BLICKpunkt über radikale Vorschläge zur Krankenversicherung
Revolution? Resignation!

Die Chefin der CSS schlägt vor, die Krankenkassen-Franchise auf bis auf 10'000 Franken zu erhöhen. Und der beste Kenner unseres Gesundheitssystems fordert einen Volksaufstand gegen den Prämienanstieg. Beides wird nicht geschehen.
Publiziert: 20.04.2018 um 23:37 Uhr
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Aktualisiert: 21.01.2019 um 11:27 Uhr
«Die Versorgung zählt mehr als die Kosten»
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BLICKpunkt von Christian Dorer zu den Krankenkassen-Prämien:«Die Versorgung zählt mehr als die Kosten»
Christian Dorer, Chefredaktor Blick-Gruppe

Seit dem letzten Wochenende kennt jeder Philomena Colatrella (49). Sie führt die grösste Krankenkasse der Schweiz. Im SonntagsBlick machte die CSS-Chefin einen Vorschlag, der niemanden kaltlässt: «Denkt mal darüber nach, was eine Mindestfranchise von 5000 oder 10'000 Franken bringen könnte.»

Jeder Versicherte müsste dann die ersten 5000 bis 10'000 Franken Arzt-, Medikamenten- oder Spitalkosten im Jahr selber tragen – statt 300 bis 2500 Franken wie heute. Nur ganz teure Behandlungen würden noch von der Kasse bezahlt. Im Gegenzug könnten die Prämien etwa um die Hälfte sinken.

Die Reaktion auf Colatrellas Vorschlag war ein Aufschrei von links bis rechts, ein Erdbeben der Empörung. Innert 24 Stunden war der Vorschlag gebodigt. So läuft das nun mal mit unkonventionellen Ideen in der Schweiz.

Die CSS-Chefin ist natürlich auch selber schuld: Keine Mittelstandsfamilie könnte sich eine Franchise von 10'000 Franken leisten. Colatrellas Provokation ist trotzdem richtig. Und auch ihr Grundgedanke, finanzielle Anreize zu schaffen, damit nicht alle bei jedem Bobo in den Notfall rennen. 

Denn: Ohne Querdenker kommen wir in verfahrenen Lagen wie dieser nicht weiter!

Seit 1996 besteht das heutige Krankenkassensystem. Finanziell gesehen, ist es ein Desaster: Die Prämien stiegen im Durchschnitt jedes Jahr um 4,6 Prozent! Wer damals 100 Franken zahlte, zahlt heute 367! Kein Wunder, bezieht heute fast ein Drittel aller Menschen staatliche Prämienunterstützung.

Seit 1996 ist bekannt, was getan werden muss: Regionalspitäler schliessen, Kompetenzzentren definieren, Krankenkassen fusionieren, unnötige Operationen streichen, Medikamente billiger machen, mehr Generika verschreiben, durch flächendeckende Hausarztmodelle den Andrang bei teuren Spezialärzten bremsen ...

Seit 1996 klagen alle über steigende Kosten. Eben zur Bundesrätin gewählt, sagte Micheline Calmy-Rey bereits 2002: «Die normalen Leute können die Prämien nicht mehr bezahlen.»

Seit 1996 passiert: nichts. Jedenfalls nichts Wesentliches.

Nun ruft der einflussreichste Gesundheitsökonom der Schweiz zum Umsturz auf. Im BLICK sagt Heinz Locher: «Das Volk muss das Kartell aus Bund, Kantonen und Krankenkassen entmachten. Ich plädiere für eine Revolution!»

Sein Aufruf wird ungehört verhallen. Weil noch immer jeder sicher sein kann, bestmöglich versorgt zu werden, wenn er oder sie medizinischen Rat sucht, krank wird, einen Unfall hat.

Dass wir eines der besten Gesundheitssysteme der Welt geniessen dürfen, ist den meisten am Ende des Tages wichtiger als die Frage, was es uns kostet.

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