Hatice Cengiz (38) und Jamal Khashoggi (†59) wollten heiraten
Ihr Verlobter wurde von den Saudis zersägt

Sie wollten heiraten. Doch dann wurde er ermordet. Hatice Cengiz ist die ­Verlobte des verstorbenen Journalisten Jamal Khashoggi. Seither geht die 38-Jährige nur noch mit Leibwächtern auf die Strasse.
Publiziert: 13.07.2019 um 14:18 Uhr
Régis Le Sommier

Es war eine Liebe, die nur einen Sommer dauerte. Die türkische Autorin ­Hatice Cengiz (damals 36) und der saudische Journalist Jamal Khashoggi († 59) ­lernten sich Anfang vergangenen Jahres bei einer Konferenz in Istanbul kennen, telefonierten danach täglich. Im Juli trafen sie sich, beschlossen zu heiraten. Doch das junge Glück endete mit einem Verbrechen, das die Welt erschütterte. Khashoggi wurde im Oktober 2018 im saudischen Konsulat in Istanbul ermordet.

Am 19. Juni wurde in Genf ein Bericht an den Uno-Menschenrechtsrat veröffentlicht, in dem eine persönliche Verstrickung des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman (33) thematisiert wird.

Fall Khashoggi

Der regimekritische saudische Journalist Jamal Khashoggi wurde im Oktober im Istanbuler Konsulat getötet – vermutlich auf Befehl aus Saudi-Arabien. Seither zieht der Fall international immer weitere Kreise. Es bleiben aber weiterhin viele ungelöste Fragen zum Mord.

Fall Khashoggi im News-Ticker

Der regimekritische saudische Journalist Jamal Khashoggi wurde im Oktober im Istanbuler Konsulat getötet – vermutlich auf Befehl aus Saudi-Arabien. Seither zieht der Fall international immer weitere Kreise. Es bleiben aber weiterhin viele ungelöste Fragen zum Mord.

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Khashoggis Verlobte Hatice Cengiz geht nicht mehr ohne Leibwächter auf die Strasse. Sie meidet die überfüllten Plätze Istanbuls. Für das Interview akzeptiert sie das «Four Seasons»-Hotel, «weil es für seinen Sicherheitsdienst bekannt ist», erklärt ihr Berater.

Istanbul im ­Sommer 2018. Jamal Khashoggi (2. v. r.) mit seiner Verlobten Hatice Cengiz (l.) und Freunden.
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Die Leiche ihres Partners wurde bis heute nicht gefunden. Hatice Cengiz hat keinen Ort, an dem sie trauern kann. Sie erzählt hier, wie sie sich verliebten und was vor ­seiner Ermordung im saudischen Konsulat in Istanbul geschah.

Wie haben Sie Jamal Khashoggi kennengelernt?
Hatice Cengiz: Ich las regelmässig seine Artikel und folgte ihm in sozialen Netzwerken. Er, ein Saudi-Araber mit türkischem Ursprung. Sein Profil, seine Bekanntheit ­waren für den Nahen Osten ungewöhnlich. Unsere Ansichten stimmten bei vielen Themen überein. Wir haben uns dann Anfang 2018 auf einer Konferenz in Istanbul getroffen. Ich wollte mich vorstellen. In der Pause kam er zu mir. Ich sagte ihm, dass ich meine Promotion abschliessen würde. «Wenn Sie während der Konferenz Zeit haben, möchte ich, dass wir diese Diskussion fortsetzen», sagte er. Es war die Zeit der Wahlen in der Türkei, er war sehr interessiert. Er erlaubte mir, unser Gespräch aufzunehmen. Ich wollte es in einer politikwissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlichen.

Sie greift nach ihrem pinkfarbenen iPhone und hört sich ihre damalige Unterhaltung an. Khashoggis Stimme lässt sie lange schweigen.

