Sie fragen, ETH-Rats-Chef Michael Hengartner antwortet
Wie schlimm ist die Nichtteilnahme bei Horizon Europe?

Alle zwei Wochen stellen sich die ETH-Präsidenten den Fragen der Leserinnen und Leser rund um die Wissenschaft. Heute ist Michael Hengartner, Präsident des ETH-Rats, dran. Er beantwortet drei Fragen zum Forschungsprogramm Horizon Europe.
Publiziert: 23.02.2022 um 09:13 Uhr
Michael Hengartner

Welche Auswirkungen hat die Nichtteilnahme am Programm Horizon Europe auf den Schweizer Forschungsstandort? – Thomas Marti

Michael Hengartner: Aufgrund der fehlenden Assoziierung sind Forschende aus der Schweiz zwar zu gewissen Teilen des Programms noch zugelassen, können aber die Führung bei diesen Kooperationsprojekten nicht mehr übernehmen. Von anderen Bereichen wie den begehrten ERC Grants sind unsere Forschenden vollständig ausgeschlossen. Das ist besonders schmerzhaft, denn wer ein solches Stipendium erhält, beweist, dass er zu den Allerbesten gehört. Im Weiteren sind unseren Start-ups und KMU attraktive Finanzierungsinstrumente im Bereich der Innovationsförderung verwehrt. Momentan fühlen wir uns wie eine Hockeymannschaft, die einen Spieler weniger auf dem Eis hat.

Die Schweiz ist mit Hochdruck daran, alternative Förderinstrumente zu entwickeln. Entweder auf nationaler Ebene oder durch bilaterale Abkommen mit anderen Ländern. Das ist sicher hilfreich, kann aber die fehlende Teilnahme nur teilweise kompensieren.

Michael Hengartner sagt, die Nichtteilnahme an Horizon Europe hat Folgen: Unseren Start-ups und KMU sind attraktive Finanzierungsinstrumente im Bereich der Innovationsförderung verwehrt.
Foto: Keystone

Ironischerweise verlieren die EU-Länder ebenfalls, wenn das UK und die Schweiz ausgeschlossen werden. Forschungszusammenarbeiten sind ein Gewinn für alle Beteiligten, fehlende Zusammenarbeit ein Verlust für alle. Viele Forschende aus der EU fordern daher ihre Regierungen auf, die Schweiz an Horizon Europe teilnehmen zu lassen, zum Beispiel durch die Initiative «Stick to Science» (stick-to-science.eu).

Die besten europäischen Hochschulen sind in der Schweiz und Grossbritannien zu Hause. Ist es da nicht sinnvoller, mit den Tophochschulen im Vereinigten Königreich zusammenzuarbeiten? – Walter Lehmann

Michael Hengartner: Spitzenforschung wird nicht nur an Spitzenunis gemacht. In Europa ist exzellente Forschung an vielen Orten zu finden. Nobelpreisträgerin Emmanuelle Charpentier, Mitentdeckerin der Crispr-Genschere, forscht in Berlin, nicht in Cambridge (Grossbritannien). Marktwirtschaftsexperte und Nobelpreisträger Jean Tirole ist in Toulouse (F), nicht in London tätig. In der letzten Wettbewerbsrunde um die oben erwähnten ERC Grants gingen mehr von den prestigeträchtigen und hoch begehrten Preisen nach Deutschland (72) und nach Frankreich (53) als ins UK (46). Die Schweiz fand sich mit 28 Grants an fünfter Stelle, wegen der Nichtassoziierung können aber unsere Forschenden diese Preise nun nicht behalten. Ein Fokus nur auf die wenigen britischen Topunis würde eine Zusammenarbeit mit weit über 90 Prozent der exzellenten Forschenden in Europa ausschliessen. Das können und wollen wir uns nicht leisten.

Wie schätzen Sie die langfristigen Schäden für die Wirtschaft aufgrund der Probleme mit der EU bei Horizon Europe ein? – Reto Ebnöther

Michael Hengartner: Die grösste langfristige Gefahr ist ein schleichender Verlust der Attraktivität der Schweiz als Forschungsstandort. Denn Forschung bringt Innovation, Innovation bringt Wettbewerbsfähigkeit, Wettbewerbsfähigkeit bringt Wohlstand. Die Grösse des Schadens lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt kaum beziffern. Klar ist aber, dass eine Assoziierung der Schweiz an Horizon Europe bei weitem die beste Option für alle wäre.

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