Schicksalsfrage für Mazedonien
Ein Land sucht einen neuen Namen

Am Sonntag stimmen die Mazedonier über einen neuen Namen für ihr Land ab. Mit «Nord-Mazedonien» soll Griechenland zufriedengestellt werden, das den Namen Mazedonien für seine nördliche Region beansprucht. BLICK beantwortet die wichtigsten Fragen.
Publiziert: 26.09.2018 um 02:20 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 04:04 Uhr
Guido Felder

Warum gibt es Streit um den Namen Mazedonien?

Der Konflikt entflammte 1991, als sich die ehemalige jugoslawische Teilrepublik für unabhängig erklärte und sich den Namen Mazedonien (Griechisch Makedonia) gab. Athen argumentiert, der Name Mazedoniens sei griechischen Ursprungs, er werde bereits für den Norden Griechenlands verwendet. Die Griechen befürchten, dass ihre Nachbarn Anspruch auf diese griechischen Gebiete erheben könnten. Zurzeit lautet der provisorische Name offiziell The Former Yugoslav Republic of Macedonia (F.Y.R.O.M). 

Worüber stimmen die Mazedonier am Sonntag ab?

Mit den Griechen haben sich die Mazedonier auf den neuen Namen Nord-Mazedonien geeinigt. Sollte sich der Name durchsetzen, würden die Griechen im Gegenzug aufhören, die Annäherung Mazedoniens an die EU und die Nato zu blockieren. Die Abstimmungsfrage lautet daher: «Sind Sie für die Mitgliedschaft in EU und Nato durch die Annahme des Abkommens zwischen Mazedonien und Griechenland?»

Die geografische Region Makedonien erstreckt sich vor allem über die Länder Mazedonien, Griechenland und Bulgarien.
Foto: Blick Grafik

Ist die neue Bezeichnung eine gute Lösung?

Es ist ein Kompromiss. Mazedonien-Experte Stefan Troebst, Professor für Kulturgeschichte des östlichen Europa an der Uni Leipzig, hält den Namen aus Sicht Mazedoniens für akzeptabel, aus griechischer Sicht aber für unverständlich. Troebst zu BLICK: «Wenn es ein nördliches Makedonien gibt, liegt die Annahme nahe, dass auch ein südliches existiert. Das wirft die Frage auf, ob nicht beide irgendwie zusammengehören und entsprechend vereinigt werden sollten.»

Der Konflikt entflammte 1991. Der Name Mazedoniens sei griechischen Ursprungs, er werde bereits für den Norden Griechenlands verwendet. Die Griechen befürchten, dass ihre Nachbarn Anspruch auf diese griechischen Gebiete erheben könnten.
Foto: Blick Grafik
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Wie ist die Stimmung unter den Mazedoniern?

Eine Opposition spricht von Verrat. Selbst die Regierungsspitze ist gespalten: Ministerpräsident Zoran Zaev (43) hat den Kompromiss verhandelt, Staatspräsident Gjorge Ivanov (58) wettert, die Umbenennung gefährde die nationale Identität. Er ruft zum Boykott der Abstimmung auf.

Wie wird die Abstimmung ausgehen?

Laut Troebst werden die Mazedonier mehrheitlich mit Ja stimmen. Allerdings sei fraglich, ob überhaupt die erforderliche Stimmbeteiligung von 50 Prozent erreicht werde. Troebst: «Ein gravierendes Problem sind völlig veraltete Wählerverzeichnisse, in denen Namen von 1,5 bis 1,8 Millionen Bürgern aufgeführt sind. Tatsächlich wird die wahlberechtigte Wohnbevölkerung aber auf nur rund 1,1 Millionen geschätzt – der Rest lebt entweder dauerhaft im Ausland, ist unbekannt weggezogen oder verstorben.» Die 50-Prozent-Stimmbeteilung bezieht sich auf die höheren Zahlen, womit es rund 900'000 Stimmen für eine gültige Abstimmung bräuchte.

Wie gehts weiter, wenn die Abstimmung ungültig ist?

Was dann verfassungsmässig passiert, ist unklar. Möglicherweise wird dann das Parlament entscheiden.

Wie werden die Verlierer reagieren?

Als erste Reaktion muss mit massiven, auch gewalttätigen Protesten gerechnet werden. Sobald die Verhandlungen mit der EU und Nato beginnen, dürfte die Akzeptanz aber rasch steigen, glaubt Stefan Troebst.

Wie wirkte sich der Streit auf die beiden Staaten aus?

Der Streit artete 1994 aus, als Griechenland ein Embargo gegen das Nachbarland verhängte. Athen blockiert auch die EU- und die Nato-Mitgliedschaft des Nachbarlands. Auf den Handel hat der Konflikt allerdings kaum mehr wahrnehmbare Auswirkungen. Die Griechen sind die grössten Investoren, sie haben allein in der Hauptstadt Skopje mindestens 5000 Arbeitsplätze geschaffen.

Wie ist das Gebiet Makedonien entstanden?

Das geografische Gebiet Makedonien erstreckt sich über den heutigen Staat Mazedonien, über Nordgriechenland sowie Teile von Bulgarien, Albanien und Serbien. Nachdem das antike Königreich Makedonien (7. Jahrhundert v. Chr. bis 146 v. Chr.) Gestalt annahm und expandierte, änderte sich die Grösse des Gebiets immer wieder. Als die Region zum Osmanischen Reich gehörte (1299–1922), wurde der Name Makedonien vergessen. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde er wiederbelebt und diente zur Bezeichnung einer geografischen Region. Nachdem die Balkankriege 1912/13 die Herrschaft des Osmanischen Reichs beendeten, wurde das heute 67'000 Quadratkilometer grosse Gebiet Makedoniens auf die verschiedenen Staaten aufgeteilt.

Mazedonien im Vergleich zur Schweiz

  • Fläche: 25’713 km² (41’285 km²)
  • Einwohner: 2,1 Millionen (8,5 Millionen)
  • BIP* pro Kopf: 5263 Dollar (80’591 Dollar)
  • Sprache: Mazedonisch – lokal auch Albanisch, Türkisch, Romani, Serbisch, Walachisch
  • Unabhängigkeit: 8. September 1991
  • Nationalfeiertag: 2. August und 8. September

* Bruttoinlandprodukt nominal

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