BLICK-Reporterin Myrte Müller über Italiens Versagen
Eine Katastrophe mit Ansage

Auf den Schock folgen Entsetzen und Angst. Dann keimt die Hoffnung. Am Ende ist da nur noch Wut. Es ist das altbekannte Wechselbad der Gefühle, das sich bei jedem Beben in Italien wiederholt. Mafiöse Machenschaften, Misswirtschaft und Bürokratie tragen eine Mitschuld an den verheerenden Schäden.
Publiziert: 27.08.2016 um 15:13 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2018 um 13:12 Uhr
Myrte Müller, Amatrice

Auch in den betroffenen Ortschaften Amatrice, Accumoli und Arquata ist die Stimmung geladen. 291 Todesopfer forderte das Beben bislang. 224 davon allein in Amatrice. Allen ist klar, dass diese Zahl noch steigen wird. Erst gestern bebte wieder der Boden. Marode Mauern und Fassaden im Dorfkern stürz­ten in sich zusammen. Auch eine Brücke zur Ortschaft kol­la­bierte.

90 Prozent der Häuser sind nur noch Schutt, viele von ihnen waren denkmalgeschützt. Doch es gab Vorboten für ein grosses Beben, ernste Warnungen. Seit dem 14. August wurden schon 928 Erdstösse gemessen. Hätten die Seismologen das drohende Unheil früher ahnen müssen? Im Katastrophengebiet wird nicht nur gerettet und geräumt, sondern auch gerätselt und wegen Pfusch am Bau ermittelt.

Warum stürzte in Accu­moli der erst kürzlich renovierte Kirchturm ein? Er knallte auf ein Haus, begrub eine Familie mit zwei kleinen Kindern unter sich. Warum kollabierte die Grundschule? Die Kirche im Vorort Sant’ Angelo? Sie war doch erst am 13. August eingeweiht worden.

DARF NICHT MEHR VERWENDET WERDEN
Foto: Reuters
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BLICK-Reporterin Myrte Müller mit Fotograf Joseph Khakshouri in Amatrice.

Auch die Kirche in Amatrice wackelte. Der Einsturz des Campanile droht. Die 2014 erneu­erte Brücke ist eingeknickt, der Weg nach Amatrice nun vollends abgeschnitten.

Nach dem Beben von L’ Aquila 2009 versprach der damalige Ministerpräsident Silvio Berlusconi den Erdbebengebieten eine Milliarde Euro. Zehn Millionen sollten in die heutige Katastrophenregion gehen. Doch nur 200'000 Euro kamen an. Erdbebensicheres Bauen ist für viele nicht möglich. Noch in diesem Jahr läuft das Berlusconi-Programm aus. Wo blieb das Geld?

Fakt ist: Die versprochenen Subventionen erreichten private Hausbesitzer nie. Anträge wurden in den Amtsstuben verschleppt – und nur zehn Prozent bewilligt. Ein juristischer Winkelzug ist der Grund dafür. Ein Gesetz in Italien schliesst Fe­rienhäuser von staatlichen Sanierungsprogrammen nach Erdbebenkata­strophen aus. Auch darum bleiben 70 Prozent der Hausbesitzer in Amatrice auf ihren Ruinen sitzen.

Und dann hört man diese unfassbare Geschichte: Gleich nach der Kata­strophe in Amatrice fuhr ein 45-Jähriger von Neapel in die Bergregion. Noch während Retter die Toten aus dem Geröll zogen, versuchte der Dieb, verlassene Häuser zu plündern. Er stemmte Türen auf, wollte zurück­gelassene Habseligkeiten stehlen. Der Unmensch wurde geschnappt.

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