Truppenabzug aus Syrien sorgt für ungeahnte Reaktionen in Washington
Republikaner-Aufstand zwingt Trump in die Knie

Donald Trump (73) wollte am Montagmorgen die US-Streitkräfte aus Syrien abziehen – und die Kurden ihrem Schicksal überlassen. Nach wenigen Stunden blieb von diesem Entscheid nicht mehr viel übrig.
Publiziert: 08.10.2019 um 02:11 Uhr
|
Aktualisiert: 08.10.2019 um 10:55 Uhr
Nicola Imfeld aus San Diego (USA)

Donald Trump (73) übertölpelt zum Wochenstart alle. Völlig überraschend – und gegen den Rat seiner Generäle – befiehlt der US-Präsident am Montagmorgen den Abzug der amerikanischen Streitkräfte aus einem 30 Kilometer breiten Streifen entlang der syrisch-türkischen Grenze. 

Das hat niemand kommen gesehen. Medienberichten zufolge nicht einmal das Pentagon – das Verteidigungsministerium der USA. Und dennoch geht es am Montagmorgen schnell: Kurz nach Trumps Ankündigung auf Twitter verliessen US-Konvois die Gegend, in der die Türkei demnächst eine Sicherheitszone für Millionen von syrischen Flüchtlingen einrichten will. 

Pikant ist der Befehl Trumps vor allem für die Kurden. Die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) reagierte schockiert auf die Nachricht aus Washington. Sie müssen sich nun mehr denn je vor der Türkei und dessen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan (65) fürchten. Die Türken haben die YPG als Terrororganisation eingestuft – und wollen schon lange eine Militäroffensive gegen die Kurden durchführen. 

Donald Trump kündigte am Montagmorgen einen Truppenabzug aus Syrien an.
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Demokraten, Republikaner, Fox News: Alle gegen Trump

Am Montagmorgen scheint der Weg für Erdogan also plötzlich frei zu sein. Trump sagt in einer ersten Reaktion sogar, dass die Türkei bald «mit ihrer lange geplanten Operation im Norden Syriens fortfahren» würden. Die USA «werden nicht weiter in der direkten Umgebung» dieser Operation sein. 

Die USA, die jahrelang Seite an Seite mit den Kurden gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gekämpft hatte, lassen ihre Verbündeten in Syrien im Stich. Oder doch nicht? 

Trumps Entscheid löst in Washington einen ungeahnten Sturm der Empörung aus. Demokraten, Republikaner, ja sogar Journalisten des konservativen Senders Fox News, kritisieren den US-Präsidenten scharf. Seite an Seite. Eine solche Einigkeit zwischen der beiden zerstrittenen Lager hat man in der US-Hauptstadt schon lange nicht mehr erlebt. 

Trump-Freund Graham: «Ein Desaster!»

Unter den zahlreichen Kritikern: Lindsey Graham (64), republikanischer Senator, beinharter Trump-Verteidiger. Doch nicht am Montag. Graham bezeichnet den Entscheid als «Desaster», kündigt einen Aufstand an: «Ich will einen Kongressbeschluss erwirken, der diesen fatalen Truppenabzug rückgängig macht.» 

Auch das Pentagon gibt sich aufmüpfig. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums warnt vor «möglichen destabilisierenden Folgen» der geplanten türkischen Operation für die Region. Das Pentagon habe der türkischen Seite «klargemacht», dass «wir eine türkische Operation in Nordsyrien nicht unterstützen».

Trump krebst zurück – droht plötzlich Erdogan

Und Donald Trump? Der scheint von der teils heftigen Kritik aus seiner eigenen Partei auf dem falschen Fuss erwischt worden zu sein. Im Verlauf des Tages rudert er zurück. Es seien lediglich «50 Soldaten», die er abgezogen habe. Zuvor sprach der US-Präsident noch vom «Ende» eines für die USA «unnötigen Kriegseinsatzes». 

Wenig später schlägt Trump auf Twitter mit heftiger Rhetorik im Syrien-Konflikt um sich, droht der Türkei und Erdogan plötzlich mit «totaler Zerstörung» und «Auslöschung» der Wirtschaft, sollten sie die Militäroffensive in Nordsyrien – und gegen die Kurden – durchführen. Eine Kehrtwende, innert weniger Stunden.

Trump hat zum Wochenstart alle übertölpelt. Wie sich im Laufe des Montags herausstellt, auch sich selber.

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Krieg in Syrien: Wer kämpft gegen wen?

Seit 2011 tobt der Krieg in Syrien. Zeitweise sah es so aus, als verliere Präsident Baschar al-Assad seine Macht. Mittlerweile aber konnten Regierungsgruppen grosse Gebiete des Landes wieder einnehmen. Ein Überblick:

  • Syrische Regierung
    Assads Anhänger kontrollieren fast den gesamten westlichen Teil des Landes von Aleppo im Norden über das Zentrum um die Hauptstadt Damaskus bis zur Stadt Daraa im Süden, wo der Aufstand im Frühjahr 2011 begonnen hatte. Regierungstreue Kräfte beherrschen damit den grössten Teil der noch verbliebenen Einwohner und die wichtigsten Städte. Allerdings ist die Armee dabei auf Hilfe angewiesen.
    Das sind einerseits lokale Milizen, die oft von Kriegsherren kommandiert werden. Dazu zählen aber auch ausländische schiitische Milizen, die vom Iran unterstützt werden, wie die Hisbollah aus dem Libanon. Russlands Armee unterstützt die Regierung mit Luftangriffen.

