Rassismusfälle in der Schweiz nehmen zu
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Bericht des Bundes
Rassismusfälle in der Schweiz nehmen zu

352 Fälle von Diskriminierung meldeten Beratungsstellen im Jahr 2019 – so viele wie nie. Das zeigt ein noch unveröffentlichter Bericht des Bundes, der dem SonntagsBlick vorliegt. Dabei fällt auf: Rassisten verüben ihre Übergriffe immer häufiger auf offener Strasse.
Publiziert: 25.04.2020 um 15:54 Uhr
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Aktualisiert: 25.04.2020 um 20:51 Uhr
Fabian Eberhard

Sprayereien von Nazi-Symbolen, das Zeigen des Hitler­grusses und der Übergriff auf einen schwarzen Jugendlichen: Anfang 2019 sorgten rechtsextreme Schüler in den Dörfern bei ­Köniz BE für Schlagzeilen.

Schweizer Beratungsstellen waren im vergangenen Jahr beinahe täglich mit solchen und ähnlichen Taten konfrontiert. Ein bisher unveröffentlichter Bericht der Eid­genössischen Kommis­sion gegen Rassismus (EKR) und des Vereins Humanrights.ch zeigt: Die Rassismusstellen mussten in 352 Fällen Hilfe leisten – so oft wie nie, eine Steigerung von 27 Prozent im Vergleich zu 2018.

Schwarze am häufigsten betroffen

Damit nicht genug: Die Zahlen verdeutlichen nur einen Bruchteil des wahren Ausmasses. «Die Dunkelziffer liegt deutlich höher», sagt EKR-Präsidentin Martine Brunschwig Graf. Denn nur die wenigsten Rassismusopfer wenden sich an eine Beratungsstelle.

352 Fälle von Diskriminierung meldeten Beratungsstellen im Jahr 2019 – so viele wie nie. Das zeigt ein noch unveröffentlichter Bericht des Bundes, der dem SonntagsBlick vorliegt.
Foto: Keystone
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Am häufigsten betroffen – in 132 Fällen – waren 2019 wie schon in den Jahren zuvor Schwarze. 83 Mal richteten sich die Übergriffe gegen Muslime und Menschen aus dem arabischen Raum, sechs Mal gegen Juden. Meist blieb es bei Drohungen, Beschimpfungen oder schwerer Benachteiligung. In 34 Fällen war körperliche Gewalt im Spiel.
Was auffällt: Die Hetze verlagert sich zunehmend vom privaten Umfeld in die Öffentlichkeit. Laut Bericht ist der Anteil an Diskriminierungen im öffentlichen Raum deutlich gestiegen. In keinem anderen Lebensbereich kommt es häufiger zu fremdenfeindlichen Vorfällen (Grafik oben).

Die Hemmschwelle der Rassisten scheint also zu sinken. «In den sozialen Medien beobachten wir diesen Trend schon länger», sagt die EKR-Präsidentin. Dort seien rassistische Äusserungen verbreitet, teils sogar salonfähig. Dass sich dieses Phänomen nun auch in den realen Raum verlagert, sei beunruhigend.

Einen Grund dafür ortet Brunschwig Graf in der etablierten Politik. «Wenn sich mächtige Menschen mit Vorbildfunktion – etwa US-Präsident Donald Trump – offen fremdenfeindlich äussern, dann leistet das einem diskriminierenden Klima Vorschub.» So würden Vorurteile zementiert, Rassisten fühlten sich in ihrer Haltung bestätigt.

Jeder zehnte Übergriff rechtsextrem motiviert

Gestiegen ist 2019 auch die ­Anzahl von Fällen mit rechtsextremem Hintergrund. Jeder zehnte Übergriff ist laut dem Bericht des Bundes mittlerweile diesem Spek­trum zuzuordnen.
Eine Entwicklung, die auch der Nachrichtendienst (NDB) beobachtet. In seinem neusten Tätigkeitsbericht schreibt der NDB: «Die rechtsextreme ­Szene ist im Aufbruch.» Brunschwig Graf warnt: «Das muss ernst genommen werden, wir dürfen das nicht unterschätzen.»


Dass die Beratungsstellen im Jahr 2019 einen deutlichen Anstieg der Diskriminierungen registriert haben, beunruhigt auch Gina Vega vom Verein Humanrights.ch. Sie hat den Bericht des Bundes mitverfasst und fordert eine Enttabuisierung des Themas: «Die rassistische Realität in der Schweiz wird verharmlost.» Das erschwere die Bekämpfung.
Laut Vega ist Rassismus ­Alltag. Bei der Arbeit, im Wohnbereich, in der ­Schule. Umso wichtiger sei die Aufklärungsarbeit der ­Beratungsstellen. Und EKR-Präsidentin Brunschwig Graf doppelt nach: «Rassismus muss im Alltag bekämpft werden – von uns allen.» Ge­fordert sei die ganze Gesellschaft.

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