Warum Schwedens Covid-19-Sonderweg gescheitert ist
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Aber nicht wegen dem Virus:Jetzt setzt Schweden auf flächendeckende Corona-Tests

Alleingang der freiwilligen Massnahmen und Herdenimmunisierung misslungen
Warum Schwedens Covid-19-Sonderweg gescheitert ist

Schweden setzte auf den Alleingang durch die Coronakrise. Nun hat das Land pro Kopf bald so viele Todesopfer wie Italien. Die Eindämmung des Virus durch lockere Massnahmen und durch Appelle an das Verantwortungsbewusstsein von Bürgern ist gescheitert.
Publiziert: 26.06.2020 um 00:50 Uhr
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Aktualisiert: 04.08.2020 um 12:32 Uhr

Schweden hat grösstenteils auf Freiwilligkeit und die Vernunft von Bürgern gesetzt, um das Coronavirus einzudämmen. Der Staat hat keinen Lockdown beschlossen. Die Bevölkerung sollte freiwillig Massnahmen ergreifen. Das öffentliche Leben ging praktisch normal weiter, während das restliche Europa und Länder rund um die Welt harsche Lockdowns einführten.

Schwedens Sonderweg erntete aufmerksame Blicke aus der ganzen Welt. Am Anfang sah das auch ganz gut aus. Infektionszahlen blieben unter dem europäischen Durchschnitt. Menschen genossen auf Terrassen von Cafés die Frühlingssonne, Schulen blieben geöffnet. Das Virus schien unter Kontrolle.

Diese Freiwilligkeit, das war das Konzept von Schwedens Chefepidemiologen Anders Tegnell (64), an dessen Seite sich auch Premierminister Stefan Löfven (62) oft zeigte. Drastische Eingriffe hielten beide für falsch. Auf Dauer könne man Menschen nicht zu Hause einsperren. Eine gewisse Zahl von Infektionsfällen sei tolerierbar, weil die Bevölkerung dadurch nach und nach Immunität aufbaue.

Schwedens Corona-Sonderweg ist gescheitert.
Foto: AFP
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Doch es wollte nicht mit der angestrebten Herdenimmunisierung. Tegnell schob das Datum immer wieder hinaus, bis bessere Zahlen vorliegen würden. Inzwischen ist das Scheitern der Strategie deutlich geworden. Im April und im Mai sind in Schweden weit mehr Menschen als im langjährigen Durchschnitt gestorben. Dabei entsprechen die zusätzlichen Toten in etwa der Zahl der bislang 5230 Corona-Toten. Tegnell hat unlängst eingestanden, dass ein etwas restriktiverer Weg wohl besser für sein Land gewesen wäre.

Inzwischen weisen die Skandinavier rund 50 Corona-Tote pro 100'000 Einwohner auf. In der Schweiz liegt die Zahl bei 19,7. Damit zählt Schweden in diesem Verhältnis mehr Tote als Frankreich (44,3) oder auch die USA (36,7). In Europa weisen nur Belgien (84,8), Grossbritannien (64,3), Spanien (60,5) und Italien (57,3) eine höhere Corona-Sterblichkeit auf. Doch Belgien zählte auch Tote in Altersheimen teils ohne Corona-Test.

Steigende Zahl von Neuinfektionen

Die meisten Covid-19-Toten in Schweden beklagen Altersheime. Neun von zehn Corona-Toten im Land waren älter als 70. Und die Opferzahlen steigen weiterhin an. Eine Abflachung der Kurve, wie sie in den meisten europäischen Ländern deutlich erkennbar ist, ist weiterhin nicht abzusehen.

Während auch Neuinfektionen in vielen europäischen Ländern zurückgegangen sind, weist Schweden seit Monatsbeginn täglich rund 1000 neue Ansteckungen auf. Die aktuellste Zahl vom 24. Juni liegt gar bei 1610 Neuinfektionen, während 48 weitere Todesfälle gemeldet wurden. Zwei Tage zuvor verstarben 69 weitere Menschen am Virus. Geht es so weiter, könnte Schweden in rund einem Monat Italien bei der Todesrate überholen. Dies, während in der Schweiz in den vergangenen sieben Tagen nur zwei Virustote gemeldet wurden.

Unklar bleibt, wie Schweden auf den Ausbruch einer zweiten Welle reagieren würde. Ob das Land dann besser gewappnet wäre als seine Nachbarn Finnland, Norwegen oder auch Deutschland. Angesichts der vorliegenden Daten hat sich Schwedens Sonderweg soweit als Irrweg erwiesen. (kes)


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