreift, wie klein man im Vergleich zum Meer ist. Diese Erfahrung lehrt einen Demut.

Sie haben in jungen Jahren Ihr Tauchbrevet gemacht und sind später bei Jacques Piccard in seinem U-Boot mitgefahren. Hatten Sie bei Ihrer Grösse von 2,04 Metern keine Platzangst?

Piccard war selber sehr gross, das U-Boot entsprechend gebaut. Ich hatte keine Sekunde Angst mit Piccard. Ob das jetzt noch so wäre, wage ich zu bezweifeln. Ich bin ängstlicher geworden. Ich mache viele Sachen nicht mehr. Zum Beispiel schwimme ich nicht mehr hinaus, sondern parallel zum Strand.

Neben Ihrer Grösse fällt auch Ihre Frisur auf.
Die habe ich bereits seit meinem 16. Lebensjahr. Aus Bequemlichkeit. Ich wasche seitdem meine Haare jeden Tag nur mit heissem Wasser. Verwende kein Shampoo. Meine Haare sehen auch nie einen Föhn.

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