Wie ging es weiter?
Ich habe meinen Chefredaktor ­angerufen, aber er wollte das Interview nicht veröffentlichen. «Die Beziehungen zwischen der Türkei und Arabien sind nicht gut», sagte er. Er wollte keinen Ärger. Ich habe es bei anderen Medien versucht, aber ich musste das Gespräch noch intensivieren, um eine Chance zu haben, es zu veröffentlichen. ­Jamal und ich haben uns dann per E-Mail ausgetauscht. Er lebte in Washington und sagte mir, er wolle mich ­wiedersehen. Ich war überrascht und glücklich. Aber ich hatte keine Hintergedanken, ich dachte nur an das Interview. Eine Woche später war er wieder in der Türkei. Wir haben uns in ­einem Café getroffen. Bis zu seinem Rückflug hatte er nur wenige Stunden. Das Thema Politik haben wir schnell übersprungen, und er erzählte mir von seinem Leben. Er wollte sich jemandem anvertrauen. Mit Tränen in den Augen sagte er mir, dass er sich einsam fühle. Er erzählte mir von seinen Kindern, von seiner Scheidung, unter der er sehr leiden musste. Er sprach über sein Leben in den Vereinigten Staaten, das er liebte. Und er war verzweifelt ­darüber, was in seiner Heimat ­Saudi-Arabien geschah.

Warum?
Weil sie ihn gezwungen hatten, das Land zu verlassen. Er war ­schockiert von den Verhaftungen. Er fand, dass Prinz bin Salman verrückt sei, seine Politik ins Chaos führen würde. Er war pessimistisch.

Hat er sich schon damals bedroht gefühlt?
Nein, das hat er nicht gesagt.

Und dann?
Etwas geschah zwischen uns. Er wollte, dass wir beide ein Selfie ­machen. Aber nur mit seinem Handy. Ich nahm an, dass er Angst ­hatte, dass ich es im Netz posten würde. Und dass ich nur bei ihm war, weil er Mr. Jamal Khashoggi war. Aber ich irrte mich. Wir haben ihn am Flughafen abgesetzt, eine halbe Stunde später schickte er mir das Selfie und sagte, er werde bald nach Istanbul zurückkehren. Die Dinge beschleunigten sich, wir schrieben täglich, egal zu welcher Uhrzeit. Ende Juli war er ­zurück. Wir hatten eine wundervolle Woche, jede Sekunde habe ich ­ge­nossen. Als er ging, sagte er mir, er wolle mich heiraten. Weil er fast 60 Jahre alt war, wolle er nicht, dass die Dinge sich verzögern. Er schenkte mir ein wunderschönes Schmuckstück.

Wieder zieht sie ihr iPhone heraus und zeigt das Bild einer Halskette.

War er Ihre erste Liebe?
Ja, die einzige. Er bat mich, mit ihm nach Amerika zu kommen. Ich habe abgelehnt, in meinen Kreisen muss man verlobt oder verheiratet sein, um mit einem Mann reisen zu dürfen. Er bestand nicht darauf. Für die Hochzeit sah er die Dinge ganz einfach. Vor allem keine traditionelle Zeremonie. Das passte zu mir.

Ihre Eltern sind konservativ. Hat sie der Altersunterschied gestört?
Für meinen Vater war das ein ­grosses Problem. Jamal war ja älter als meine eigene Mutter! Aber ich sagte, es sei meine Entscheidung. Er antwortete nur: «Viel Glück.»

Wann hat Jamal Khashoggi ­Ihnen gesagt, dass er zum saudischen Konsulat gehen würde?
Er hatte mich gebeten, mich darum zu kümmern, und ich habe im Internet recherchiert, aber ich konnte nichts tun. «Bin ich verpflichtet, zum Konsulat zu gehen?», fragte er sich. Und: «Ist eine Heirat ohne dieses Dokument möglich?» Er wusste die Antwort. Er ging auf die Internetseite, fand die Scheidungs­bescheinigung und scannte sie. Er ging davon aus, dass das reichen würde. Aber dann wurde ihm gesagt, dass er ein offizielles Dokument braucht. Ich riet ihm, seine saudischen Freunde in Washington zu fragen, einige sind mit Ausländerinnen verheiratet. Ich weiss nicht, ob er es getan hat, ich weiss nur, dass er ohne das Dokument nach Istanbul zurückkam.

