Editorial von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty
Die radikale Klimabewegung schadet den Grünen

Es ist die perfekte Arbeitsteilung: Die Klimabewegung warnt vor der Apokalypse, die Grünen können sich als Hoffnungsträger präsentieren. Für die Wahlen vom kommenden Sonntag geht die Rechnung auf, die Grünen sind die Gewinner. Doch die Arbeitsteilung birgt auch Risiken.
Publiziert: 13.10.2019 um 00:02 Uhr
Gieri Cavelty

In den Neunzigerjahren taumelten die Grünen von Wahlniederlage zu Wahlniederlage. Immer verzweifelter, immer radikaler wurden die Ideen zur Wiederbelebung der Partei. Vor den eidgenössischen Wahlen 1999 forderte der damalige Zürcher Kantons- und spätere Nationalrat Daniel Vischer die Fokussierung auf eine «apokalyptische Kritik der Moderne». Das wirkte erst recht abschreckend. Im Herbst 1999 landeten die Grünen bei elenden 5,3 Prozent.

Heute übernimmt die Klima­bewegung die Rolle der «apokalyptischen Kritiker». Organisationen wie Fridays for Future und neuerdings Extinction ­Rebellion warnen derart eindringlich vor dem Weltuntergang: Die Grünen haben es da gar nicht mehr nötig, selber noch schwarzzumalen und damit Gefahr zu laufen, die Wähler zu vergraulen.

Im Gegenteil, 2019 braucht die Grüne Partei nichts weiter zu tun, als Hoffnung zu verbreiten. Die Botschaft: Die Lage ist ernst, wer jetzt aber grün wählt, kann das Schlimmste verhindern. Und man segelt gut im Windschatten der globalen Klimabewegung: Für die Nationalratswahlen vom kommenden Sonntag wird den Grünen das beste Ergebnis ihrer Geschichte prognostiziert.

Giery Cavelty, Chefredaktor SonntagsBlick.
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Selbstverständlich setzt die Klimabewegung ihre Aktivitäten nach dem 20. Oktober fort. Die Frage ist, ob dann auch Extinction Rebellion hierzulande Fuss fasst. Falls ja, wird nicht allein über die Protestaktionen als solche diskutiert, sondern ebenso über die Ideologie dahinter. Extinction Rebellion hat sich nichts weniger als die Abschaffung der heutigen Wirtschafts- und Staatsordnung auf die Fahne geschrieben.

Nachlesen lassen sich diese Ideen im druckfrischen Buch des britischen Philosophen Rupert Read, Vordenker und Sprecher der Organisation. Das Buch heisst «This Civilisation is Finished», wobei mit Zivilisa­tion zunächst der Kapitalismus gemeint ist. Auf den Müllhaufen der Geschichte gehört für Read allerdings auch der Sozialismus, denn dieser ist für ihn gleichermassen ein Feind der Natur.

Spätestens bei dieser Passage muss «This Civilisation is Fi­nished» selbst einem wohlwollenden Leser sauer aufstossen. Rupert Read begründet seine Ablehnung des Sozialismus mit einem Zitat von Ted Kaczynski, einem, wie Read ihn nennt, «kompromisslosen politischen Denker». Tatsächlich handelt es sich bei Ted Kaczynski um den sogenannten Unabomber, jenen Ökoterroristen, der zwischen 1978 und 1995 in den USA 16 Briefbomben verschickte und drei Menschen tötete. Das FBI kam dem Una­bomber auf die Schliche, nachdem er ein Manifest
publiziert hatte, worin er eine kompromisslose Rückkehr zur Natur propagierte.

Extinction Rebellion betont, man lehne Gewalt ab. Auch in seinem Buch distanziert sich Rupert Read von den Morden des Unabombers. Und doch: Das Weltbild von Extinction Rebellion fusst unter anderem auf den Theorien eines kalt­blütigen Mörders.

Sollte sich die Klimabewegung in der Schweiz effektiv radikalisieren, muss die Grüne Partei aus deren Windschatten heraustreten und auf Distanz gehen. Eine konstruktive politische Partei kann sich nicht auf das Denken eines praktizierenden Apokalyptikers stützen.

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