Soll mein Sohn in die Pfadi? – Meyer rät
Lassen Sie ihn selbst entscheiden

Wir möchten unseren Sohn (9) für ein Hobby begeistern. Einige seiner Schulfreundinnen und -freunde sind in der Pfadi. Aber er mag nicht mal einen Probetag machen. Wie animieren wir ihn?
Publiziert: 16.07.2022 um 11:19 Uhr
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Aktualisiert: 17.07.2022 um 10:40 Uhr
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Thomas MeyerSchriftsteller und Kolumnist

Wir versuchen, unseren Kindern beizubringen, dass man sich erst ein Bild von etwas oder jemandem machen muss, bevor man ein Urteil darüber fällen kann, und das ist auch richtig so. Ob einem Broccoli schmeckt, findet man nicht heraus, wenn man kurz in den Teller guckt und «Wääh» macht – man muss schon mal reinbeissen, allein aus Respekt der Köchin oder dem Koch gegenüber. Und ob die Pfadi etwas ist für Ihren Sohn, kann niemand wissen, wenn er nicht mal ein paar Stunden dort gewesen ist. Dass Sie sich an seinem Widerwillen stören, dieser Frage einen Samstagnachmittag zu opfern, kann man gut verstehen.

Allerdings unterhalten sich Kinder sehr rege miteinander, und das Thema Pfadi wird auf dem Pausenplatz längst verhandelt worden sein. Es spricht Ihren Sohn offenbar schlicht nicht an, sonst hätte er sich von allein darum bemüht, mal mit den anderen mitgehen zu dürfen. Sie dürfen ihm und seinem Urteilsvermögen also vertrauen.

Zu bedenken ist auch, dass Kinder heute kaum Freizeit haben – in der vierten Klasse haben sie zwei freie Nachmittage, ab der fünften nur noch einen, dazu kommen die völlig unnötigen Hausaufgaben und der Stress durch die unablässige Benotung – pädagogische Massnahmen, die man in anderen Ländern längst als überholt erkannt und abgeschafft hat, an denen in der rückständigen Schweiz aber fanatisch festgehalten wird. Dass ein Kind vor diesem Hintergrund ganz einfach keine Energie hat für noch mehr Programm, ist kein Wunder, sondern eher ein Alarmzeichen.

Die Pfadi ist nicht jedermanns Sache. Am besten soll man seine Kinder selbst entscheiden lassen, ob sie mitmachen wollen, findet Thomas Meyer.
Foto: zVg

Lassen Sie Ihren Sohn selber entscheiden, was er mit seiner Zeit machen will. Bieten Sie ihm weiterhin Möglichkeiten an, zeigen Sie ihm die Vielfalt der Freizeitbetätigungen, aber akzeptieren Sie es auch, wenn es ihm zu viel ist, nebst der Schule noch eine weitere Pflicht zu haben. Er ist nicht der Einzige.

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