Chaotische Informationspolitik und mehr Gift als erwartet
Altlasten im Zürichsee werden zum Albtraum für den Kanton

Rund um das Areal der ehemaligen Chemiefabrik in Uetikon am See kommen immer neue, unangenehme Tatsachen zum Vorschein. Das beweisen auch geschwärzte Dokumente, die Blick vom Kanton Zürich erhalten hat.
Publiziert: 22.11.2023 um 00:56 Uhr
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Aktualisiert: 22.11.2023 um 12:19 Uhr
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Daniel JungRedaktor News

Der Umgang mit giftigen Altlasten ist heikel: Die Risiken sind kaum sichtbar, die Entfernung meist aufwendig und teuer. Und gräbt man etwas tiefer, kommen oft weitere Probleme zum Vorschein. So auch beim ehemaligen Chemieareal in Uetikon am See ZH, in dessem Fall der Kanton Zürich teilweise den Eindruck erweckt, etwas verbergen zu wollen. 

Mit giftigen und teils radioaktiven Schwermetallen ist der Boden des Zürichsees vor der ehemaligen Chemiefabrik stark belastet. Die Ablagerungen von Blei, Uran, Arsen oder Radium stammen aus dem Abwasser von über 150 Jahren Säure- und Düngerproduktion.

Ursprünglich war vorgesehen, die Schadstoffe auf dem gesamten verschmutzten Seegrund von rund 75'000 Quadratmetern zu entfernen. Ein Grossteil dieser Fläche ist inzwischen gereinigt.

Das Chemieareal in Uetikon: Ein grosser Teil der Arbeiten zur Entfernung von Altlasten aus dem Zürichsee wurden per Ende September 2023 abgeschlossen – der grösste Teil der Schadstoffe ist aber weiterhin im See.
Foto: Daniel Jung
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Streit um stark belastete 16'000 Quadratmeter

Noch unbehandelt ist allerdings eine breite Zone direkt vor der Uferbefestigung, wo die stärksten Belastungen liegen – mehr als zwei Fussballfelder gross. Weil dort die giftigen Ablagerungen dicker sind als erwartet, will der Kanton diese nicht entfernen, sondern mit Kies und Sand überschütten. Gegen dieses Vorgehen wehren sich Bewohner von Uetikon. Sie fordern einen Abtrag der hochkontaminierten obersten Schicht – und streiten darum mit dem Kanton vor dem Baurekursgericht.

Besonders sorgt bei den Uetikern die merkwürdige Kommunikation für Ärger. «Die Informations-, beziehungsweise Desinformationspolitik von Kanton und Gemeinde war skandalös», sagt Marco Bähler (68), diplomierter Strahlenschützer aus Uetikon am See. 

Dokumente stark zensiert

In diesem Zusammenhang hat Blick zwei Dokumente aus dem Jahr 2021 vom Kanton Zürich verlangt, gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz. Übermittelt wurden diese stark geschwärzt und gegen eine Gebühr von 406 Franken. Soweit lesbar, zeigen sie Ungereimtheiten im Prozess auf. 

Diese begannen früh: Im Mai 2020 wurde bekannt, dass die Seegrundsanierung günstiger werden soll als zuvor erwartet. Statt 40 Millionen sollten die Arbeiten nur 25 Millionen Franken kosten. 

Doch später wurde klar: Die Arbeitsgemeinschaft (ARGE) Marti Uetikon, die zum Baukonzern Marti Holding AG gehört und die Seegrundsanierung durchführt, hatte vom Kanton bei der Ausschreibung offenbar nicht genügend Informationen erhalten. So heisst es in einem der Dokumente, dass die Angaben zum radioaktiven Radium «nicht stimmig» gewesen seien. Die Schadstoffe Fluorid und Chrom-6 seien gar «an keiner Stelle erwähnt» worden. Damit wurde klar: Die Sanierung wird doch komplexer, und wohl auch teurer. 

«Im Trinkwasserreservoir nichts zu tun»

Ursprünglich waren auch die Fachleute des Kantons Zürich der Meinung, dass ein Verbleib der giftigen Schwermetalle im See nicht infrage kommt. An einer Präsentation vom Februar 2021 nannte Bettina Flury, Sektionsleiterin beim Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft (Awel), die Belastungen «Sonderabfall, der am Seegrund liegt». Sie betonte: «Sonderabfall hat da in einem Trinkwasserreservoir natürlich nichts zu tun, oder kann nicht da bleiben.» 

«Sonderabfall gehört nicht in ein Trinkwasserreservoir»
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Sektionsleiterin zu Zürichsee:«Sonderabfall gehört nicht in ein Trinkwasserreservoir»

Trotzdem ist nun genau dies vorgesehen. Markus Pfanner, Kommunikationsberater in der Zürcher Baudirektion, erklärt: «Das Awel hat seinen Standpunkt nicht verändert, aber der neue Wissensstand im Uferbereich muss berücksichtigt werden.» Wichtig sei, dass die Abfälle nicht mehr in Kontakt stehen mit der im See lebenden Flora und Fauna. «Dieses Ziel wird mit der geplanten Überdeckung gewährleistet.» Klar ist aber: Lange erweckte der Kanton den Eindruck, die Altlasten würden entfernt. 

Kanton liess Bevölkerung im Dunkeln

Mit Geheimniskrämerei verspielte der Kanton Vertrauen. Spätestens im August 2021, als die Dokumente verfasst wurden, zeichneten sich grundlegende Änderungen ab. Eines der Dokumente heisst: «Neue Anforderungen – Konsequenzen.» Darin ist bereits von einer «vorgesehenen Schüttung» die Rede.

Offiziell angeordnet hat das Awel die Überschüttung am 22. Januar 2022 – dies allerdings lange Zeit nicht offen kommuniziert. Öffentlich bekannt wurde die Überschüttung erst im Januar 2023. Dies nicht mit einer Medienmitteilung, sondern durch ein Baugesuch, das die Tragweite des neuen Plans kaum erkennbar machte. Erst im April 2023 gab es dann eine öffentliche Info-Veranstaltung, wo man die Katze aus dem Sack liess. 

Weiterhin ist unklar, ob das Vorgehen des Kantons den Vorgaben des Bundes entspricht. Zu Überdeckungen schreibt das Bundesamt für Umwelt in der Vollzugshilfe «Belastete Standorte und Oberflächengewässer»: Es sei nicht zulässig, belastete Sedimente durch «aktives Überschütten» zu sichern. Dennoch soll genau dies in Uetikon gemacht werden.

Rund 120 Tonnen Arsen im Boden

Inzwischen kommuniziert der Kanton Zürich aktiver: Am Montagabend informierte er die Bevölkerung über die Altlasten im Untergrund des ehemaligen Chemischen Fabrik, also an Land. Das Areal war von 1836 bis 1957 in mehreren Etappen aufgeschüttet worden. Mit Aushubmaterial, Produktions- und Bauabfällen.

Die Altlasten im Chemieareal in Uetikon am See: Neu wird auch das gesamte Gebiet an Land als «sanierungsbedürftig» eingestuft.

Dabei mussten die Verantwortlichen die nächste Hiobsbotschaft überbringen: Der Untergrund ist durchgehend und stärker als erwartet mit Schadstoffen belastet. Hauptproblem ist Arsen, von dem rund 120 Tonnen im Boden vermutet werden. Pro Tag werden 25 Gramm des Giftes in den Zürichsee getragen. Nun werden Varianten geprüft, um den Arsen-Austrag zu reduzieren. Klar ist aber schon: Die Gefahren für das Wasser des Zürichsees sind in Uetikon noch längst nicht gebannt.

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