«Miteinander und füreinander da sein»
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Das Bedeutet Gemeinschaft:«Miteinander und füreinander da sein»

Ewa Bender ist Teil der LGBTQ-Community
«Geborgen fühle ich mich, wenn ich sein darf, wie ich bin»

Ewa Bender (23) ist in einem kleinen Bündner Dorf aufgewachsen und mit 18 Jahren nach Zürich gezogen, um Medizin zu studieren. Sie ist Präsidentin der Milchjugend. Einer Jugendorganisation für lesbische, schwule, bi, trans, inter und asexuelle Jugendliche.
Publiziert: 18.12.2021 um 11:12 Uhr
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Aktualisiert: 03.01.2022 um 16:58 Uhr
Interview: Aline Wüst

Frau Bender, wann fühlen Sie sich geborgen?
Ewa Bender: Wenn ich mit meinen Freunden zusammen bin. Da habe ich nie das Gefühl, ich müsste die lustigste Person im Raum sein, sondern darf auch einfach schweigen. Geborgen fühle ich mich also, wenn ich sein darf, wie ich bin.

Was bedeutet für Sie Gemeinschaft?
Innerhalb der LGBTQIA+-Szene ist die Community sehr wichtig. Sie ist wie eine Familie, die man sich ausgesucht hat. Wir unterstützen uns gegenseitig. Wenn ich an einen queeren Anlass gehe, weiss ich von vornherein, dass es ein Ort sein wird, wo ich einfach mal per se akzeptiert werde. Viele queere Jugendliche finden erst in der LGBTQ-Community ihren Freundeskreis.

Wie meinen Sie das?
So sehr ich meine Freundinnen aus Graubünden liebe, so wenig verstehen sie LGBTQ-Themen. Natürlich kann ich ihnen alles erklären. Aber es ist anders, wenn ich mit Menschen aus der Community rede.

«Wir müssen lernen, die Vielfalt zu feiern», sagt Ewa Bender (23), Präsidentin der Milchjugend, einer ­Jugendorganisation für lesbische, schwule, bi, trans, inter und asexuelle Jugendliche.
Foto: Thomas Meier
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Weihnachten steht für Gemeinschaft. Doch die bricht gerade auseinander – oder doch nicht? In dieser Serie erzählen neun Menschen unterschiedlichster Herkunft und Haltung, was für sie Gemeinschaft ausmacht. Die Antworten geben Anlass zur Hoffnung.

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Manuela Leemann

Tama Vakeesan

Ralph Lewin

Jessica Anderen

Hernâni Marques

Ewa Bender

Thomas Markus Meier

* Name der Red. bekannt


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Haben Sie ein Beispiel dafür?
Meine Ex-Freundin schilderte einmal in einem Interview, was sie erlebt, wenn wir auf der Strasse Hand in Hand gehen – verbale Angriffe und andere Formen von Diskriminierung. Eine Freundin aus Graubünden sagte zu mir: Aber das ist dir doch noch nie passiert, oder? – Doch natürlich habe ich das schon erlebt. Aber ich erzähle es nicht ständig, weil es so oft passiert. Meine Freunde aus der Community wissen von vornherein, was ich erlebe. Es braucht weniger Erklärung. Das ist schön.

Was verbindet Sie mit Menschen?
Die gemeinsame Vorstellung davon, wie die Welt sein soll.

Wie soll die sein?
Mein Wunsch ist eine sehr offene und solidarische Gesellschaft. Eine Welt, in der queere Jugendliche so sein können, wie sie sind. Und zwar so früh wie möglich. Viele leiden in der Schulzeit und können erst Selbstbewusstsein aufbauen und stolz auf sich sein, wenn sie aus den fixen Strukturen ausbrechen können.

Und wie sieht eine solidarische Gemeinschaft aus?
Eine Gesellschaft, in der Menschen fähig sind, andere Lebensrealitäten zu sehen und bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen. Ein Bekannter beispielsweise sagte mir, dass er keinen Bock hat, sich impfen zu lassen. Ich finde das sehr unsolidarisch von ihm. Ich studiere Medizin und arbeite neben der Uni noch in einem Wohnheim für Menschen mit einer Behinderung, einige davon gehören zur Risikogruppe. Ich möchte nicht wegen meines Bekannten Corona in dieses Wohnheim schleppen und dort eine Person gefährden. Genauso wichtig finde ich, dass man Leuten nicht einfach als Idioten abtut, wenn sie aktuell verunsichert sind.

Sondern?
Versucht, ihre Ängste zu verstehen. Wenn eine Schwangere Angst hat, dass es ihrem Kind schadet, kann ich das verstehen. Da muss man sich die Zeit nehmen und das gemeinsam besprechen, es ihr erklären. Oder wenn jemand nicht versteht, wie Impfungen funktionieren, dann tönen Sachen wie RNA und DNA gruselig. Es ist dann wichtig, zuzuhören und aufzuklären, die andere Person muss dann aber auch zuhören und sich das erklären lassen. Das ist wie bei LGBTQ-Themen. Vieles wäre anders, wenn die Leute zuhören würden. Dann würden sie verstehen, dass queer sein kein Trend ist, sondern Leute in der Schweiz leiden, weil sie deswegen diskriminiert werden.

Gehört es zu einer Gemeinschaft, dass der Einzelne sich anpasst?
Nein, für mich hat Gemeinschaft damit zu tun, dass man lernt, die Vielfalt zu feiern. Wenn ich mich an die Normvorstellung der Gesellschaft anpassen müsste, würde ich mich konstant verstellen und wäre definitiv weniger glücklich. Es müssen also nicht alle die gleiche Vorstellung davon haben, wie sie ihr Leben gestalten wollen. Aber der Respekt für die anderen muss da sein.

Bald ist Weihnachten. Verbringen Sie diese Tage mit der Familie oder der Community?
Am liebsten würde ich beides tun! Aber wegen der aktuellen Situation mit Corona liegt das nicht drin. Deshalb besuche ich zusammen mit meinen Geschwistern meine Mutter. Meine Kernfamilie übrigens ist eine wunderbare Gemeinschaft. Wir sind alle sehr unterschiedlich. Aber es funktioniert super, weil wir unsere Vielfalt geniessen – und ich bin sicher: Das funktioniert auch im Grösseren.

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