Editorial von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty
Munition für Katar statt Kiew

Der Bundesrat erlaubt keine Waffenexporte in die Ukraine. Er argumentiert mit der Neutralität und der «besonderen humanitären Rolle» der Schweiz. Gleichzeitig rechtfertigt er die Lieferung von Kampfjet-Munition an die Autokratie Katar mit atemberaubender Nonchalance.
Publiziert: 26.02.2023 um 00:43 Uhr
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Aktualisiert: 27.02.2023 um 09:39 Uhr
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Gieri CaveltyKolumnist SonntagsBlick

Die Schweiz sagt Nein zu Kiew. Sie liefert der Ukraine keine Waffen, ja nicht einmal Helme oder Schutzwesten, auch keine in Kindergrössen. Aber sie verkauft Geschosse für die Bordkanone von Kampfjets an den autokratisch geführten Wüstenstaat Katar.

Die Katar-Recherche meines Kollegen Fabian Eberhard ist ein Lehrstück in helvetischer Heuchelei. Und sie gewährt einen vertieften Einblick in den Berner Maschinenraum. Denn bevor der Gesamtbundesrat der Lieferung von 27-Millimeter-Munition in die Golfregion grünes Licht gab, kam es zum Duell zwischen Wirtschafts- und Aussendepartement. Guy Parmelins Leute lobbyierten für die Interessen der Rüstungsindustrie; das federführende Amt heisst nicht umsonst Staatssekretariat für Wirtschaft, mit Betonung auf «für». Das EDA von Ignazio Cassis sprach sich – am Ende vergebens – gegen den Deal aus und argumentierte namentlich mit der prekären Menschenrechtslage in Katar.

Unser Land präsentiert sich gern als Gralshüterin der Menschenrechte. Letztmals war dies am Mittwoch der Fall, als der Bundesrat die Nichtlieferung von Rüstungsgütern an die Ukraine erstens mit der Neutralität und zweitens mit der «besonderen humanitären Rolle der Schweiz» in der Welt begründete. Doch was hat es mit der Eidgenossenschaft und den Menschenrechten effektiv auf sich?

Gieri Cavelty, Chefredaktor SonntagsBlick.
Foto: Thomas Meier

Der erste Bundesrat, der die Menschenrechte zu einer Richtschnur der Schweizer Politik erheben wollte, war Pierre Aubert, Aussenminister von 1978 bis 1987. Inspirieren liess er sich vom damaligen amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter und dessen Bemühungen, den vom Vietnamkrieg ramponierten Ruf der USA durch Einsatz für die Menschenrechte wieder aufzubessern. «Bereits an seinem ersten Arbeitstag als Bundesrat verlangte Pierre Aubert die Ausarbeitung eines Berichts über die Intensivierung des schweizerischen Engagements für den Schutz der Menschenrechte», schreibt
der Historiker Sacha Zala in der überarbeiteten Version des «Bundesratslexikons» aus dem Jahr 2019.

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Das klingt zwar sehr eindrücklich. Allerdings trug diese Haltung Aubert zahlreiche gegnerische Angriffe ein. Vor allem Justizminister Kurt Furgler machte ihm das Leben schwer. Per Indiskretion drang Furglers Kritik aus dem Bundesrat an die Öffentlichkeit – etwa seine Forderung, «über die ganze Aussenpolitik einmal zu reden und klare Richtlinien aufzustellen». Dadurch festigte sich das Negativ-Image des Aussenministers als sentimentaler Schwärmer so sehr, dass im alten «Bundesratslexikon» von 1991 zu lesen ist: «Aubert hatte wohl nicht das Zeug zum Politiker.» Es ist das Verdienst des Historikers Zala, des Direktors der Forschungsstelle Diplomatische Dokumente der Schweiz, dieses Zerrbild korrigiert zu haben.

Geniessen damit nun auch die Menschenrechte in Bern den gebührenden Stellenwert? 2022 publizierte das Staatssekretariat für Wirtschaft eine Broschüre, in der es unter anderem um das Thema «Wirtschaft und Menschenrechte» geht. Dort finden sich Sätze wie: «Die Einhaltung der Menschenrechte ist für eine nachhaltige Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft unerlässlich.»

Der Export von Munition nach Katar beweist, dass es sich dabei lediglich um Lippenbekenntnisse und Marketingparolen handelt. Wenn es darauf ankommt, haben die Menschenrechte – wie schon zu Pierre Auberts Zeiten – ausserhalb des Aussendepartements keinerlei Priorität.

Die Frage, die sich darum jetzt stellt: Liegt es tatsächlich an der Neutralität und hehren humanitären Prinzipien, wenn der Bundesrat der Ukraine sogar Schutzwesten verweigert? Oder steht da vielleicht doch eher die gleichermassen naive wie zynische Hoffnung im Vordergrund, die Schweiz könnte mit Russland lieber früher als später wieder dick ins Geschäft kommen?

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