Glencore-Chef Ivan Glasenberg über Investitionen in Afrika und seine Steuern in der Schweiz
Jetzt spricht der umstrittenste Manager der Schweiz

Glencore-Chef Ivan Glasenberg spricht mit Blick über seine Karriere, seinen Beruf, das Trading, die Umwelt und antwortet auf die Kritiken, welche die NGOs an Glencore und den Rohstoffhandel stellen.
Publiziert: 07.05.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2018 um 10:22 Uhr
Landwirtschaft: Auch Getreide gehört zum Geschäft von Glencore.
Foto: Tom Roschi
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Interview: René Lüchinger

BLICK: Herr Glasenberg, was fasziniert den Chef des weltgrössten Rohstoffkonzerns an der Kohleförderung? Als junger Händler begannen Sie dort.
Ivan Glasenberg:
Nichts. Ich war damals im lokalen Büro der damaligen Marc Rich Company in Johannesburg, 27 Jahre alt, und sie brauchten einen Trader für Kohle. Sie hätten mich genauso gut auf Öl oder Zink ansetzen können. So wurde es halt Kohle.

War Trader Ihr Berufswunsch?
Ich war ja zunächst ausgebildeter Rechnungsprüfer in Südafrika. Ich sass damals in der Bibliothek eines Rohstoffhandelsunternehmens und hörte, wie die Händler über ihren Job sprachen. Das hat mich elektrisiert. Nach einem MBA in den USA ging ich direkt zu Marc Rich, der damals noch ein reiner Rohstoffhändler war.

Was ist daran so faszinierend? Die Rohstoffe, Kupfer beispielsweise, werden virtuell via Computer rund um den Globus geschleust, ohne dass der Trader das Metall je zu Gesicht bekommt.
Das stimmt nicht ganz. Kupfer und andere Rohstoffe sind nicht virtuell, sondern werden als Fracht auf Schiffen rund um die Welt transportiert. Glencore ist heute ein integriertes Rohstoffunternehmen, welches rund um den Globus Minen und Transportkapazitäten unterhält, Handel betreibt und so die Rohstoffe von der Förderung bis zum Endkunden bewegt.

Das ändert nichts daran: Sie sitzen hier im Büro und bewegen jeden Tag Tonnen von Rohstoffen.
Ausser wir besuchen unsere Minen, dann fassen wir sie auch an. Aber Sie haben recht: Es ist ganz schön aufregend, wenn Sie in einer eigenen Mine im Kongo Kupfer produzieren, dieses in Tonnen fassenden, grossen Trucks zum nächsten Hafen gekarrt und in grosse Tanker umgeladen und nach Japan verschifft wird – und Sie verfolgen das am Computer im Zuger Headquarter. Virtuell ist das nicht, denn wir bewegen reale Materie, und unser Geschäft ist die Aorta der Weltwirtschaft. Ohne Rohstoffe steht diese globale Wirtschaft still.

Der kürzlich verstorbene Marc Rich war der Pionier dieses Geschäfts. Welche Erinnerungen haben Sie an ihn?
In den ersten sieben Jahren in seiner Firma habe ich ihn nie getroffen. Ich arbeitete in Australien, Südafrika, Hongkong für ihn, und erst als ich Chef der Kohle-Division wurde und in die Schweiz zog, hatte ich direkt mit ihm zu tun. Ein dynamischer Mann, der eine grossartige Firma aufgebaut hat.

Wie wird man Trader?
Trading ist ein «People business», das nur «on the job» gelernt werden kann. Wir holen junge Studenten zu Glencore und schulen sie intern. Zunächst arbeiten sie im Backoffice, bearbeiten etwa Schiffsdokumente. Sie lernen die Beschaffungsseite auf den Minen, den Transport und die Logistik genauso kennen wie die Kundenseite, die Endabnehmer. Einige schaffen es dann in den Handel, und viele bleiben praktisch ein ganzes Berufsleben lang bei Glencore – so wie ich auch.