Wurde er zu dieser Zeit bedroht?
Nein, was er jedoch fürchtete, war, dass sie seinen Pass konfiszieren würden, wenn er zum Konsulat ­gehen würde. Sie hätten auch versuchen können, ihn nach Saudi-Arabien zurückzuschicken. Allerdings war das unwahrscheinlich, weil dazu die Zustimmung der ­türkischen Behörden erforderlich ­gewesen wäre. Am 20. September kaufte er ein Haus. Es war seine Art, sich für meinen Vater akzeptabler zu machen. Um ihm zu beweisen, dass es ihm sehr ernst war. Ich hatte bei der Auswahl ­geholfen, wir kauften das Mobiliar, einiges wurde geliefert. Am 28. September gingen wir dann zum Rathaus. Wieder sagte ihm der Offizier, er bräuchte das offizielle Dokument. Jamal sah mitgenommen aus. «Komm schon», sagte er plötzlich zu mir. «Ja, lass uns zusammen dorthin gehen», antwortete ich. Wir fanden die Adresse des saudischen Kon­sulats und nahmen ein Taxi. Die Personen, die ihn erkannten, begrüssten ihn herzlich. Ich durfte nicht mit hinein. Nach einer Stunde kam er heraus und sagte, dass er in ein paar Tagen zurückkehren müsste. Er hatte ihnen gesagt, er müsse zuvor nach London, würde aber am 2. Oktober wiederkommen. Er war erleichtert.

Wissen Sie, ob das Konsulat das Dokument beim ersten Mal ­wirklich nicht hatte oder ob sie ihm da bereits eine Falle stellen wollten?
Das kann man unmöglich wissen. Ich weiss nur, dass sie die Unterschrift des Aussenministeriums brauchten, was etwas Zeit in Anspruch nehmen würde. Er hat ­ihnen vertraut. Als er aus London zurückkehrte, frühstückten wir in ­unserem neuen Zuhause. Ich hatte Vorlesungen an der Universität, aber ich sagte alles ab. Ich wollte ihn nicht allein zum Konsulat lassen. Ich war unruhig, er aber war gut gelaunt. Er rief das Konsulat an. Ich sagte ihm, er solle es nicht tun. Sie sagten ihm, sie würden zurückrufen, was sie 40 Minuten später ­taten. «Kommen Sie um 13 Uhr.» Im Taxi sprachen wir über den Kühlschrank, der geliefert werden sollte. Er rief den ­Zusteller an, stornierte die Bestellung. Nach dem Konsulat wollten wir einen neuen auswählen.

Was waren seine letzten Worte?
«Warte auf mich. Es wird nicht ­lange dauern.» Eine Stunde später begann ich mir Sorgen zu machen. Aber ich dachte, vielleicht redet er mit ihnen und dankt ihnen. Er sah so glücklich aus!

Haben Sie die Wagen der Mörder gesehen?
Nein, ich habe nichts gesehen. In dieser Ecke haben die meisten ­Autos getönte Scheiben. Und ich stand zu weit vom Eingang entfernt. Als ich um 16 Uhr eine ­Nachricht an meine Schwester schickte, in der ich sie um die Öffnungszeiten des Konsulats bat, zitterten meine ­Hände. «15.30 Uhr», antwortete sie mir. Ich hatte Angst. Ich erklärte zwei türkischen Poli­zisten, dass Jamal nicht heraus­gekommen war. Sie sagten, dass sie nichts tun könnten. Dann rief ich das Konsulat an. Das Gespräch lief so, ich fragte: «Wo ist Jamal?» – «Wer bist du?» – «Ich bin ­seine ­Verlobte.» – «Wo bist du?» – «Draussen an der Barriere.» – «Beweg dich nicht. Ich komme.» Ein Mann mit ernstem Gesicht kam ­heraus. ­Aggressiv ­sagte er zu mir: «Es ist niemand mehr drin. Alle sind weg.»

Jamal Khashoggi ist zu diesem Zeitpunkt wohl bereits tot. Hatice ­Cengiz, seine Verlobte, schreibt später: «Sie haben deinen Körper aus meiner Welt genommen. Dein wunderschönes Lachen wird immer in meiner Seele bleiben.»

Das Gespräch erschien zuerst in der französischen Zeitschrift ­«Paris Match». Übersetzung «Bild am Sonntag».

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