Energiezukunft
Wie wir in Lausanne dem Fusionsreaktor näher kommen

Michael Hengartner ist Präsident des ETH-Rats – und damit so etwas wie der Chef-Forscher der Schweiz. In seiner Kolumne erklärt er Wissenswertes aus der Wissenschaft. Diese Woche: wie die Forschung an Fusionsreaktoren an der EPFL unsere Energiezukunft retten könnte.
Publiziert: 04.04.2021 um 10:26 Uhr
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Aktualisiert: 30.04.2021 um 14:56 Uhr
Michael Hengartner

Fridays for Future – der Ruf unserer Jugend nach einer nachhaltigen Welt darf nicht ungehört verhallen. Um den Klimawandel zu stoppen, müssen wir weg von Fossilbrennstoffen, hin zu nachhaltig produzierter Elektrizität. Und von dieser wird es immer mehr brauchen: Denken wir nur an all die grossen Rechenzentren, die momentan aus dem Boden gestampft werden. Oder an das schrittweise Ersetzen von Autos mit konventionellem Benzinmotor durch Elektroautos.

Nachhaltige Energieproduktion findet schon heute grossen Anklang. Doch jede Methode hat auch ihre Grenzen. Das Potenzial für Wasserkraftwerke ist in der Schweiz schon fast vollständig ausgeschöpft. Wind- und Solaranlagen produzieren je nach Tages- und Jahreszeit manchmal mehr, manchmal weniger Strom. Kernkraftwerke liefern zwar stabile und daher für das Netz sehr wertvolle Energie. Die Schweiz hat sich aber zum Ausstieg aus der Atomenergie entschieden.

Gäbe es noch andere technische Lösungen, um unseren Hunger nach nachhaltiger Energie zu stillen? Hoffnung geben uns Forschungen zur Kernfusion. Die Sonne (und alle anderen Sterne) «arbeitet» seit Jahrmilliarden mit Kernfusion. Die Energie, die durch diesen Prozess freigesetzt wird, wird als Licht und Wärme ins Universum abgestrahlt. Sollte es uns gelingen, in einem Fusionsreaktor diesen Prozess zu imitieren, dann hätten wir umweltfreundliche und praktisch unbegrenzte Energie zur Verfügung.

Michael Hengartner ist Präsident des ETH-Rats und Kolumnist im SonntagsBlick Magazin. Zuvor war der Biochemiker Rektor der Universität Zürich.
Foto: Nathalie Taiana

An der EPFL Lausanne steht seit 1992 ein experimenteller Testreaktor. Dieser «Tokamak» dient noch nicht zur Energiegewinnung, sondern dazu, herauszufinden, wie ein richtiger Fusionsreaktor dereinst funktionieren könnte.

Fusionsreaktoren hätten gegenüber herkömmlichen AKW zwei wichtige Vorteile. Erstens fallen bei der Kernfusion, anders als bei der Kernspaltung, keine langlebigen, hochradioaktiven Abfälle an (fusioniert werden zwei Wasserstoff-Isotope). Zweitens gibt es bei Fusionsreaktoren kein Risiko von unkontrollierter Kettenreaktion. Unfälle wie bei Fukushima sind also ausgeschlossen.

Gerade kürzlich wurde in Lausanne nun ein weiteres Rätsel gelöst. Ein Problem ist nämlich die Hitze: Das Plasma (eine Wolke geladener Teilchen), in dem die Reaktion stattfindet, ist nämlich extrem heiss. Rund eine Million Grad!

Dieses Plasma wird von einem Magnetfeld in der Mitte des Reaktors gehalten, aber die Hitze strahlt natürlich in alle Richtungen ab. Das macht den Wänden zu schaffen. Forschende der EPFL haben nun ein System entwickelt, bei dem das Plasma 800-mal pro Sekunde fotografiert wird. Das Bild wird blitzschnell in Daten umgewandelt, diese Daten in einen Algorithmus eingegeben, und dieser Algorithmus steuert ein Gasventil, das dafür zuständig ist, kühlendes Gas in den Raum zwischen Plasma und Reaktorwänden einzulassen. Anders gesagt: Wir wissen jetzt, wie wir einen Fusionsreaktor richtig kühlen können. Das ist ein grosser Schritt vorwärts!

Wir müssen unseren Energiebedarf neben dem Reduzieren mit neuen Technologien lösen. Möglicherweise kommen wir diesem Problem mit der Kernfusion einen Schritt näher.

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