Die Verantwortung ist gross: Innert Sekunden kann ein Trader Millionen verspekulieren!
Halt! Wir sind keine Spekulanten, die auf Rohstoffpreise wetten. Wir betreiben ein physisches Business, indem wir Kupfer, Öl oder Zink vom Erzeuger zum Verbraucher bringen. Das ist etwas ganz anderes als der Spekulant eines Hedge Funds, der den ganzen Tag auf Rohstoffpreise starrt, um von einer Preisdifferenz zu profitieren. Im Gegensatz zu diesem sind wir im Grunde ein Logistikkonzern, der eine ökonomisch eminent wichtige Aufgabe erfüllt.

Ein Beispiel?
Nehmen wir dieses: Japan braucht Kohle, weil die Nachfrage gross ist. Kohle dorthin zu verschiffen, braucht Zeit, und Sie brauchen auch entsprechende Transportkapazitäten. In dieser Situation lässt sich ein guter Preis lösen, sofern Sie eben über genügend lieferbare oder sich auf dem Transport befindliche Kohle verfügen. Das Ziel ist, dieses in nützlicher Frist und zum bestmöglichen Preis für den Kunden und für uns nach Japan zu bringen. Das ist unser Geschäft, das im Übrigen sehr kapitalintensiv ist.

Trotzdem ist die Situation paradox: China hat einen enormen Hunger nach Rohstoffen, und trotzdem sinken die Preise.
China konsumiert heute schon 40 bis 50 Prozent der Rohstoffe der Welt. Eine Entwicklung, die 2002 mit dem Beginn der grossen Industrialisierung begonnen hat. Doch damals waren die Rohstoffminen nicht in der Lage, die enorme chinesische Nachfrage zu decken. Resultat: Die Preise schossen durch die Decke. Dann, als die Produktion an Rohstoffen entsprechend hochgefahren war, blieb die Nachfrage zwar stabil, aber dafür bestand nun ein zu grosses Angebot. Deshalb sinken jetzt die Preise. Wir brauchen aber höhere Rohstoffpreise.

Wieso?
Die Bergbau-Unternehmen haben vor der Finanzkrise enorme Investitionen getätigt, die nur durch höhere Rohstoffpreise zu amortisieren sind. Wenn Kritiker der Rohstoffbranche behaupten, sie mache derzeit die ganz grossen Gewinne, ist das nicht ganz richtig. Die Nachfrage steigt zwar langsam wieder. Aber in China haben sich die Wachstumsraten halbiert. Die grossen Infrastrukturprojekte wurden gedrosselt, der Kampf der Regierung gegen die Umweltverschmutzung: All dies drosselt den Rohstoffverbrauch. Um aber eine vernünftige Rendite auf den Investitionen in die neuen Mine zu verdienen, brauchen wir höhere Preise.

Wenn der Bedarf der Welt an Rohstoffen wieder steigt, stellt sich die Frage: Sind diese irgendwann erschöpft?
Eine berechtigte Frage. Das zeigt aber auch, wie wichtig Rohstoffunternehmen wie Glencore sind. Was Sie auch anfassen, überall sind Rohstoffe drin. Deshalb ist klar: Rohstoff-Förderer müssen weiter investieren, damit der Welt die Rohstoffe nicht ausgehen. Das bedeutet aber auch: Wir müssen in immer schwierigere Förderländer gehen, unter immer schwierigeren Bedingungen fördern.

Das heisst?
Von einem Entwicklungsland wie Peru gehen wir nun nach Afrika, ein Kontinent mit wenig entwickelter Infrastruktur, wenigen Eisenbahnen, wenigen Seehäfen. Schwierige Verhältnisse, aber wir haben keine Wahl. Wenn wir es nicht tun, ist der Hunger der Welt nach Rohstoffen nicht zu stillen. Ich möchte aber festhalten: Wenn wir in diesen Überseegebieten wie Afrika oder Australien tätig sind, dann immer nachhaltig, verantwortungsbewusst und in Übereinstimmung mit unseren eigenen und den globalen Standards für unsere Industrie.

NGOs sagen, Firmen wie Glencore würden die Dritte Welt ausbeuten, indem sie deren Bodenschätze plündern.
Wer investiert 25 Milliarden Dollar in ein Land wie Guinea, wenn nicht private Unternehmen? Die Rohstoffe im Boden nützen nichts, wenn sie nicht gefördert werden. Diese Investoren bauen die dafür nötige Infrastruktur: Minen, Eisenbahnen, Häfen, Unterkünfte für die Arbeiter und so fort. Dazu braucht es Investitionen, die nötige Expertise, die Arbeiter müssen ausgebildet werden.

