Kolumne «Wild im Herzen» über den Scharlachspint
Götti sein als Lebensaufgabe

Kinderlosigkeit wird oft als Verstoss gegen die biologische Pflicht zur Fortpflanzung gesehen – als etwas Unnatürliches. Dabei ist es auch bei Tieren üblich, dass nicht jede und jeder eigene Nachkommen hat – und wie bei den Scharlachspinten trotzdem unersetzlich ist.
Publiziert: 29.01.2021 um 00:01 Uhr
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Aktualisiert: 25.03.2021 um 19:37 Uhr
Simon Jäggi

Soll ich noch Kinder haben? Eine Frage, die Kinderlose in meinem Alter umtreibt. Manche verspüren schlicht keinen Wunsch, sich fortzupflanzen. Und das kann auch stressen. Sie bekommen nämlich von allen Seiten zu spüren, es sei irgendwie nicht normal, keinen Kinderwunsch zu hegen. Sei es von unbedarften Coiffeuren oder enkelfixierten Eltern. Fast erhält man den Eindruck, wir hätten einen heiligen biologischen Auftrag, uns fortpflanzen zu müssen.

Ein Blick ins Tierreich lässt einen etwas entspannter werden. Es ist typisch für soziale Arten, dass sich nicht alle Individuen fortpflanzen – aus ganz unterschiedlichen Gründen. Manche, weil sie in der Hierarchie zu tief stehen. Bei einigen Arten stellen sich sogenannte Helpers sogar freiwillig in den Dienst der Gemeinschaft. Zum Beispiel bei den Scharlachspinten, aber dazu später.

Scharlachspinte sind wunderschön gefärbte Vögel aus der schillernden Familie der Bienenfresser. Auch in der Schweiz gibt es einen Bienenfresser, der sehr selten ist und etwa im Wallis vorkommt. Die restlichen Bienenfresser-Arten bevölkern die Tropen und Subtropen Afrikas und Asiens.

Simon Jäggi
Foto: Thomas Buchwalder

Ein ganzes Dorf für einen Vogel

Scharlachspinte leben in Flusstälern im zentralen Afrika. Wie andere Bienenfresser graben sie Bruthöhlen an Uferhängen. Sie sind spektakuläre Jäger, die sich auf grosse Insekten spezialisiert haben. Von erhöhten Stellen werden täglich 300 Jagden geflogen, zwei Drittel davon sind erfolgreich. Eine andere Strategie: Sie folgen Elefantenherden oder Autos und schnappen sich aufgescheuchte Insekten. Sogar Buschfeuer machen sich die «Vettern des Feuers» (Übername in Afrika) zu eigen und bedienen sich mit den flüchtenden Tieren.

Herausragend ist auch ihre Brutpflege. Bei den Scharlachspinten braucht es ein ganzes Dorf, um einen Vogel aufzuziehen. Ein Paar legt nämlich bis zu fünf Eier, ist aber nur in der Lage, zwei Nestlinge aufzuziehen. Den Brutpaaren stehen bis zu fünf Helfer zur Seite, oft eigener Nachwuchs aus dem Vorjahr. Sie unterstützen die werdenden Eltern bereits beim Bau der Höhle, später bei der Futterbeschaffung.

Der Job als Gotte oder Geschwister ist bei den Scharlachspinten definitiv gleich wichtig wie jener des biologischen Erzeugers.

Simon Jäggi (40) ist Sänger der Rockband Kummerbuben und arbeitet im Naturhistorischen Museum Bern. Er schreibt jeden zweiten Freitag im BLICK über Tiere.

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