Warten mit der Kündigung – Meyer rät
«Lieber ein paar Wochen arm als schlecht drauf»

Ich möchte schon seit längerem kündigen, weil die Geschäftsleitung meiner Firma totale Leuteschinder sind, finde aber keinen neuen Job.
Publiziert: 11.02.2023 um 13:26 Uhr
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Thomas MeyerSchriftsteller und Kolumnist

Die Taktik, erst zu kündigen, wenn man woanders unterschrieben hat, ist nachvollziehbar und populär. Denn bei selbstverschuldeter Kündigung zahlt das Arbeitsamt erst mit mehreren Wochen Verzögerung. Zu bedenken ist jedoch:

1. «Ich finde keinen neuen Job» ist keine korrekte, sondern eine dramatisierte Aussage. Richtig wäre: «Bis jetzt habe ich noch keinen neuen Job gefunden.» Denn das kann sich bereits morgen ändern. Indem Sie aber die Tatsache, dass es noch nicht so weit ist, als
Dauerzustand formulieren, klingt es wie ein Schicksal, fühlt sich auch so an und blockiert Sie. Fokussieren Sie sich lieber darauf, dass Ihr neuer Job bereits auf dem Weg ist zu Ihnen.

2. Wiegen die paar Tausend Franken, auf die Sie möglicherweise verzichten müssen, wirklich den psychischen Stress auf, den Sie sich jeden Tag antun in Ihrer Firma? Welcher Schaden ist grösser? Falls Sie Erspartes haben, wäre dies eine gute Gelegenheit, es
einzusetzen. Vielleicht können auch Ihre Eltern Ihnen unter die Arme greifen. Seien Sie lieber ein paar Wochen arm als weiterhin schlecht drauf!

Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.
Foto: Getty Images

3. Ihre Situation ist eine prima Einladung, sich zu fragen, ob Sie womöglich in einer Branche arbeiten, die keine Zukunft für Sie bereithält. Vielleicht ist es ja ein Zeichen, dass Sie bisher nichts Neues gefunden haben? Vielleicht sollten Sie ganz woanders
suchen? Fragen Sie sich, was für eine Arbeit Sie glücklich machen würde.

4. Sie werden später nicht sagen: «Zum Glück habe ich diese Tortur jahrelang ertragen.» Sie werden eher sagen: «Zum Glück hatte ich den Mut, einfach so zu kündigen!» Sagen Sie beide Sätze ein paarmal hintereinander laut auf – welcher fühlt sich besser an, wahrer und stärker? Das ist jener, dem Sie folgen sollten. Passieren kann Ihnen nichts. Ausser vielleicht ein wenig Verzicht.

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