Nach dem Austritt folgen zähe Verhandlungen
So geht es nach dem Brexit weiter

Grossbritannien tritt als erster Mitgliedstaat aus der EU aus. Doch mit dem Brexit ist noch lange nicht Schluss. Nach dem 31. Januar beginnen äusserst schwierige Verhandlungen über die künftigen Beziehungen. Die Timeline in der Übersicht:
Publiziert: 28.01.2020 um 10:48 Uhr
|
Aktualisiert: 30.01.2020 um 10:29 Uhr

Mit dem Austritt Grossbritanniens aus der EU am 31. Januar beginnt das nächste Kapitel des Scheidungsstreits. Innerhalb weniger Monate soll dann neu geordnet werden, was in 47 Jahren EU-Mitgliedschaft der Briten aufgebaut wurde.

Was passiert nach dem Brexit?

  • 31. Januar 2020
    Um Mitternacht mitteleuropäischer Zeit endet die EU-Mitgliedschaft Grossbritanniens (23.00 Uhr britischer Zeit).

  • 1. Februar 2020
    Nun beginnt eine Übergangsphase bis mindestens Ende 2020. Grossbritannien bleibt vorerst noch im Binnenmarkt und in der Zollunion. Diese Periode wollen beide Seiten nutzen, um die künftigen Beziehungen und insbesondere ein Freihandelsabkommen auszuhandeln.

  • 10.-13. Februar
    Das Europaparlament will bei seiner Plenarsitzung in Strassburg in einer Entschliessung seine Position zu den Verhandlungen mit Grossbritannien festlegen.

  • 25. Februar 2020
    Die EU-Europaminister verabschieden das Mandat für die Verhandlungen über die künftigen Beziehungen. Die Gespräche über ein Handelsabkommen könnten damit im März starten. Für die Europäische Union werden sie wie schon die Austrittsverhandlungen von dem Franzosen Michel Barnier geführt.

  • 1. Juli 2020
    Die britische Regierung muss bis zu diesem Termin entscheiden, ob sie die Verhandlungsphase für das Handelsabkommen über Ende 2020 hinaus verlängert. Nach den Bestimmungen im Austrittsvertrag ist dies einmal für ein oder zwei Jahre möglich - also bis Ende 2021 oder Ende 2022. Johnson hat eine Verlängerung aber kategorisch ausgeschlossen und dies auch in das britische Austrittsgesetz schreiben lassen.

    «Nach Kräften» wollen sich die EU und Grossbritannien dafür einsetzen, schon bis zu diesem Termin ein Fischereiabkommen zu schliessen. Damit soll laut der politischen Erklärung beider Seiten zu den künftigen Beziehungen sichergestellt werden, dass rechtzeitig «die Fangmöglichkeiten für das erste Jahr nach dem Übergangszeitraum» festgelegt werden können.

  • Oktober/November 2020
    Ohne Verlängerung müssen die Verhandlungen jetzt abgeschlossen sein, um die Vereinbarung noch zu ratifizieren. Geht es um ein reines Handelsabkommen, muss auf EU-Seite nur das Europaparlament zustimmen. Sind aber auch Bereiche wie Dienstleistungen, Finanzgeschäfte, Daten- oder Investitionsschutz enthalten, könnte auch das grüne Licht der nationalen - und je nach Mitgliedstaat - sogar regionaler Parlamente nötig sein.

  • 31. Dezember 2020
    Ist das Freihandelsabkommen verabschiedet, scheidet Grossbritannien zum Jahresende auch aus dem Binnenmarkt und der Zollunion aus. Damit wären die letzten direkten Verbindungen aus 47 Jahren britischer EU-Mitgliedschaft endgültig gekappt. Über viele Bereiche dürfte es aber weitere Verhandlungen geben, da diese in der kurzen Zeit bis Ende 2020 nicht alle geregelt werden können.

Welche Position nimmt die EU gegenüber Grossbritannien ein?

Es gibt mehrere Szenarien, wie sich die künftigen Beziehungen zwischen Brüssel und London gestalten werden:

  1. Beschränktes Abkommen
    Verhandlungen der EU über ein umfassendes Freihandelsabkommen dauern im Normalfall Jahre. Für das Abkommen mit Grossbritannien bleiben noch elf Monate. Davon bleiben de facto nur acht übrig, wenn eingerechnet wird, dass die EU nach dem 31. Januar noch ihre Vorgaben für die Unterhändler festlegen und ein eventueller Text nach Abschluss der Verhandlungen am Ende noch ratifiziert werden muss.

    «Am Ende des Jahres könnten wir das Gerippe eines Handelsabkommens plus etwas zur inneren und äusseren Sicherheit bekommen», schätzt ein EU-Diplomat. Sicher sei auch das nicht. Dienstleistungen, Finanzgeschäfte, Daten- und Investitionsschutz - für all diese Bereiche sei indes definitiv mehr Zeit nötig.