  • Die Rebellen
    Eine ihrer letzten verbliebenen Hochburgen ist die Region um die Stadt Idlib im Nordwesten Syriens. Eine der stärksten bewaffneten Gruppen dort ist die Organisation Tahrir al-Scham (HTS), die früher zum Terrornetzwerk Al-Kaida gehörte. In dem Gebiet leben auch mehr als eine Millionen Menschen, die aus anderen Regionen vor den Assad-Truppen geflohen sind. Die humanitäre Lage ist schwierig.

  • Die Türkei
    Gemeinsam mit syrischen Rebellen beherrschen Ankaras Truppen ein Gebiet nördlich von Idlib rund um die Stadt Afrin. Die türkische Armee war hier im Frühjahr einmarschiert und hatte die Kurdenmiliz YPG vertrieben. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan droht nun mit einer neuen Offensive gegen die Kurden.

  • Die Kurden
    Sie beherrschen grosse Gebiete im Norden und Osten Syriens und haben eine Selbstverwaltung errichtet. Die Kurdenmiliz YPG führt eine Koalition an, zu der auch lokale arabische Gruppen gehören. Die so genannten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) bekämpfen nahe der Grenze zum Irak einer der letzten Bastionen des IS. Die Kurden kontrollieren auch die wichtigsten Ölvorräte des Bürgerkriegslandes.

  • Die USA
    Washington hat etwa 2000 Mann im Land, die die YPG und SDF unterstützen, unter anderem mit Ausbildung. Als Hauptziel nennen sie die Zerschlagung des IS. Die USA führen auch eine internationale Koalition an, die Luftangriffe auf die Extremisten fliegt. Trump liess die US-Truppen im Oktober 2019 abziehen und brach die Unterstützung der kurdischen Kämpfer ab.

  • Der IS
    Die Terrormiliz Islamischer Staat hat ihr früheres Herrschaftsgebiets fast vollständig verloren. Im Osten kontrolliert sie noch ein kleines Gebiet. In den Wüstenregionen Syriens und auch des Iraks sind aber noch Zellen aktiv, die Terroranschläge verüben.

Seit 2011 tobt der Krieg in Syrien. Zeitweise sah es so aus, als verliere Präsident Baschar al-Assad seine Macht. Mittlerweile aber konnten Regierungsgruppen grosse Gebiete des Landes wieder einnehmen. Ein Überblick:

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    Assads Anhänger kontrollieren fast den gesamten westlichen Teil des Landes von Aleppo im Norden über das Zentrum um die Hauptstadt Damaskus bis zur Stadt Daraa im Süden, wo der Aufstand im Frühjahr 2011 begonnen hatte. Regierungstreue Kräfte beherrschen damit den grössten Teil der noch verbliebenen Einwohner und die wichtigsten Städte. Allerdings ist die Armee dabei auf Hilfe angewiesen.
    Das sind einerseits lokale Milizen, die oft von Kriegsherren kommandiert werden. Dazu zählen aber auch ausländische schiitische Milizen, die vom Iran unterstützt werden, wie die Hisbollah aus dem Libanon. Russlands Armee unterstützt die Regierung mit Luftangriffen.

  • Die Rebellen
    Eine ihrer letzten verbliebenen Hochburgen ist die Region um die Stadt Idlib im Nordwesten Syriens. Eine der stärksten bewaffneten Gruppen dort ist die Organisation Tahrir al-Scham (HTS), die früher zum Terrornetzwerk Al-Kaida gehörte. In dem Gebiet leben auch mehr als eine Millionen Menschen, die aus anderen Regionen vor den Assad-Truppen geflohen sind. Die humanitäre Lage ist schwierig.

  • Die Türkei
    Gemeinsam mit syrischen Rebellen beherrschen Ankaras Truppen ein Gebiet nördlich von Idlib rund um die Stadt Afrin. Die türkische Armee war hier im Frühjahr einmarschiert und hatte die Kurdenmiliz YPG vertrieben. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan droht nun mit einer neuen Offensive gegen die Kurden.

  • Die Kurden
    Sie beherrschen grosse Gebiete im Norden und Osten Syriens und haben eine Selbstverwaltung errichtet. Die Kurdenmiliz YPG führt eine Koalition an, zu der auch lokale arabische Gruppen gehören. Die so genannten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) bekämpfen nahe der Grenze zum Irak einer der letzten Bastionen des IS. Die Kurden kontrollieren auch die wichtigsten Ölvorräte des Bürgerkriegslandes.

  • Die USA
    Washington hat etwa 2000 Mann im Land, die die YPG und SDF unterstützen, unter anderem mit Ausbildung. Als Hauptziel nennen sie die Zerschlagung des IS. Die USA führen auch eine internationale Koalition an, die Luftangriffe auf die Extremisten fliegt. Trump liess die US-Truppen im Oktober 2019 abziehen und brach die Unterstützung der kurdischen Kämpfer ab.

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