Drastische Massnahmen - Ganz Italien unter Corona-Quarantäne gestellt
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Erstes Land der Welt
Drastische Massnahmen - Ganz Italien unter Corona-Quarantäne gestellt

Das aus China eingeschleppte Coronavirus lähmt Italien. Premier Conte hat mit einer landesweiten Sperrzone und der Stilllegung des öffentlichen Lebens einen Defacto-Ausnahmezustand ausgerufen. Um dem aggressiven Virus beizukommen, werden Zivilrechte massiv beschnitten.
Publiziert: 10.03.2020 um 02:37 Uhr
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Aktualisiert: 22.03.2020 um 10:56 Uhr

Am späten Montag wendet sich der italienische Regierungschef, Ministerpräsident Giuseppe Conte (55), an die Nation. «Ganz Italien wird eine Schutzzone sein», eine «zona protetta», so der Premier bei der Pressekonferenz im Palazzo Chigi, dem Amtssitz des Premiers in Rom. Bewegen darf sich im Land nur noch, wer muss. Bei «nachgewiesenem Arbeitsbedarf oder in Notfallsituationen». Auch «gesundheitliche Gründe» lässt die Regierung gelten. Für die grosse Mehrheit herrscht ein Reise- und Versammlungsverbot.

Der Grossteil von Italiens Bevölkerung – Berufstätige, Schülerinnen, Studenten – hat sich in eigenen vier Wänden zu verschanzen. Internationale Zug- und Flugverbindungen sowie der öffentliche Nahverkehr sollen jedoch nicht ausgesetzt werden, um die Bevölkerung zu versorgen und einen letzten Anschein von Normalität zu wahren.

Doch Italien wird zum Geisterland: Epizentrum des Coronavirus-Lungenfiebers in Europa, das mutmasslich über die rund 100'000-köpfige chinesische Diaspora eingeschleppt wurde, die hauptsächlich im nördlichen Italien heimisch ist.

Ein Land im Ausnahmezustand. Wenig geht mehr in Italien. Das Coronavirus lähmt die ganze Nation.
Foto: Getty Images
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Conte: «Wir haben keine Zeit»

Waren bislang die Lombardei und 14 Provinzen Sperrzone, gelten die harschen Regeln gegen die Ausbreitung des aggressiven Virus ab sofort im ganzen Staatsgebiet, so Conte. Es ist bisher zweifellos die dramatischste Ankündigung in seiner Amtszeit.

Drastische Massnahmen - Ganz Italien unter Corona-Quarantäne gestellt
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Erstes Land der Welt:Drastische Massnahmen - Ganz Italien unter Corona-Quarantäne gestellt

Ein Wettlauf gegen die Zeit. Mit den bisherigen Vorkehrungen sei es nicht gelungen, die täglichen Neuansteckungen zu bremsen. Diese steigen stetig. «Wir haben keine Zeit», sagte Conte. «Die Zahlen zeigen uns, dass wir eine deutliche Zunahme von Ansteckungen haben, von Menschen auf der Intensivstation und leider auch von Menschen, die gestorben sind. Unsere Lebensgewohnheiten müssen daher geändert werden.»

Auch Jüngere betroffen

Nach neuesten Daten haben sich bis am 9. März in Italien 9172 Menschen mit dem neuartigen Coronavirus infiziert – das sind fast 1800 Fälle mehr als am Vortag. 463 Menschen sind bisher gestorben – fast 100 mehr in nur 24 Stunden. 724 Infizierte wurden geheilt, mehr als 700 befinden sich auf Intensivstationen in überlasteten Spitälern.

Massimo Galli, Direktor der Abteilung für Infektionskrankheiten des Krankenhauses Luigi Sacco in Mailand, unterstützt daher auch die radikalen Massnahmen der Regierung, darunter den kompletten Stopp des Nachtlebens. «Jugendliche betrachten sich als unsterblich», sagte Galli der «Repubblica». «Aber es gibt auch junge Leute auf der Intensivstation mit ausgesprochen ernsten Problemen. Dreissig und noch jünger.»

Um die Kontinuität der Produktionssysteme zu gewährleisten, worunter die Versorgung von Lebensmittelgeschäften fällt, gilt auch im öffentlichen Verkehr zunächst keine Beschränkung. Auch Menschen, die müssen, sollen weiterhin zur Arbeit gehen können. Doch wer sich im Land ohne Notwendigkeit reise, mache sich womöglich strafbar.

Das Formular

Conte kündigte ein Formular an, das es auszufüllen gilt, wenn man reisen und sich bewegen muss – sei es aus familiären Verpflichtungen oder zur Arbeit. Dabei gehört auch die Häufigkeit der Fahrten angegeben, ohne verschiedene Formulare zu verwenden. Es sei Sache der Bürger, gegenüber Polizeikontrollen zu beweisen, dass man die Wahrheit angebe.

Die am Montag publik gemachten und Dienstagfrüh in Kraft tretenden Massnahmen betreffen auch alle Schulen und Sportveranstaltungen. Sämtliche Schulen, Kindergärten und Universitäten, alle Museen, Kulturzentren, Schwimmbäder, Theater und Sporthallen bleiben bis mindestens am 3. April geschlossen. Das ist drei Wochen länger als die die bisher verkündete Schulschliessung bis 15. März.

Die Fussballmeisterschaft der Serie A wird per Regierungsdekret ebenfalls ausgesetzt.

Keine Feiern, keine Hochzeiten, keine Beerdigungen

Hinzu komme, so Conte, ein «Versammlungsverbot unter freiem Himmel und in öffentlich zugänglichen Räumen». Ab sofort haben Bars und Restaurants in ganz Italien um 18 Uhr zu schliessen. Während der Öffnungszeiten müssen Gäste mindestens einen Meter Abstand voneinander einhalten. Sonst droht dem Lokal die Schliessung.

Auch das Nachtleben und Feiern bleiben bis auf Weiteres verboten. In Italien gibt es diesen Monat keine Hochzeiten, keine Beerdigungen und auch keine Gottesdienste mehr.

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Wirtschaftsschock und kaltgestellte Opposition

Italien droht ein kolossaler Wirtschaftsschock. Doch angesichts der wachsenden Ohnmacht der Verantwortlichen, der Krise Herr zu werden, scheinen der Regierung kein Gegenmittel zu radikal. Auch die Politik kommt unter dem scharfen Regierungsdekret zum Stillstand – womit auch die Opposition unter Contes Rivale Matteo Salvini (47) zum Schweigen verdammt wird.

Salvinis Wunsch nach baldigen Neuwahlen wird so bald nicht wahr werden – dank Sonderbefugnissen der Regierung, die in Italien für einmal für gewisse politische Stabilität sorgen. Ausgerechnet in Zeiten einer nie dagewesenen Notlage.

Laut dem «Corriere della Sera» plant Conte heute Dienstag ein Treffen mit Salvini. Der stelle sich zunächst zähneknirschend hinter den Premier und gebe, «unter Vorbehalt», grünes Licht für ein Zehn-Milliarden-Euro-Hilfspaket für die angeschlagene Wirtschaft. Salvini, so die Zeitung, betrachte den Betrag als «Anzahlung», um Konsens zu bilden. (kes)

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Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.

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