All das kritisieren die NGOs.
Wir haben das Problem, dass Afrika dieses negative Image hat. Wer auf diesem Kontinent investiert, tut Schlechtes, beutet die Armen aus. So lautet das Vorurteil, und das ist eine gute Story für manche NGOs. Viele investieren dort aus diesem Grund nicht.

Und was antworten Sie den Kritikern?
Der Bergbau ist immer der Beginn der industriellen Entwicklung in Ländern, die reich an Rohstoffen sind. Die USA, Südamerika, Australien, Südafrika und Kanada: Immer stand am Anfang der Bergbau. Und um das geht es: die armen Länder zu entwickeln, um die Armut zu überwinden, um Menschen auszubilden, um ihnen zu helfen, Fähigkeiten zu entwickeln, die sie auch ausserhalb des Bergbaus anwenden können, und um den Aufbau eines vernünftigen Gesundheitswesens.

Warum sehen die NGOs diese Zusammenhänge nicht?
Weil manche diese nicht sehen wollen. Wenn wir in ein Land gehen, geben wir den Leuten vor Ort Arbeit, wir zahlen Löhne, Abgaben und Steuern, bauen Schulen, Spitäler, Strassen und andere wesentliche Infrastrukturen. Afrikanische Regierungen und Behörden wissen, dass die Unternehmen im Bergbau für die Entwicklung Afrikas wichtig sind.

Dann haben Sie nur mit den NGOs ein Kommunikationsproblem …
Wir laden diese immer ein, mit uns zusammenzuarbeiten, mit uns nach Afrika oder Südamerika zu kommen, damit sie sehen, was wir dort tun. Kürzlich habe ich zum Beispiel Schweizer Bürgerinnen und Bürger zusammen mit der kolumbianischen NGO PAS und der Arbeitsgruppe Schweiz Kolumbien (ASK) zu einer Besichtigung unserer Anlagen in Kolumbien eingeladen und begleitet. Aber wenn einige NGOs dies nicht tun wollen, haben wir in der Tat ein Kommunikationsproblem.

Was bekämen sie zu sehen, wenn sie denn wollten?
Dass wir beispielsweise im Kongo rund fünf Milliarden Dollar investiert haben. In einer Gegend, wo während Jahrzehnten praktisch nichts investiert wurde, haben wir 17 000 Jobs geschaffen, zahlen Löhne und Steuern und bauen Schulen. Die Menschen dort haben besseren Zugang zu Nahrungsmitteln, einen höheren Lebensstandard und ein steigendes Bildungsniveau. Die Alternative wäre, nichts zu tun.

NGOs sprechen von Ausbeutung und Umweltzerstörung.
Wie gesagt, ich lade jeden ein, mit uns zu kommen. Und bei 181 000 Menschen, die wir weltweit beschäftigen, kann es auch sein, dass es einmal Probleme gibt. Aber ich weiss, was diese Firma tut und dass wir unsere Unternehmensgrundsätze weltweit durchsetzen. Einige NGOs ziehen es vor, sich nicht an den Fakten zu orientieren.

Nämlich?
Nehmen Sie jene Kupfermine in Sambia, die 1937 von Privaten eröffnet worden war. Dann wurde sie durch die Regierung nationalisiert und zwanzig Jahre betrieben, wodurch möglicherweise Geld verloren und hohe SO2-Emissionen (Schwefeldioxid) ausgestossen wurden. Irgendwann wollte der Staat die Mine wieder privatisieren, und Glencore war einer der Gewinner im Bieterprozess. Wir sagten dem staatlichen Verkäufer, die SO2-Emissionen seien viel zu hoch, das entspreche nicht unseren Unternehmensgrundsätzen und den globalen Standards. Wir sagten, wir müssten die Mine vorübergehend stilllegen, um sie technisch auf den neusten Stand zu bringen.

