«Ich sollte vielleicht etwas paranoider sein!»
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Bis zu 20 Jahre Gefängnis:Sie hackte Hunderte von Firmen nur zum Spass

Jetzt wird es heikel für Luzerner Computer-Hackerin Tillie Kottmann (21)
«Ich sollte vielleicht etwas paranoider sein!»

Tillie Kottmann (21) knackte über das Internet die Codes von Hunderten Computernetzwerken. Firmen, Regierungen, niemand ist sicher vor ihr. Jetzt hat die Luzernerin die US-Justiz am Hals.
Publiziert: 19.03.2021 um 21:00 Uhr
Beat Michel

Vor einer Woche durchsuchte die Luzerner Polizei die Altbauwohnung der Luzerner Juso-Politikerin Tillie Kottmann (21). Sie hat sowohl unter ihrem richtigen Namen als auch unter verschiedenen Pseudonymen Computernetze gehackt, geheime Daten runtergeladen und auf Telegram, Twitter und einer eigenen Homepage für alle zugänglich gemacht. Für sie ist es ein aufregendes Hobby – für die US-Justiz ein schweres Verbrechen. Gestern wurde gegen den als Frau lebenden Computer-Nerd offiziell Anklage erhoben.

In der zwölfseitigen Anklageschrift erheben die Untersuchungsbehörden schwere Vorwürfe. So hackte ihr Kollektiv im März über 150'000 Überwachungskameras der US-Firma Verkada. Dazu kamen Kameras von Gefängnissen, Schulen und einer Tesla-Fabrik. Besonders heikel: Unter ihrem Namen passierten Cyberattacken auf einen Rüstungshersteller sowie auf eine Investmentgesellschaft sowie verschiedene Abteilungen der US-Regierung.

Kottmann ist Teil des Hacker-Kollektivs «Advanced Persistent Threat 69420». Als Sprecherin der Gruppe machte sie den Hack publik und verbreitete die Fotos der Überwachungskameras. So gelangte sie wohl ins Visier der US-Justiz.

Tillie Kottmann (21), als sie die Haare noch nicht gefärbt hatte. Seit Ende 2019 hat der junge Mann, der jetzt als Frau lebt, sich in Hunderte von Computernetzwerke gehackt.
Foto: Zvg
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Das FBI am Hals

Für die Hackerin kann das Hobby bald schwere Konsequenzen haben. Unter anderem ist sie wegen «wire fraud» angeklagt, das bedeutet so viel wie elektronischer Betrug. Zuständig ist dafür die Bundesbehörde FBI. Bei einer Verurteilung drohen ihr bis zu 20 Jahre Haft.

Vorläufig gibt sich Kottmann gut gelaunt. Auf Twitter war sie bereits wieder an einem Computer zu sehen. Sie sagte auf die Frage, ob sie durch die Strafverfolgung nicht beunruhigt sei: «Vielleicht sollte ich etwas paranoider sein. Aber was würde das ändern? Ich würde genauso ein Ziel der Untersuchungsbehörden bleiben.»

Solange sie noch kann, werde sie Codes knacken: «Es macht zu viel Spass. Wir werden garantiert nicht damit aufhören. Und es ist auch keine falsche Sache», sagt sie im Video auf Twitter.

Was genau jetzt passiert, ist noch unsicher. Aber ganz so entspannt wird es vermutlich für Kottmann nicht. «Die USA könnten die Schweiz ersuchen, die beschuldigte Person rechtshilfemässig einzuvernehmen. Oder: Sofern sich auch in der Schweiz ein Tatverdacht erhärtet, könnten die Schweizer Behörden selbständige Untersuchungshandlungen vornehmen», sagt der St. Galler Strafrechtsexperte und Notar Fabian Teichmann.

Verfassung schützt vor Auslieferung

Zusätzlich können die USA ein Auslieferungsgesuch stellen. «Zwischen den USA und der Schweiz existiert ein Auslieferungsvertrag. Jedoch hält die Bundesverfassung fest, dass Schweizerinnen und Schweizer nur mit ihrem Einverständnis ausgeliefert werden dürfen», sagt Teichmann weiter.

Vor Reisen ins Ausland sollte sich Kottmann also vorläufig hüten. Erlassen die USA einen internationalen Haftbefehl, würde der wohl von allen Nachbarländern der Schweiz vollstreckt. So könnte bereits eine einfache Reise nach Italien oder Deutschland ein erhebliches Risiko für eine Auslieferung in die USA bedeuten.

In den USA gibt man sich im Moment noch entspannt. Nachdem die Anklage eröffnet wurde, steht das Verfahren nun vorläufig still. Dies bestätigte die US-Bundesanwaltschaft auf Anfrage von BLICK. Kommunikationsdirektorin Emily Langlie schreibt: «Die USA machen in diesem Fall erst weiter, wenn die angeklagte Person anwesend ist und sich mit einem Anwalt verteidigen kann.»

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