Milena Moser
Flucht ins Traumhotel

Aussergewöhnliche Umstände verlangen nach aussergewöhnlichen Massnahmen. Wir trösten uns, so gut wir eben können, und ich persönlich stelle mich auf den Standpunkt: Alles, was hilft, ist jetzt okay.
Publiziert: 25.04.2020 um 14:15 Uhr
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Aktualisiert: 08.05.2020 um 16:09 Uhr

Zum Beispiel Fernsehserien. Auch in unbeschwerten Zeiten bin ich eine begeisterte, um nicht zu sagen suchtgefährdete Konsumentin. Und jetzt natürlich erst recht. Neulich bat ich eine immer gut informierte Freundin in der Schweiz nach ihren neusten Empfehlungen. «Ach, weisst du, ich schau grad nur noch ‹Traumhotel› und so was», sagte sie, die sonst ihren Fernsehkonsum gern intellektuell rechtfertigt.

«Traumhotel?» Das kannte ich nicht.

«Das ist wie ‹Traumschiff›, einfach auf dem Land.»

Die Schriftstellerin Milena Moser schreibt im SonntagsBlick Magazin über das Leben. Sie ist die Autorin mehrerer Bestseller. Ihr neustes Buch heisst «Das schöne Leben der Toten».
Foto: David Butow 2019

Das sagte mir immer noch nichts. «Da ist einfach von der ersten Sekunde an klar, dass alles gut ausgehen wird. Alles andere ertrag ich jetzt einfach nicht. Keine Schicksalsschläge, keine Lebensprüfungen, keine Unsicherheit, keine Ambivalenz.»

Das verstand ich nur zu gut. Unsicherheit haben wir genug. Und Prüfungen auch. Die Vorstellung von einem Traumhotel, in dem immer alles gut ausgeht, setzte sich sofort in meinem Kopf fest. Innerlich reservierte ich schon ein Zimmer. Obwohl ich bis heute noch keine einzige Folge gesehen habe, tröstet mich allein der Gedanke: Egal, wie schwierig es hier gerade ist, im Traumhotel kommt alles gut!

Endlich fühlte ich mich auch fit genug, um zum Grosseinkauf aufzubrechen. Der Kühlschrank war leer, und Victors Medikamente gingen auch zu Neige. Maskiert und gerüstet wollte ich aufbrechen, doch mein alter Prius machte einen ohrenbetäubenden Krach, es klang, als würde er gleich explodieren. Victor beruhigte mich, das sei wohl nur der Auspuff. Nicht so schlimm. Die nächsten drei Tage telefonierte er für mich die Autoreparaturwerkstätten durch. Die, die noch geöffnet waren, waren komplett ausgebucht. Aber schliesslich fand er einen Mechaniker am anderen Ende der Stadt. «Ich fürchte, das ist nicht der Auspuff», sagte der. Mit dem Telefon in der Hand ging ich vors Haus und liess den Motor an. «Yep», sagte der Mann. «Wie ich gedacht habe. Jemand hat Ihren Katalysator geklaut.»

«Meinen … was?»

«Nehmen Sie es nicht persönlich, Sie sind bereits die Siebte heute.»

Stellt sich heraus, auch die Diebe leiden. Die Kaffeehaustische sind verwaist, keine Laptops und Handys liegen offen herum. Es gibt keine Menschenansammlungen, keine überfüllten Verkehrsmittel, keine nachlässig verschlossenen Handtaschen mehr. Aus zwei Metern Distanz kann auch der begabteste Taschendieb nicht arbeiten. Aber so einen Katalysator kann man offenbar ganz einfach herausschneiden und dann für 500 Dollar verscherbeln.

«500 Dollar», sagte ich erleichtert. «Das ist ja gar nicht so schlimm!»

Der Mechaniker druckste etwas herum. «Ähm, naja, einen neuen einzubauen, ist natürlich schon etwas teurer ...» Ungefähr zehnmal teurer, stellte sich heraus. Aber das würde doch bestimmt die Versicherung bezahlen. «Der Selbstbehalt ist schlimm genug», sagte der Mann mitfühlend, und ich erinnerte mich daran, dass er das heute bereits zum achten Mal erklärte. «Sie sind aber bei weitem die Gelassenste», sagte er. Ein Kompliment, das mich kindisch freute. «Was ist Ihr Geheimnis?» Einen Moment lang war ich versucht, ihn mit «Yoga und Meditation» zu beeindrucken. Doch ich blieb bei der Wahrheit: «Ich habe ein Zimmer im Traumhotel gebucht.»

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