Das ist doch eine gute Sache.
Die Regierung sagte: Eine Schliessung kommt nicht in Frage. Die 9000 Arbeiter könnten nicht ohne Arbeit sein. Wir sagten: Wir können die Anlage bei laufendem Betrieb modernisieren, aber das würde länger dauern. Ab diesem Moment stellten uns die NGOs an den Pranger: Glencore produziere Umweltverschmutzung. Kein Wort über die Herkunft der SO2-Emissionen, die jahrzehntelang geduldet wurden, und darüber, dass wir 500 Millionen Dollar investierten, um die Sanierung zu ermöglichen, die wir dann im März 2014 vorzeitig abschliessen konnten. Und kein Wort über die 11 000 Arbeitsplätze, die wir dort seit dem Jahr 2000 geschaffen haben.

Seit vier Jahren ist Glencore an der Börse.
Wir hätten eine Privatfirma bleiben können. Aber wir haben uns anders entschieden: Immer wenn bei uns ein Partner ausstieg, mussten wir ihm seine Anteile abkaufen. Dieses Geld fehlte uns dann für Investitionen in Minen oder Frachter. Deshalb gingen wir an die Börse und können nun beides tun.

Immer kommt der Vorwurf, Glencore zahle kaum Steuern, das Business sei zu wenig kontrolliert.
Beides ist nicht korrekt. Glencore hat vergangenes Jahr weltweit rund fünf Milliarden Dollar Steuern bezahlt. Und in jedem Staat, in welchem wir tätig sind, gibt es Gesetze, Reglemente und Verordnungen, die wir selbstverständlich einhalten. Kein Land würde es akzeptieren, wenn wir uns da etwas zu Schulden kommen lassen würden. Das können Sie mir glauben.

Sie selber zahlen Steuern im zürcherischen Rüschlikon.
Ich habe kein Problem damit. Ich lebe gern in der Schweiz und habe inzwischen auch den roten Pass.

Rüschlikon hat Glück mit Ihnen. Ihre Anteile an der Firma sind rund sechs Milliarden Franken wert.
Mag sein. Ich habe das nie nachgezählt. Das Geld steckt ja in der Firma und nicht in meinem Sack.

Das gibt kräftig Gemeindesteuern.
Wenn Sie das unbedingt schreiben wollen: Im Jahr des Börsengangs habe ich 320 Millionen Franken Steuern gezahlt. Deshalb hat meine Wohngemeinde vielleicht so schöne öffentliche Bushaltestellen.

Ein Schweizer Multi

Der integrierte, im globalen Rohstoffhandel und der Rohstoffproduktion tätige Konzern Glencore geht auf die vom Handelspionier Marc Rich 1974 gegründete Marc Rich + Co AG zurück. Nach dessen Abgang wurde die Firma zwei Jahrzehnte später auf Glencore (Global Energy Commodity and Resources) umfirmiert; die Aktien lagen in Händen des Top-Managements. In der Folge stieg der Konzern neben dem Handel in die physische Produktion von Metallen und Mineralien (Aluminium, Bauxit, Nickel, Kupfer oder Zink), von Energieträgern wie Öl oder Kohle sowie in die Agrarproduktion (Getreide, Reis oder Zucker) ein. Im Jahre 2011 erfolgte der Börsengang, und ein Jahr später fusionierte die Firma mit der in Zug ansässigen Xstrata. Im Jahr 2014 setzte der Konzern über 220 Milliarden Franken um und beschäftigt heute weltweit 181 000 Menschen. Der Hauptsitz befindet sich in Baar ZG.

Der integrierte, im globalen Rohstoffhandel und der Rohstoffproduktion tätige Konzern Glencore geht auf die vom Handelspionier Marc Rich 1974 gegründete Marc Rich + Co AG zurück. Nach dessen Abgang wurde die Firma zwei Jahrzehnte später auf Glencore (Global Energy Commodity and Resources) umfirmiert; die Aktien lagen in Händen des Top-Managements. In der Folge stieg der Konzern neben dem Handel in die physische Produktion von Metallen und Mineralien (Aluminium, Bauxit, Nickel, Kupfer oder Zink), von Energieträgern wie Öl oder Kohle sowie in die Agrarproduktion (Getreide, Reis oder Zucker) ein. Im Jahre 2011 erfolgte der Börsengang, und ein Jahr später fusionierte die Firma mit der in Zug ansässigen Xstrata. Im Jahr 2014 setzte der Konzern über 220 Milliarden Franken um und beschäftigt heute weltweit 181 000 Menschen. Der Hauptsitz befindet sich in Baar ZG.

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