  2. Harte Fronten
    Erschwerend kommt hinzu, dass Premierminister Johnson auf Konfrontationskurs zu sein scheint. Seine Vorgängerin Theresa May hatte sich stets für eine enge Bindung Grossbritanniens an die EU ausgesprochen. Ginge es nach ihr, würden EU-Vorgaben etwa beim Umweltschutz oder staatlichen Beihilfen weiter gelten, um britischen Unternehmen den Zugang zum europäischen Binnenmarkt zu sichern.

    Auch Johnson will keine Zölle und andere Handelshemmnisse, an europäische Vorgaben will er sich aber nicht halten. «Er scheint Grossbritannien von Europa wegführen zu wollen», analysiert der britische EU-Abgeordnete der Labour-Partei, Richard Corbett. Den Hardlinern in der Konservativen Partei seien europäische Verbraucher-, Sozial- und Umweltschutzstandards ein Dorn im Auge.

    Ein Freihandelsabkommen ohne Angleichung von Standards und Normen sei natürlich möglich, aber dann müsse an den Grenzen eben kontrolliert werden, sagt der Vorsitzende des Handelsausschusses des EU-Parlaments, Bernd Lange. Besonders bei Tieren und tierischen Produkten wäre dies eine grosse Belastung: Für derartige Importe aus Drittstaaten sei eine Kontrollquote von 100 Prozent vorgeschrieben, unterstreicht Lange.

  3. EU-interner Streit
    Eine weitere Möglichkeit wäre eine lose Vereinbarung zwischen Brüssel und London und darauf aufbauende separate Abkommen etwa für bestimmte Sektoren oder sogar Produkte. Auf diese Weise ist aktuell die Beziehung der EU zur Schweiz geregelt. Wegen seiner komplexen Struktur gilt das Schweiz-Modell vielen aber als abschreckendes Beispiel.

    Einen kleinteiligen Ansatz will die EU zudem verhindern, weil die Mitgliedstaaten in den Beziehungen zu Grossbritannien unterschiedliche Interessen haben. Frankreich oder Dänemark etwa ist der Zugang ihrer Fischer zu britischen Hoheitsgewässern wichtig. Für Deutschland und einige östliche Mitgliedstaaten haben barrierefreie Zulieferketten für die Autoindustrie Priorität.

    EU-interner Streit wäre da wohl programmiert. Johnson stelle mit seiner Verhandlungsstrategie erneut die europäische Einheit auf die Probe, heisst es aus Diplomatenkreisen.

(SDA)

Der britische Premierminister Boris Johnson führt Grossbritannien aus der EU.
Foto: AFP
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Brexit-News

Am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent der Briten für den Austritt aus der EU. Seitdem findet ein langwieriger Prozess der Kompromissfindung zwischen britischer Politik und der EU statt. Am 31. Januar 2020 treten die Briten offiziell aus der EU aus. Behalten Sie den Überblick im Brexit-Chaos mit dem Newsticker von Blick.ch.

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Geschichte der EU

In den vergangenen Jahrzehnten ist die Europäische Union stetig gewachsen. Nun verlässt erstmals ein Land die EU: Grossbritannien kehrt den 27 übrigen Mitgliedstaaten am Freitag nach 47 Jahren den Rücken. Die wichtigsten Etappen in der Geschichte der EU:

  • 1957: Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, die Niederlande und Luxemburg unterzeichnen die Verträge über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europäische Atomgemeinschaft (Euratom); als Sammelbegriff bürgert sich Europäische Gemeinschaft (EG) ein.
  • 1973: Grossbritannien, Irland und Dänemark treten der EG bei.
  • 1979: Erste Direktwahlen zum Europäischen Parlament.
  • 1981: Griechenland wird zehntes Mitglied der EG.
  • 1986: Spanien und Portugal treten der EG bei.
  • 1993: Der Vertrag von Maastricht tritt in Kraft. Aus der Europäischen Gemeinschaft wird die Europäische Union (EU).
  • 1995: Mit dem Beitritt Österreichs, Schwedens und Finnlands steigt die Zahl der EU-Staaten auf 15.
  • 2004: Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, die Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern treten der EU bei, die nunmehr 25 Mitgliedstaaten zählt.
  • 2007: Bulgarien und Rumänien schliessen sich der EU an, die damit auf 27 Mitgliedstaaten anwächst.
  • 2013: Kroatien tritt als bislang letztes Land der EU bei.
  • 2020: Gut dreieinhalb Jahre nach dem Referendum über den EU-Austritt verlässt Grossbritannien als erster Mitgliedstaat die Europäische Union; die britische EU-Mitgliedschaft endet am 31. Januar um Mitternacht deutscher Zeit. (SDA)

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