Zoologisch – Direktor Severin Dressen erklärt
Wenn man einheimische Arten nicht erkennt

Severin Dressen (32) ist Direktor des Zoos Zürich und weiss alles über die wilden Geheimnisse seiner Bewohner.
Publiziert: 17.07.2021 um 20:35 Uhr

«Eine hochgiftige Wasserschlange ist aus dem Exotarium geflüchtet. Jetzt haben wir sie im Pantanal entdeckt.» Solche Meldungen erhält unser Besucherservice regelmässig. Unser Personal an der Kasse reagiert auch in diesen Momenten professionell. Die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter informiert die besorgten Gäste, dass wir keine Wasserschlangen halten und auch keine Schlangen vermissen. Die Gäste erfahren weiter, dass der Besucherservice aber selbstverständlich sogleich den diensthabenden Tageschef oder die Tageschefin informiert, um die Situation zu überprüfen.

Und so erhielt ich bei meinem letzten Wochenenddienst auch ein solches Telefon, mit der Bitte, im Pantanal die hochgiftige Wasserschlange zu suchen. Diese fand ich natürlich nicht, denn wie immer in solchen Fällen hatten die Besucherinnen und Besucher keine Schlange aus unserem Exotarium entdeckt, sondern ein einheimisches Tier: die Ringelnatter. Die in der Schweiz noch vergleichsweise häufig anzutreffende Schlange lebt auch bei uns im Zoo – und ist vollkommen ungefährlich für uns Menschen. Ein besonders prächtiges Weibchen – gut 120 Zentimeter lang – hat das Pantanal bei uns im Zoo als neuen Lieblingsplatz entdeckt. Die Anlage bietet alles, was ein Ringelnatterherz begehrt: dichte Vegetation, sonnige Stellen und reichlich Wasser. Wenn es dann auch noch den einen oder anderen Frosch als Nahrung gibt, fühlt sich die Ringelnatter richtig wohl.

Die Ringelnatter alias «hochgiftige Wasserschlange» zeigt eindrücklich zwei Dinge. Zum einen die Entfremdung der Menschen von der (heimischen) Natur. Wer im städtischen Umfeld aufgewachsen ist, kennt die Schweizer Tier- und Pflanzenarten oft nicht. Dies macht die Bildungsangebote von Naturschutzzentren wie Zoos und Nationalparks umso wichtiger.

Die Ringelnatter lebt wild im Zoo Zürich, sagt Direktor Severin Dressen.
Foto: Enzo Franchini
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Die Ringelnatter im Pantanal zeigt zum anderen die Doppelfunktion unseres Zoos auf. Egal ob Pantanal, Lewa oder Himalaya: Unsere Lebensräume für Tiere aus der ganzen Welt sind auch Heimat für viele einheimische Tiere. An sonnigen Tagen sieht man an vielen Stellen im Zoo Mauer- und Zauneidechsen auf Steinhaufen oder Wegen die Sonne geniessen. Amphibien vermehren sich in unseren Teichen. Nektarfressende Insekten wie Bienen und Schmetterlinge geniessen die heimische und die exotische Blütenpracht.

Die wohl für die Gäste am einfachsten zu sehende Tiergruppe sind die wild lebenden Vögel, die zahlreich unseren Zoo als ihr Zuhause gewählt haben. So kann man etwa verschiedene Spechtarten in unseren Wäldern sehen und hören. Und wenn ich aus meinem Bürofenster schaue, sehe ich regelmässig Raubvögel über der Lewa-Savanne kreisen – immer auf der Suche nach der nächsten Maus.

Am eindrücklichsten sind aber sicherlich die wilden Störche, die immer mehr werden und die inzwischen grosse Teile des Zoos in Beschlag genommen haben. Aber das ist eine eigene Geschichte wert. Und einen Vorteil haben die Störche: Während die Ringelnatter von vielen nicht als solche erkannt wird, ist der Storch den allermeisten Zoogästen bestens bekannt.


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