Das meint SonntagsBlick
Nous sommes Samuel!

In Frankreich wurde ein Geschichtslehrer enthauptet. Unsere Redaktorin fragt sich: Warum schweigen wir zu diesem Attentat?
Publiziert: 25.10.2020 um 12:11 Uhr
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Aktualisiert: 28.10.2020 um 08:51 Uhr
Camille Kündig

«Wir machen weiter, Herr Lehrer!», sagte Emmanuel Macron am Mittwochabend in Paris. Der französische Präsident richtete sein Versprechen, die Meinungsfreiheit zu verteidigen, an Samuel Paty, Geschichtslehrer am Collège du Bois d’Aulne im Pariser Vorort Conflans-Sainte-Honorine.

Dort hatte Paty seinen Schülern Anfang Oktober Karikaturen des Propheten Mohammed gezeigt, um zu erklären, dass in Frankreich das Recht auf Gotteslästerung gelte. Den Unterricht bezahlte er mit seinem Leben. Ein radikalisierter 18-Jähriger schnitt ihm auf offener Strasse den Kopf ab.

Es ist ein Akt, wie er barbarischer nicht sein könnte. Er traf einen Grundpfeiler der französischen Gesellschaft: die Schule. Den Ort, der für die Integration von Menschen jeder Herkunft und Religion sorgt, wo Werte wie Gleichheit und Meinungsfreiheit massgebend sind. Trotz Corona versammelten sich nach der Bluttat Zehntausende. Rund um den Arc de Triomphe zeigten sie Trans­parente oder Schilder mit der Aufschrift «Je suis Samuel» (Ich bin Samuel) und klatschten minutenlang, um des 47-Jährigen zu gedenken. Manche hatten sich das Wort «Liberté» gross auf die Maske geschrieben.

Ganz Frankreich trauert um den Geschichtslehrer Samuel Paty.
Foto: imago images/PanoramiC
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Die erneute Terrorattacke erschüttert Frankreich in seinem Innersten. Doch in der Schweiz bleibt es still. Der Hashtag «Je suis Samuel» schlägt keine Wellen. Politiker machen kaum einen Mucks. Medien bringen Routineberichte. Wir finden keine Worte für unsere Nachbarn.

Dabei hat Patys Mörder auf brutalste Weise Werte attackiert, die auch bei uns grossgeschrieben werden.

Blasphemie allerdings ist in der Schweiz – anders als in der Grande Nation – verboten. Damit steht unser Land in einer Reihe mit Pakistan, Saudi-Arabien und Russland. Wer in diesen Staaten die Staats­religion verspottet, riskiert zum Teil körperliche Züchtigung – hierzulande ist es eine Geldstrafe. Zu Verurteilungen kommt es zwar selten, dennoch mutet dieses Schweizer Gesetz mittelalterlich an. Und es hat international Signalwirkung. Darüber sollten wir jetzt sprechen.

Ich wünschte mir mehr Bekenntnisse zur freien Meinungsäusserung – und mehr «Nous sommes Samuel!»

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